Diese Fragen sind Teil meiner täglichen Arbeit im Zentrum Industrie 4.0 Potsdam (ZIP4.0) – auf dem Gelände der „Digitalvilla“ in der Karl-Marx-Straße in Potsdam-Babelsberg. Mit der hybriden Modellfabrik, einem Simulator für Fertigungsprozesse, untersuchen wir, wie sich neue Systeme integrieren und am einfachsten bedienen lassen, wie sie mit etablierten Technologien zielführend zusammenspielen und welche Stolpersteine auf dem Weg zu modernen Produktionssystemen auftauchen. Dafür steht in der Modellfabrik ein Baukasten bereit, mit dessen Hilfe die Produktionsszenarien dargestellt und getestet werden können. Es gibt unterschiedliche Maschinensimulatoren, intelligente Werkstückträger, die sich selbst durch die Fertigung steuern, Industrieroboter und Rollenbahn, mobile Geräte und noch einiges mehr. All das können die Akteure z. B. in der Rolle des Werkers innerhalb eines Fertigungsszenarios bedienen, warten, testen und vieles mehr.
Im Moment tüfteln wir daran, einen weiteren Baustein für die Fabrik der Zukunft zu integrieren: eine Datenbrille. Ein typisches Beispiel dafür, wie neuartige Dinge den Weg in die Werkhalle finden. Sie soll den Akteuren in der Anlage als Hilfsmittel dienen, um komplexe Aufgaben zu bewältigen. Gleichzeitig wird der neue Baustein das Instrumentarium für Forschungsaktivitäten erweitern. Kolleginnen und Kollegen können ihn dann z. B. bei ihren Experimenten zur Ausgestaltung von Assistenzsystemen oder Usability-Untersuchungen einsetzen.
Nachdem wir mögliche Anwendungsszenarien zusammengetragen haben, entscheiden wir uns für die Werkerunterstützung bei der Wartung einer Maschine. Anschließend geht es an den Entwurf des Storyboards und die Geräteauswahl. Ein möglicher Kandidat ist Microsofts HoloLens. Ist dieses Gerät tatsächlich die geeignete Lösung? Funktional, sicher, aber im rauen Fabrikalltag? Nach einer ersten Erprobungsrunde mit Partnern aus der Praxis fällt die Wahl auf ein anderes Gerät, die HMT-1. Als sogenannte Assisted-Reality passt sie am besten zu den Anforderungen. Nach dem Storyboard gilt es nun, die entsprechenden Funktionen im Simulator und auf der Brille selbst umzusetzen. Schließlich benötigt das Gerät Daten aus dem Prozess und gibt zugleich Informationen aus der Nutzung in das Simulationssystem zurück. Dafür muss die Anlage konfiguriert und ergänzend mithilfe von Webservices programmiert werden. Nur wenig später sind Anlage und Brille einsatzbereit …
Aber die Modellfabrik ändert sich ständig, wächst und wird umgebaut. So hat sich gezeigt, dass das zentrale Steuerungsprinzip unseres Rollenbahnsystems an seine Grenzen stößt. Der Einsatz von nur einem Steuerungscomputer, der alle Aktivitäten regelt, sorgt für eine extrem hohe Komplexität und scheint aufgrund des steigenden Bedarfs an Wandlungsfähigkeit nicht zukunftsfähig. Hier musste unbedingt Abhilfe geschaffen werden. Gefragt waren deshalb Forscher, ein passendes Lösungskonzept zu suchen, und Ingenieure, um aus dem Konzept eine real-nutzbare Lösung zu entwickeln. Dankenswerterweise gibt es im ZIP4.0 beides. Innerhalb weniger Wochen „steht“ die alternative Steuerung des Transportsystems: mit einem Zusammenspiel cyberphysischer Systeme, die jeweils für ein Segment der Rollenbahn zuständig sind, und die auf einige zentral angebotene Dienste zurückgreifen. Ein auf den ersten Blick einfaches Prinzip, dessen Umsetzung allerdings einiges an Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten bedurfte. Die Zukunft der Fabrik hat im ZIP4.0 schon Formen angenommen.
https://lswi.de/industrie-40-labor
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2021 „Aufbruch“ (PDF).