Wir beginnen den Tag in San Antonio de los Cobres auf 3600 Metern Höhe und führen einen letzten Corona-Test durch. Danach gibt es Rührei, selbstgebackenes Brot, Kräutertee gegen die Höhenbeschwerden sowie Kaffee zum Wachwerden, denn wir sind schon wieder um 6 Uhr aufgestanden. Heute trennen sich teilweise unsere Wege, da einige Teilnehmer und Teilnehmerinnen an anderen Veranstaltungen des Deutsch-Argentinischen Hochschulzentrums in Tucumán und Bariloche teilnehmen werden. Der Rest von uns wird Geländearbeiten mit unseren Professoren Carolina Montero, Bodo Bookhagen und Manfred Strecker im Norden des Puna-Plateaus an der bolivianischen Grenze durchführen. Es geht vor allem um die erosive Anschneidung des andinen Plateaus von Flüssen, die in die feuchten Vorlandregionen entwässern, sowie um die zeitliche Einordnung von Störungen, die wir in den Sedimentbecken des Plateaus identifiziert haben. Bevor wir uns aber wirklich darum kümmern können, müssen wir uns auf eine ganztägige Reise bei schlechtem Wetter auf Schotterstraßen, über Vulkanhänge, Salzseen und endlos erscheinende Ebenen einstellen – die Entfernung beträgt 180 Kilometer.
Bei unserer Abfahrt sind wir erstaunt, denn wir sehen Dutzende Tankwagen, wummernde Pumpanlagen sowie Geländefahrzeuge von Minengesellschaften, die mittlerweile die argentinische Puna gestürmt haben und sich mit den Behörden in regelrechten Bieterkriegen für Konzessionen zur Lithiumextraktion befinden. Chinesische, koreanische, kanadische, australische, US-amerikanische und einige argentinische Firmen sind hier unterwegs. Das für die Elektromobilität notwendige Leichtmetall Lithium hat seit Beginn des Jahres an den internationalen Aktienmärkten einen rasanten Preisanstieg erfahren. Lithium wird in den Zentralanden weitestgehend aus Salzlaugen der abflusslosen Sedimentbecken gewonnen. In Argentinien wird der Lithium-Gehalt vor allem durch die Verwitterung vulkanischer Ablagerungen im Einzugsgebiet sowie durch den Eintritt hydrothermaler Wässer an Störungszonen gebildet. Weiterhin ist es notwendig, dass diese Laugen durch Evaporation angereichert werden, ein Prozess der hier aufgrund der stark ausgeprägten Trocken- und Feuchtphasen im Rahmen der natürlichen Klimazyklizität der letzten Millionen Jahre sehr effizient ist. Die angeschlagene argentinische Wirtschaft erhält wichtige Devisen durch diese Industrie. Gleichzeitig wird die Exploration der Lagerstätten bei der Bevölkerung kritisch gesehen, weshalb im Jahre 2011 daher Gesetzesänderungen eingeführt wurden, um die Wasserrechte und Interessen der indigenen Bevölkerung des Hochlandes stärker zu berücksichtigen.
Auf unserer Fahrt kommen wir an Ignimbriten vorbei – Ablagerungen des katastrophalen Kollapses des Vulkans Coranzuli, die aufgrund ihrer isolierenden Eigenschaften von den Einheimischen zum Teil für Gebäude verwendet werden. Vor über 1.500 Jahren wurden hier bereits Motive mit Lamas und anderen Tieren in die glatten Wände dieser rosafarbenen Ablagerungen gekratzt, heute würde man das Graffiti nennen. Nach weiteren 30 Kilometern und einer Flussdurchquerung erreichen wir die im Jahr 1535 gegründete Kleinstadt Casabindo, der einzigen Stadt in diesem Teil Südamerikas, wo ganz besondere Stierkämpfe durchgeführt werden. Vor der Kathedrale befindet sich eine Arena, in der bei den Wettkämpfen den gemästeten Tieren Silbergeld abgeluchst wird, das sie an Ketten zwischen ihren Hörnern tragen. Die Gewinner dieses Sports spenden das Silbergeld der Schutzheiligen des Tals und die Stiere können wieder nach Hause laufen. Stierkämpfe auf 3400 Metern Höhe, wir können es kaum glauben!
Am Abend kommen wir erschöpft in der indigenen Siedlung Yavi an. Unser kleines Hotel ist ein mit Gras gedeckter Adobebau und liegt mitten im Untersuchungsgebiet, wo wir uns morgen früh gemeinsam die Sedimentabfolgen und Störungszonen ansehen wollen.
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