Während wir das Interview führen, trifft eine wichtige Meldung vom Weltraumteleskop Hubble ein: „I am looking at the Star SST2011-J081929.00+704219.3 with Cosmic Origins Spectrograph for Dr. Lidia Oskinova“. In genau diesem Moment blickt Hubble also auf ein Forschungsobjekt von Lidia Oskinova, nur zwei Stunden später wird das Teleskop bereits auf einen anderen Teil des Weltraums ausgerichtet. Unter spacetelescopelive.org kann jeder die aktuellen Beobachtungen des weltweit bekanntesten Teleskops in der Erdumlaufbahn live verfolgen.
Computermodelle und Gender Bias in der Astronomie
Die Forschungsprojekte von Lidia Oskinova drehen sich alle um eine bestimmte Art von Sternen, die Röntgenstrahlen aussenden und mehr als zehn Mal so viel Masse besitzen wie unsere Sonne. „Diese sogenannten massereichen Sterne sind in unserer Galaxie eher selten. Da sie jedoch mehr Energie besitzen und heller strahlen als andere Sterne, dominieren sie unseren Nachthimmel“, sagt Oskinova. Am Ende ihres Lebens kollabieren diese Sterne durch ihre große Masse zu Neutronensternen mit sehr hoher Dichte oder sogar zu schwarzen Löchern. „Wir messen zwar nur das Licht, aber wir wollen verstehen, woraus die Sterne bestehen und was sie mit ihrer Umgebung machen. Dazu nutzen wir den PoWRCode.“ Die Potsdam Wolf-Rayet Models (PoWR) wurden in den 1990er Jahren vom damaligen Professor für Astrophysik Wolf-Rainer Hamann entwickelt und sind inzwischen zu einem international vielbeachteten, leistungsfähigen Computercode „made in Potsdam“ geworden.
Doch vor jeder Untersuchung gilt es, Beobachtungszeit an den Weltraumteleskopen einzuwerben. Und das ist nicht so einfach, wie man es sich vorstellen mag: Für eine Beobachtungszeit von einigen Stunden muss ein umfassender, wissenschaftlich fundierter Antrag gestellt werden, der von einem unabhängigen Gutachtergremium bewertet wird. Darin muss überzeugend dargestellt sein, was beobachtet werden soll und warum. Lediglich 10 bis 20 Prozent aller Anträge werden tatsächlich bewilligt. „Auswertungen aller Anträge über die letzten Jahre haben ergeben, dass es dabei für Frauen und auch für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viel schwieriger ist, Beobachtungszeit einzuwerben. Für etablierte Forschende ist die Wahrscheinlichkeit der Bewilligung dagegen höher“, sagt die Astrophysikerin. „Seit es eine Doppelblind-Bewertung gibt, ist das Begutachtungsverfahren fairer geworden.“ So wurde der „Gender Bias“ für das Hubble-Weltraumteleskop inzwischen korrigiert, die anderen Teleskop-Teams wollen jetzt nachziehen.
Kosmische Neonlichter
Mit dem Röntgenteleskop XMM-Newton hat Lidia Oskinova jüngst eine sehr ungewöhnliche Sternenart aufgespürt. Das Objekt mit dem exotischen Namen IRAS 00500+6713 besteht aus einem Zentralstern, der von einem mehrere Millionen Grad heißen Nebel aus Gas und kühlerem Staub umgeben ist. Der Nebel leuchtet hell im Röntgenbereich, speziell im Neonlicht. Das Team um Lidia Oskinova ist überzeugt, dass es sich hierbei um die Überreste zweier weißer Zwergsterne handelt, die miteinander kollidierten. Bei dem neonreichen Nebel handelt es sich um das im Zuge dieses Ereignisses ausgeworfene Material. Seit einigen Jahren ist außerdem bekannt, dass vom Zentralstern ein rekordverdächtiger Sternwind ausgeht – mit einer Geschwindigkeit von 16.000 Kilometern pro Sekunde! „Außer Strahlung senden massereiche Sterne Partikelströme mit unglaublich hoher Geschwindigkeit ins All. Dadurch verlieren die Sterne über die Zeit sehr viel Masse“, beschreibt Lidia Oskinova ihre Beobachtungen. Seit vielen Jahren arbeitet sie mithilfe des PoWR-Computercodes an der Theorie und spektroskopischen Analyse von Sternwinden.
Der Röntgenblick in die Zukunft
Da sich das Röntgenteleskop XMM-Newton der ESA seit über 20 Jahren im Orbit befindet, laufen Planungen für zwei neue astronomische Instrumente: ATHENA, ein Teleskop für hochenergetische Astrophysik, und das Laser-Interferometer LISA, das erste Observatorium für Gravitationswellen im Weltall. Gravitationswellen entstehen, wenn Weltraumobjekte mit extrem hoher Dichte, wie Neutronensterne oder schwarze Löcher, miteinander verschmelzen. Die von Lidia Oskinova erforschten massereichen Sterne bilden die Vorläufer dieser exotischen Objekte: „Somit gibt es eine Verbindung zwischen dem, was wir täglich mit bloßem Auge am Nachthimmel beobachten, und den unsichtbaren Gravitationswellen, deren Existenz man sich kaum vorstellen kann“, sagt sie. Obwohl der Start der Missionen frühestens in zehn Jahren erfolgen wird, freut sie sich bereits auf neue, spannende Daten aus den Tiefen des Alls.
Die Forscherin
Apl.Prof. Dr. Lidia Oskinova studierte Astronomie an der Universität St. Petersburg, wo sie auch ihren Doktortitel erwarb. Danach forschte sie zunächst an der Universität Glasgow in Schottland. 2002 kam sie an die Universität Potsdam, wo sie sich 2013 habilitierte. Seit 2020 ist Lidia Oskinova außerplanmäßige Professorin für Astrophysik.
E-Mail: lida.oskinovauuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2021 „Aufbruch“ (PDF).