Chicharras cantoras anuncian lluvia – die Zikaden zirpen vor dem Regen. Nach mehr als 13 Stunden Flug über den Atlantik und zwei weiteren Stunden in der Luft auf unserem Weg nach Salta in Nordwestargentinien treten wir erschöpft ins Freie und genießen die warme Luft. Allerdings wird unser Wohlbefinden abrupt durch ein ohrenbetäubendes, sirenenartiges Geheul gestört, das wir zunächst nicht einordnen können – aber unser Kollege Ricardo Alonso klärt uns sofort auf. Es handelt sich um Zikaden, die vor allem vor bevorstehenden abendlichen Regenfällen einen Höllenlärm veranstalten. Wir sind Geologinnen und Geologen, aber über die Zikaden sind wir schon mittendrin in einer für uns relevanten Thematik: Der südamerikanische Monsun und damit verbundene saisonale Niederschläge, die die östliche Andenregion oft in ein Chaos mit reißenden Bächen und Flüssen, Muren sowie Gesteinslawinen stürzen, stehen kurz bevor. Unser Arbeitsgebiet befindet sich am südlichen Ende des Monsun-Förderbandes, das feuchte Luftmassen aus dem Amazonasgebiet in diese eigentlich trockene Region transportiert – ein Vorgang, der in direktem Zusammenhang mit dem Wachstum der Anden als topografische Barriere steht. Dieses tektonisch gesteuerte Klimageschehen wirkt sich, wie unsere Untersuchungen zeigen, schon seit neun Millionen Jahren auf die Region aus. Denn aus den geologischen Archiven können wir langfristig wirksame Klimaprozessesse über Sedimentzusammensetzungen, Fossilinhalte sowie isotopengeochemische Analysen rekonstruieren. Aber diese klimatisch-tektonischen Prozesse sind keine Phänomene der Vergangenheit, denn sie setzen sich bis zum heutigen Tage fort.
Unser erster Arbeitstag beginnt mit einem gemeinsamen Corona-Test vor dem Hotel. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind zwei- oder bereits dreimal geimpft, und für die 30 Personen stehen zwei Busse sowie Geländefahrzeuge bereit. Danach geht es endlich los! Wir fahren zu einem hohen Aussichtspunkt über der Stadt Salta: Im Westen erhebt sich die über 5.000 Meter hohe Ostkordillere der Anden, direkt davor liegt Salta im Lerma-Tal, eine seismisch aktive Region, in der es immer wieder Erdbeben gibt. Hier sehen wir auch den Einfluss des Klima- und Regenfallgradienten: von der dichten, subtropischen Yungas-Vegetation im Tal und an den unteren Hängen, der grasbewachsenen Hochregionen über der Baumgrenze, bis hin zu ehemals vergletscherten und heute wüstenartigen Gipfelregionen. Dieses Hochgebiet wird immer noch tektonisch deformiert, wie zum Beispiel durch ein Erdbeben mit der Magnitude 6.3 genau vor einem Jahr. Aber nicht nur die Hochgebiete sind von seismischer Aktivität betroffen, sondern auch die tieferliegenden Gebiete im Lerma-Tal. Deshalb wollen wir uns als nächstes mit den durch Erdbeben deformierten geologischen Archiven am südlichen Ende des Tals beschäftigen. Unsere Fahrt führt uns durch Tabakplantagen, Milchfarmen und Maisfelder. Wir treffen Carolina Montero und Leonardo Elias aus Salta, die uns in brütender Mittagshitze deformierte Seesedimente zeigen wollen. Allerdings erweist sich dieser Plan als äußerst schwierig, denn die Diskussionen zu den geologischen Aufschlüssen werden durch laut schreiende Papageien fortwährend gestört. Trotzdem können wir die wichtigsten Sedimentmerkmale besprechen: Sandvulkane, klastische Gänge, ehemals verflüssigte Sedimente, Verwerfungen und Sediment-Lakkolithe. Dies hört sich zunächst kompliziert an, aber es handelt sich bei allen Erscheinungen um typische Deformationsphänomene in Sedimenten von Erdbebenregionen, wie wir sie auch in Kobe, Portland, Christchurch oder entlang der San Andreas-Verwerfung oder der Nordanatolischen Seitenverschiebung finden würden.
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