Natürlich sind wir klüger als Androiden. So dachten wir jedenfalls, als uns Tim Bosse im Medieninnovationszentrum Babelsberg (MIZ) die Ausgangssituation eines ominösen Tests erklärte: Ein vom MIZ gefördertes Projekt unter Leitung eines gewissen Linus Reber habe eine starke künstliche Intelligenz geschaffen, die kreativ und selbstständig Aufgaben lösen kann – eine Weltneuheit. Um diese zu validieren, müssen die Androiden jedoch ein Testverfahren durchlaufen, das parallel von Nicht-Androiden wie meiner Kollegin Agnes Bressa und mir absolviert wird. Nach dieser kurzen Einführung schickt uns Tim Bosse – der letzte echte Mensch, den wir in den nächsten 90 Minuten zu Gesicht bekommen – in einen fensterlosen Raum mit einigen rätselhaften Gegenständen und Bildern. Von nun an sind wir auf uns allein gestellt, zumindest beinahe. Unsere einzigen Helfer sind eine Sprachassistentin namens KIM und Prof. Dr. Korbinian Ihlendorf, der uns in kurzen Filmen Hinweise darauf gibt, was wir zu tun haben.
Wir befinden uns nicht in der näheren Zukunft oder einem Science-Fiction-Film, sondern in einem Spiel, das von Studierenden der Universität Potsdam und der Fachhochschule Potsdam im Bachelor Europäische Medienwissenschaft entwickelt wurde. Das Escape Game AI.CUBE ist ein Projekt der beiden Hochschulen in Zusammenarbeit mit dem MIZ. Es entstand in einem Seminar unter Leitung von Tim Bosse vom MIZ und Dr. Katrin von Kap-herr von der FH Potsdam.
Am 1. November 2021 öffnet der AI.CUBE im MIZ seine Tür für Spiellustige zunächst bis Ende Januar. Danach soll er eventuell an die FH Potsdam versetzt werden. Mitmachen können Jung und Alt, nur volljährig müssen die Spielerinnen und Spieler sein. Und das Spiel ist kostenlos, etwas Besonderes. Schließlich müssen sonst meist 100 bis 120 Euro von einem vierköpfigen Team ausgegeben werden. „Die kommerziellen Spiele haben vor allem einen Eventcharakter“, sagt Bosse. „Da muss zum Beispiel in 60 Minuten eine Bombe entschärft werden.“ Doch auch wenn Spannung und Erlebnis im Babelsberger Escape Room nicht zu kurz kommen, ist hier auch Gelegenheit zum Knobeln und zur Teamarbeit.
„Es ist viel Leidenschaft in das Projekt geflossen“, sagt Bosse. „Und wir haben alles mit großer Sorgfalt erarbeitet.“ Wichtig war es ihnen, den Spielerinnen und Spielern Wissen über Künstliche Intelligenz zu vermitteln. Schließlich finanziert sich das MIZ als Einrichtung der Medienanstalt Berlin-Brandenburg aus Rundfunkgebühren und hat damit einen Bildungsauftrag. Regelmäßig arbeitet Bosse mit Hochschulen zusammen. Die Projekte kreisen dabei meist um einen Themenschwerpunkt, den sich das MIZ alle ein bis zwei Jahre neu setzt – diesmal „Künstliche Intelligenz“.
Schon 2019 hatten Tim Bosse und Katrin von Kap-herr die Idee, mit Studierenden ein Escape Game zu entwickeln. „Wir mögen beide Escape Rooms und kannten das Prinzip“, sagt Tim Bosse. Bei ihrer Recherche besuchten die beiden mehrere solcher Spielräume in Berlin. Dort kamen sie auch mit deren Macherinnen und Machern ins Gespräch und holten sich erste Anregungen. Im Sommersemester 2020 sowie im Wintersemester 2020/21 fand dann das Seminar mit 16 Studierenden statt, die sich nach einer intensiven Entwicklungsphase in eine Rätsel- und Baugruppe sowie eine Mediengruppe aufteilten. In der Baugruppe ging es darum, knifflige Aufgaben zu entwerfen, die die menschliche, natürlich einzigartige Intelligenz unter Beweis stellen – und die später von anderen, unwissenden Studierenden getestet wurden. „Am Schluss haben wir uns auf die besten Rätsel und Aufgaben geeinigt, die im Spiel zu lösen sein sollen“, so Bosse.
Johann Frederik Paul studiert im Bachelor Europäische Medienwissenschaft und hat den Escape Room in der Mediengruppe mitentwickelt. „Wir haben sehr viel Begleitmaterial wie Filme, Plakate oder Zeitungsbeiträge für den Raum und die Experience um ihn herum erstellt“, sagt Paul. Darunter etwa eine kleine Nachrichtensendung, die im Warteraum des Escape Rooms läuft. „Besonders Spaß hat mir das Sprechen dieser Sendung vor einem Green Screen gemacht.“ Der Student war auch beeindruckt davon, wie eng das Team online zusammenarbeiten konnte. Denn wegen der Pandemie fand das Seminar zunächst nur im virtuellen Raum statt und wurde auf zwei Semester ausgedehnt.
Was der Student im Seminarprojekt gelernt hat? „Unfassbar viel über Künstliche Intelligenz! Bevor wir überhaupt die Rätsel- und Medienproduktion starten konnten, mussten wir einen Crashkurs zur aktuellen Forschung absolvieren“, erzählt Johann Frederik Paul. „Wir hatten wirklich viel Zeit, konnten mit vielen Prototypen arbeiten und uns mit Denk- und Kreativprozessen auseinandersetzen.“ Mit Künstlicher Intelligenz hat er sich schon vorher im Studium befasst: „Es war nicht mein erstes und nicht mein letztes Seminar dazu, aber definitiv das umfangreichste“, sagt Paul. „Wir haben sehr viele Informationen in den Escape Room gepackt, daher kann ich ihn als Einstieg in die Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz nur empfehlen.“ Nützlich war es, dass zwei Studierende mit Schauspielerfahrung am Seminar teilnahmen. Äußerst professionell wirkten daher nicht nur die Video-, sondern auch die verschiedenen Textbeiträge – sie entsprechen den Ansprüchen an Qualitätsjournalismus. Würde denn alles, was in den Texten steht, auch wahr sein ...
A propos: Zurück zu uns im Kampf gegen superschlaue Androiden. Eigentlich haben wir uns ganz gut geschlagen. Zwar waren wir immer mal für ein paar Momente ratlos, aber dann hatte eine von uns beiden einen Einfall und es ging weiter. Wir freuten uns, als das Ende in greifbarer Nähe war. Hungrig waren wir schließlich inzwischen auch. Und ziemlich stolz darauf, wie kreativ und selbstständig wir Aufgaben lösen konnten, wo doch manchmal sogar die Aufgabenstellung fehlte! Doch dann kam alles anders – eine Katastrophe bahnte sich an und wir mussten, Hunger hin oder her, weiterspielen, um sie abzuwenden. Mehr kann ich leider nicht verraten. Nur so viel: Wir haben es NICHT geschafft! Getröstet hat uns nur, dass wir damit nicht die einzigen waren – das haben uns jedenfalls die Spieleentwickler gesagt. Also, wer bringt unsere missglückte Mission erfolgreich zu Ende?
Zur Anmeldung für den AI.CUBE: https://www.miz-babelsberg.de/ai-cube
Über das Medieninnovationszentrum Babelsberg (MIZ)
Als Einrichtung der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) fördert das MIZ Babelsberg Medienkompetenz und innovative Medienprojekte, um die Medienvielfalt in der Region zu stärken. Mit Projekten wie dem AI.CUBE ermöglicht das MIZ einerseits Studierenden, Praxiserfahrung im Bereich Medienproduktion zu sammeln. Andererseits lernen interessierte Bürgerinnen und Bürger mehr über neue Technologien wie z. B. künstliche Intelligenz und ihre Chancen und Herausforderungen für die Medienlandschaft.