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„Über die Logik des Vergleichs“ – Prof. Dr. Thomas Sommerer ist ein Kenner internationaler Organisationen und der kulturellen Eigenheiten Schwedens und Deutschlands

Prof. Dr. Thomas Sommerer ist neu ernannter Professor für Politikwissenschaft, insbesondere internationale Organisationen (IO). | Foto: Inga Sommer
Foto : Inga Sommer
Prof. Dr. Thomas Sommerer ist neu ernannter Professor für Politikwissenschaft, insbesondere internationale Organisationen (IO).

„Zwar funktioniert in der Pandemie alles irgendwie, aber das Schöne fällt leider weg“, bedauert Thomas Sommerer, seit Oktober 2020 neu ernannter Professor für Politikwissenschaft, insbesondere internationale Organisationen (IO). Sich mit den neuen Kollegen in Potsdam persönlich zu treffen oder das Büro einzurichten, war ihm bislang kaum vergönnt. Dabei möchte er als Neuankömmling an der UP Routinen etablieren und sein Team aufbauen. Sommerer ist motiviert, bringt viele Ideen aus Schweden mit, wo er die vergangenen sieben Jahre an der Universität Stockholm arbeitete. „Meine schwedischen Kollegen sind beeindruckt, dass viele Professoren hierzulande ein Vorzimmer oder eine Sekretärin haben – so etwas gibt es in Schweden nicht! Sie verabschiedeten mich mit den Worten: „Du gehst ja nur nach Deutschland, damit deine Kollegen Dich endlich Hr. Prof. nennen!“ Sommerer lacht augenzwinkernd.

Der Name prägt den eigenen Charakter, behauptet die Psychoanalytik. Thomas Sommerer scheint der Beweis: Welch passend strahlender Nachname für einen angenehm fröhlichen Mann. Selbstreflektiert mit der Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, nimmt sich Sommerer weder zu ernst noch zu wichtig. Dabei sind die Themen seiner Forschung von globaler Relevanz und aktueller Brisanz: Sie konzentrieren sich auf Organisationsstrukturen und Effektivität von IOs sowie Fragen von Legitimität und demokratischen Prozessen jenseits des Nationalstaates. Es geht dem Politikwissenschaftler um die Frage, ob IOs die Probleme lösen, für die sie geschaffen wurden. Dabei wird Effektivität nicht ökonomisch, sondern als Zielerreichung breiter gefasst. „Wir wissen sehr wenig über diese Effektivität, weil es ein schwieriger Forschungsgegenstand, aber eben auch ein politisch relevantes Thema ist“, erklärt Sommerer. „Umso mehr IOs auch aus politischen Gründen unter Druck geraten, desto eher müssen sie Ergebnisse liefern.“

Thomas Sommerer wurde 1977 in Leonberg geboren und wuchs in Süddeutschland auf, wo er sich auch während unseres Zoom- Interviews aufhält. „Heimat war für mich immer etwas relativ Gespaltenes – weil ich im Schwabenland aufgewachsen bin – und auch etwas Abstraktes durch meine vielen Umzüge“, erzählt Sommerer offenherzig. „Ich frage mich, ob Heimat austauschbar ist, und komme zu dem Ergebnis, dass sie für mich kein konkreter Ort, sondern eher daran geknüpft ist, was man an bestimmten Orten erlebt.“ Tatsächlich habe er erst in Schweden über Heimat reflektiert und Deutschland erstmals als kulturelle Heimat empfunden.

Nach der Geburt seiner Tochter 2012 in Stockholm nahm Thomas Sommerer Elternzeit. „Schweden ist ein sehr familienfreundliches Land, was bspw. Arbeitsnormen, Einkommensverteilung, Kleinkinderbetreuung etc. angeht. Ganztagsbetreuung ist dort Standard, da beide Eltern arbeiten und Meetings ausschließlich vor 15 Uhr angesetzt werden“, erzählt er von seinen Auslandserfahrungen. „Die Einkommensstruktur ist deutlich auf die Mitte konzentriert, aber gleichzeitig nach oben gedeckelt. Diese Aufteilung nähert sich einem Ideal wenigstens an.“ Dennoch sei er immer wieder fasziniert davon, dass Schweden das einzige Nachbarland für Deutsche ist, das ausschließlich positiv konnotiert ist.

„Und ich bin überrascht, dass ich mich seit der Rückkehr schier rechtfertigen musste, warum ich nach Deutschland zurückgekommen bin“ Die schwedische soziale Zurückhaltung mache es nämlich auch mühsam, sich ein soziales Netz aufzubauen – noch kontrastiert durch den freundlichen Umgangston. Was Lebensentwürfe und Freizeitverhalten angeht, hat Sommerer auch einen starken Konvergenzdruck empfunden, welcher eine gewisse (kulturelle und soziale) Monotonie erzeuge. Gleichermaßen seien der Wohnungs- und Arbeitsmarkt sehr exklusiv, die Schulen zudem deutlich schlechter, als man sich in Deutschland vorstellt. „Fehlende Hierarchien und Konsenskultur sind einerseits angenehm,“ sagt er, „Andererseits ist die Entscheidungsfindung oft sehr schwerfällig und zäh.“

An der Uni Potsdam wird Sommerers Expertise als Politikwissenschaftler in aktuellen Krisenzeiten bereits sehr geschätzt. „Mit Blick auf die Pandemie und das ‚Impfdesasters‘ haben wir derzeit ein treffendes Beispiel einer Legitimitätskrise direkt vor Augen“, unterstreicht er die Brisanz seines Forschungsthemas. Er untersucht, wie Krisen verlaufen und wer die Kritiker internationaler Institutionen sind. Dabei seien seine Fragen von Legitimität und Effektivität insofern verwandt, als dass IO permanent unter Druck stünden, sich legitimieren zu müssen. „In den vergangenen Jahren haben wir das deutlich anhand des Brexits oder Trumps Verhalten verfolgen können, aber auch anhand nationalistischen (oder rechtspopulistischen) Widerstands gegen den Multilateralismus per se.“ Die Performance einer IO sei dabei ein weiterer Faktor, der ihre Legitimität beeinflusse: „Legitimität ist wie ein Schmiermittel, das Effektivität fördert“, vergleicht Sommerer. „Wie bei der „EU Impfkrise“ ist es ein Problem, dass die Einstellungen vieler Bürgerinnen und Bürger selten wissensbasiert, sondern medial beeinflusst sind.“ Während Entscheidungen von IO sonst eher abstrakt für die Öffentlichkeit seien, ist in der Corona-Krise plötzlich von allgemeinem Interesse, was die EU macht. Dabei gewinne leider meistens ein einfaches Narrativ. Am Beispiel des „Impfdesasters“ diagnostiziert der Politikwissenschaftler auch eine Legitimitätsgefahr für die EU: „Die Leute verstehen bspw. nicht, warum England mehr Impfdosen hat, als wir und folgern daraus: Die EU ist eine lahme Ente!“ Sommerers Ziel ist es nun zu zeigen, welche institutionellen Regeln und Strukturen eine IO zu einer „lahmen Ente“ machen – und was man dagegen unternehmen könnte. Er hofft, dass in 15 Jahren ein Rückblick zeigen wird, dass demokratische Institutionen auch auf internationaler Ebene robust genug waren und sich zum Besseren entwickelt haben.

Sommerer selbst scheut den Blick zurück nicht, auch wenn er vor Wehmut nicht feit. „Wenn ich an meine Promotion zurückdenke, fühle ich mich gleich wieder alt!“ meint er achselzuckend. Er promovierte 2009 in internationaler Umweltpolitik und plant, im SoSe 2021 das Thema in einem Seminar an der UP aufzugreifen. Als Forscher hat er es hingegen verlassen, denn „manche Themen kann man nur einen wissenschaftlichen Zyklus lang verfolgen – so ticke zumindest ich als Wissenschaftler“. Karrieretechnisch gesehen sei das nicht immer förderlich gewesen, aber die Auseinandersetzung mit neuen Themengebieten habe ihn mehr gereizt. „Es ist wie mit dem Erlernen einer neuen Fremdsprache als Erwachsener – in Stockholm habe ich anfangs unbeholfen wie ein Kind geklungen.“ Für einen jungen Akademiker wie ihn, der als frisch promovierter Politikwissenschaftler aus Deutschland ernst genommen werden wollte, eine nachvollziehbar fordernde Situation, aber: „Das muss man aushalten können und für mich war das eine tolle Erfahrung.“

 

Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2021 „30 Jahre Uni Potsdam“ (PDF).