Ist die Welt noch zu retten?
Unsere Erde hat schon einiges hinter sich, sie wird auch den Eingriff des Menschen überdauern. Die Frage ist vielmehr, wie wir Menschen auf diesem Planeten noch zu retten sind. Wenn wir klug sind, setzen wir unser Wissen, wie wir den menschengemachten Klimawandel stoppen können, in die Tat um. Dann können wir „unsere Welt“ retten.
Ist das Glas bei Ihnen eher halbvoll oder halbleer?
Im Affekt häufig halbleer, aber nach etwas Überlegung dann doch eher halbvoll. Die Annahme, dass Glas sei halbvoll, bringt mich in der Regel weiter.
Auto oder Fahrrad?
Fahrrad für die alltäglichen Wege, außer für den Familieneinkauf im Supermarkt.
Was würden sie antworten, wenn jemand sagt: Auf den Klimawandel können wir auch noch „morgen“ reagieren?
Die Nationen der Welt haben sich bereits 1992 auf dem Erdgipfel in Rio darauf verständigt, einen gefährlichen Eingriff des Menschen in das Klimasystem zu vermeiden. Seitdem sind die Treibhausgasmissionen mit wenigen Ausnahmen Jahr für Jahr gestiegen. „Morgen“ war gestern, jetzt ist übermorgen.
Sie haben im vergangenen Jahr gesagt, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, müssten wir „ungefähr um die Jahrhundertmitte global bei netto null CO2-Emissionen liegen“. Ist das noch zu schaffen?
Wir haben gerade eine Untersuchung von 1,5 Grad Szenarien in der Literatur vorgelegt, die zeigt, wie schwierig es geworden ist. Nur wenn wir alle Optionen zum Klimaschutz umgehend weltweit an den Start bringen, können wir hoffen, die Erwärmung langfristig auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Seit dem Erdgipfel in Rio haben wir 30 Jahre mit steigenden Emissionen zugebracht, jetzt müssen wir in weiteren 30 Jahren die gestiegenen Emissionen auf null bringen. Wir können keine weiteren Jahre verschenken.
Was müsste dafür getan werden?
Wir müssen unsere Energie- und Landnutzung binnen 30 Jahren komplett auf Emissionsneutralität umstellen. Sieben Schritte sind dabei zu gehen: Schnelle Dekarbonisierung der Stromerzeugung, Elektrifizierung der Energienutzung, Senkung der Nachfrage nach nicht-elektrischen Energieträgern, Umstellung auf CO2-arme Kraftstoffe, Reduktion der Emissionen aus der Landwirtschaft, nachhaltige Landnutzung und Bindung von CO2 aus der Atmosphäre. Damit dies alles koordiniert geschehen kann und genügend Anreize für klimafreundliche Innovationen gegeben werden, brauchen wir einen hohen Preis auf Treibhausgasemissionen, der so flächendeckend wie möglich ist. In unseren Modellrechnungen finden wir 100-200€/ tCO2 im Jahr 2030. Damit dies nicht zu sozialen und internationalen Verwerfungen führt, müssten die Einnahmen aus der Treibhausgasbepreisung zugunsten einkommensschwacher Haushalte rückverteilt und Entwicklungsländer beim Umbau unterstützt werden.
Warum hört die Politik nicht auf die Wissenschaft?
Gute Frage. Die Politik hat privilegierten Zugang zu wissenschaftlicher Beratung, und sie macht davon Gebrauch. Die Tatsache, dass die Politik der Wissenschaft zuhört, heißt aber noch nicht, dass sie das aus wissenschaftlicher Sicht Ratsame auch tut. Auch in der Corona-Pandemie hat sich das gezeigt. Die Politik muss an verschiedensten Stellen auf einen hohen Druck reagieren. Es geht darum, Mehrheiten zu gewinnen und zu halten. Und da ist oft der Weg des geringsten Widerstands der verlockendste. Das ist ein entscheidender Grund, warum in den vergangenen 30 Jahren beim Klimaschutz wenig passiert ist, obwohl wir immer besser verstehen, welche dramatischen Folgen der ungebremste Klimawandel haben wird.
Hat die Corona-Pandemie diesbezüglich etwas verändert?
Vermutlich werden wir noch einige Jahre warten müssen, um das abschließend sagen zu können. Während der ersten Welle war ich noch begeistert, wie rational und wissenschaftsbasiert der politische und öffentliche Diskurs verlief. Nach der zweiten und dritten Welle hat sich das ins Gegenteil gekehrt. Es dauerte nicht lange, bis eine lautstarke Bewegung von Corona-Leugnern entstand und so mancher Politiker und manches Medium versuchte, die Wissenschaft herabzusetzen oder ihre Vertreter gegeneinander auszuspielen. Diese Muster kennen Klimaforscherinnen und -forscher nur zu gut. Was mich ernüchtert hat, war, dass selbst die viel größere Unmittelbarkeit der Pandemie daran nichts entscheidend zu ändern schien. Obwohl die Folgen nicht global verteilt und Jahre in der Zukunft lagen, sondern sich unmittelbar in den Intensivstationen der benachbarten Krankenhäuser abspielten, hat die Politik die zweite und dritte Welle nicht wirksam bekämpft, obwohl sie es besser hätte wissen können und vermutlich auch besser wusste. Das macht mich nachdenklich. Demokratien leben von Entscheidungsfindungen in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs. Wenn diese im Kern rational ablaufen, ist das demokratische Verfahren unschlagbar. Wenn wir in solchen Diskursen jedoch zunehmend den kollektiven Verstand verlieren, haben wir ein Problem.
Haben Sie schon mal gesagt: Ich hab’s euch doch gesagt!?
Das will keiner hören, und ich kann verstehen weshalb. Wenn ich es denke, versuche ich, es für mich zu behalten.
Setzen Sie sich selbst lieber kurzfristige oder langfristige Ziele?
Kommt ganz darauf an, ich habe da kein System. Langfristige Ziele sind wichtig, um die Richtung zu weisen, verleiten jedoch zu einem beruhigten Nichtstun. Auch hier gilt die Analogie zum Klimaschutz. Es wird sehr viel über langfristige Ziele geredet, im Pariser Abkommen sind sie sogar von der 2-Grad-Grenze auf deutlich unter 2 Grad und 1,5 Grad verschärft worden, obwohl die Emissionen seit 25 Jahren gestiegen waren. Es braucht also beides, Kurzfrist- und Langfristziele. Im Moment z.B. ist es wichtig, darüber zu reden, wie – und nicht ob – Deutschland und die EU Treibhausgasneutralität bis 2045 bzw. 2050 erreichen wollen.
Hat sich Ihre Forschung schon in Ihrem Lebenswandel niedergeschlagen?
Ja, ich habe meinen Fleischkonsum seit 3 Jahren deutlich verringert.
Worauf zu verzichten würde Ihnen schwerfallen?
Der direkte Austausch mit den internationalen Kolleginnen und Kollegen auf Konferenzen und Workshops fehlt mir gerade. Die Pandemie hat gezeigt, dass viel mehr Austausch als gedacht auch virtuell möglich ist, aber nicht jedes physische Treffen ist ersetzbar. Gemeinsam in einem Raum zu sitzen und wissenschaftliche Fragestellungen zu diskutieren kann, wenn es gut läuft, eine besondere Qualität entwickeln, die virtuell schwer zu reproduzieren ist.
„The Day After Tomorrow“ (Roland Emmerich) oder „Eine unbequeme Wahrheit“ (Davis Guggenheim/Al Gore)?
„Eine unbequeme Wahrheit“. Wie Al Gore auf die Hebebühne stieg, um den gegenwärtigen Anstieg der CO2 Konzentration in der Atmosphäre zu verbildlichen, war eindrücklich. Die Geschwindigkeit des menschengemachten Klimawandels ist erdgeschichtlich einzigartig, binnen 60 Jahren ist die CO2 Konzentration auf einen Wert gestiegen, den es seit Millionen von Jahren nicht mehr gab. Al Gore ist es gelungen, die Bedrohung durch den Klimawandel und die Wege, ihr zu begegnen, in die Köpfe vieler Menschen zu bringen. Emmerichs Hollywood-Blockbuster tat dagegen, was ein Blockbuster so tut: viel Action mit einer Rahmenhandlung, die mit dem tatsächlichen Klimawandel wenig zu tun hat.
Warum haben Sie Physik studiert?
Als Schüler hat mich die Rückführung der materiellen Welt auf Grundgleichungen und Fundamentalkräfte sehr fasziniert. Ich wollte Physik studieren, um zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Es stellte sich heraus, dass das nicht im Angebot war. Physik ist nicht Metaphysik, und das ist ja auch richtig so. Und über die Dinge, die Gesellschaften im Innersten bewegen, gibt es in der Physik natürlich wenig zu finden. Trotzdem war das Physikstudium sehr wichtig für mich. Es schärfte meinen analytischen Blick und gab mir das quantitative Rüstzeug für meine heutige Forschung.
Wie sind Sie zum Klimaforscher „geworden“?
Ich bin gar kein klassischer Klimaforscher, sondern würde mich als Schnittstellenforscher zwischen den Disziplinen bezeichnen, wie sie transdisziplinäre Themen wie der Klimawandel hervorbringen können. Wir nutzen gekoppelte Energie-Land-Ökonomie-Klimamodelle, sogenannte Integrated Assessment Modelle, um zu einer integrierten Bewertung von Klimaschutzstrategien zu kommen. In meiner Diplomarbeit habe ich Daten eines Experiments der Teilchenphysik am CERN analysiert. Das hat viel Spaß gemacht, war aber weit weg von gesellschaftlichen Fragen. Nach Abschluss des Studiums habe ich mir ein paar Monate Zeit genommen und bin durch Deutschland getingelt, um verschiedene Richtungen für eine mögliche Doktorarbeit auszutesten. Das Thema Klimaschutz war Ende der 90er Jahre immer noch ein Randthema, hat mich aber aufgrund seiner Verknüpfung von Gesellschaft und Natur sofort fasziniert. So bin ich dann auf das damals noch junge Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und mein heutiges Forschungsthema gestoßen.
Wer ist Ihr Vorbild?
Ich habe nicht das eine Vorbild, bin aber zum Glück einigen Menschen begegnet, die in verschiedenen Bereichen Vorbilder sind.
Was war auf Ihrem Weg als Wissenschaftler ein Schlüsselmoment?
Die thematische Umorientierung für meine Doktorarbeit war sicherlich der wichtigste Schlüssel für meinen Werdegang als Wissenschaftler. Das ging schon bei meiner ersten Arbeitsgruppensitzung am PIK los. Dort duellierten sich Physiker und Ökonomen, wessen Konzepte die Forschungsarbeit prägen sollten. Mir war sofort klar, das machen die nicht zum ersten Mal. Und letztendlich entstanden aus dieser Reibung neue Ideen, die die Forschung weitergebracht haben. Einige weitere Schlüsselmomente bescherte mir die Tätigkeit als Autor für den 5. Sachstandsbericht und den 1,5 Grad Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC). Die Zusammenfassungen der Berichte für Entscheidungsträger müssen Wort für Wort von den Ländern in einwöchigen Sitzungen bestätigt werden. Das waren aufreibende Tage und schlaflose Nächte. Und am Ende stand die Erkenntnis, dass das funktionieren kann. Die wissenschaftliche Integrität der Berichte wurde gewahrt und die Länder fanden die Bezugspunkte, die sie wünschten. Der IPCC ist eine Erfolgsgeschichte der wissenschaftlichen Politikberatung.
Was bedeutet Ihnen Erfolg?
Erfolg tut gut und ist wichtig für die wissenschaftliche Karriere. Aber er ist nicht alles. Misserfolge gehören auch dazu, oft lässt sich aus ihnen mehr lernen als aus Erfolgen. Und Erfolg stellt sich manchmal auf verschlungenen Wegen ein. Meine Erfahrung ist, dass eine allzu lineare Erfolgsorientierung, das ständige Fragen „Was habe ich davon?“, nicht unbedingt zum Erfolg führt. Leidenschaft, Intuition und Kooperation sind die besseren Ratgeber.
Wie messen Sie ihn?
Erfolg ist, wenn die eigene Arbeit von Fachkolleginnen und -kollegen rezipiert und diskutiert wird. Und umso mehr, wenn sie auch Entscheidungsträger und die breitere Öffentlichkeit erreicht. Letztendlich ist jede inhaltliche Diskussion, die neue Gedanken hervorbringt und mich lernen lässt, ein Erfolg.
Was war Ihr größter Misserfolg?
Misserfolge gehören zur wissenschaftlichen Karriere dazu. Ein eingereichter Artikel wird abgelehnt, ein Drittmittelantrag scheitert. Das sind zwar Enttäuschungen, aber auch wichtige Erfahrungen, damit umzugehen und Dinge zu verbessern. Mein größter Misserfolg war vielleicht das Scheitern eines aufwendigen EU-Antrags, den ich koordiniert hatte und von dem wir als Konsortium sehr überzeugt waren. Wir hatten gerade erfolgreich einen Forschungszyklus abgeschlossen, darunter auch mehrere EU-finanzierte Projekte, und viele unserer Ergebnisse waren in den 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats eingeflossen. Nun dachten wir, mit diesem Projekt den nächsten Forschungszyklus beginnen zu können. Die Ablehnung holte uns unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Aufbau des neuen Forschungszyklus gestaltete sich dann deutlich mühsamer als erhofft.
Warum sind Sie nach Potsdam gekommen?
Um am PIK meine Doktorarbeit machen zu können.
Warum sind Sie geblieben?
Zwischenzeitlich war ich mit meiner Familie zu einem Forschungsaufenthalt an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh. Aber das PIK ist ein einzigartiger Ort, um zu den naturwissenschaftlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Aspekten des Klimawandels zu forschen und wissenschaftliche Politikberatung zu betreiben. Das, und die Tatsache, dass wir uns in Potsdam sehr wohlfühlen, hat uns zurückkehren und bleiben lassen.
Früher Vogel oder Nachteule?
Nachteule. War ich schon immer.
Was wollen Sie als Wissenschaftler erreichen?
Wir wollen mit unserer Forschung die Wegfindung in eine nachhaltige Zukunft unterstützen. Zum Beispiel haben wir gerade eine Reihe von Klimaszenarien zur Bewertung von Finanzmarktrisiken für ein Netzwerk von Zentralbanken erarbeitet.
Die integrierte Bewertung von Klimaschutzstrategien arbeitet stark mit Szenarien möglicher Zukünfte („Was kann passieren?“), wie auch zielorientierter Zukünfte („Was müsste passieren, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen?“). Sie sind so geschnitten, dass mit ihrer Hilfe die Implikationen verschiedener Handlungsmöglichkeiten und Annahmen analysiert werden. Auf diese Weise versuchen wir den Brückenschlag herzustellen zwischen natur- und sozialwissenschaftlichen Aspekten, zwischen kurzfristigen Maßnahmen und langfristigen Erwägungen, zwischen nationalen und internationalen Debatten und zwischen der Erreichung von Klimazielen und anderen gesellschaftlichen Zielen. Dass uns das in der notwendigen Konkretheit gelingt, ist eine immer neue Herausforderung.
Zu welchem Thema forschen Sie derzeit?
Als Leiter der Abteilung Transformationspfade am PIK – zusammen mit meiner Kollegin Katja Frieler – habe ich das Glück, mit einem großen Team ausgezeichneter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu verschiedenen Fragestellungen arbeiten zu können. Unsere Abteilung deckt die Bandbreite von Abschätzungen zukünftiger Klimaschäden über die Analyse der Transformation von Energie- und Landnutzung auf deutscher, europäischer und globaler Ebene bis hin zu Fragen der Politikinstrumente zur Gestaltung dieser Transformationsprozesse ab. Ich selbst leite ein EU-Projekt zur Entwicklung einer neuen Generation von Integrated Assessment Modellen, forsche zur Einbettung von Klimaschutzpfaden in einen breiteren Nachhaltigkeitskontext und bin am 6. Sachstandsbericht der IPCC-Arbeitsgruppe zur Emissionsminderung beteiligt.
Mit wem würden Sie gern einmal gemeinsam forschen?
Wir sind international bereits gut vernetzt, forschen in verschiedenen Projekten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Europa, Australien, Asien, Nord- und Lateinamerika. Gerne würde ich noch mehr zur politischen Ökonomie und zu institutionellen Fragen von gesellschaftlichen Transformationspfaden forschen, mit Kolleginnen und Kollegen aus den Sozialwissenschaften, die auch an Modellierung und Szenarienbildung interessiert sind. Auch Forschung zum Thema Digitalisierung, Zukunft der Arbeit, Ungleichheit und Energienutzung finde ich sehr interessant.
Welche Entdeckung hätten Sie selbst gern gemacht?
Mit dieser Frage kann ich nicht so viel anfangen. Ich finde viele Entdeckungen toll, aber warum sollte ich wollen, dass ich die gemacht hätte? Gut, dass sie gemacht worden sind, ganz unabhängig von mir. Vielmehr bewegt mich die Frage, was würde ich gerne herausfinden? Und da fallen mir eine Reihe von Dingen ein, Empirie mit Prozessverständnis und Modellierung zu verknüpfen: Wo greift der Klimawandel am stärksten in den Wachstumsprozess ein und was bedeutet das für zukünftige Klimaschäden? Mit welcher Strategie lassen sich soziale Gerechtigkeit, Innovation und Klimaschutz am besten verbinden? Und welche neuen Ideen zur Emissionsminderung gibt es, die globale CO2-Neutralität im Jahr 2050 erreichbarer machen könnten?
Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf am besten?
Der Blick aufs große Ganze, das Privileg, beruflich über die Zukunft der Welt nachdenken zu dürfen, und die Reichhaltigkeit und Transdisziplinarität des Klimathemas. Es gibt wenige Themen unserer Zeit, bei denen sich kein Bezugspunkt zum Klimawandel finden ließe. Und die tägliche Arbeit in einem inspirierenden Team, das sich gemeinsam der integrierten Bewertung von Klimawandel und Klimaschutz verschrieben hat.
Was (gar) nicht?
Die Jagd nach Drittmitteln wird zu einer Tretmühle, wenn über die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darüber finanziert sind. Drittmittel ermöglichen es uns, ein breites und gesellschaftlich relevantes Themenspektrum unserem Potenzial entsprechend abzudecken. Aber sie führen auch zu einem stetigen Kreislauf von Anträgen, Projekttreffen und -berichten, der zermürbend sein kann. Am schwierigsten ist es, vielen jungen und hervorragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern keine langfristige berufliche Perspektive bieten zu können, selbst wenn wir sie gerne halten würden.
Welchen Rat würden Sie jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit auf den Weg geben?
Ich würde ihnen raten, in sich hineinzuhören und der eigenen Intuition und Leidenschaft zu folgen, auch wenn die Zukunftsperspektiven noch unklar sind. Gute Wissenschaft beginnt mit einer guten Frage. Wer solche Fragen stellen kann, Dingen auf den Grund gehen will und Erkenntnis der Erkenntnis oder des gesellschaftlichen Fortschritts willen sucht, für die oder den könnte die Wissenschaft das Richtige sein. Aber Wissenschaft bedeutet unweigerlich auch Wettbewerb, denn eine neue Erkenntnis kann nur einmal veröffentlicht werden. Dem muss man sich stellen wollen, stressfrei ist das nicht. Was in Deutschland die Situation für angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schwieriger macht, ist das Fehlen eines klaren Karrierewegs. Es bleibt daher ein Abenteuer, sich auf diesen Weg zu machen. Ob man das will, ist eine individuelle Entscheidung, und hängt natürlich auch von anderen Faktoren als der wissenschaftlichen Befähigung ab.
Welches Buch, das Sie kürzlich gelesen haben, ist Ihnen im Gedächtnis geblieben?
„Life 3.0: Being Human in the Age of Artificial intelligence“ von Max Tegmark. Zwar ist der Satz, dass KI weder künstlich noch intelligent sei, in vieler Munde. Doch Tegmark hat mich überzeugt, dass die Zutaten für ein neues Zeitalter autonomer, selbstlernender, und mit kognitiven Fähigkeiten ausgestatteter Maschinen angerührt sind, wenn man über die nächsten paar Jahre hinausdenkt. Was Tegmarks Buch für mich so interessant macht, ist, dass er sich mehr mit der Frage beschäftigt, was es bedeuten wird, im Angesicht solcher Maschinen Mensch zu sein und Wirtschaft und Gesellschaft zu organisieren. Wir stehen vor einem fundamentalen Umbruch, der sich parallel zu und eng verwoben mit den fundamentalen Umbrüchen durch den Klimawandel, dem Ringen um soziale Gerechtigkeit und dem Ringen von Demokratie und Autokratie vollzieht. Und wie es solche Umbrüche erfordern, stellt Tegmark die dringende Frage, wie wir das neue Maschinenzeitalter gestalten wollen.
Wie sieht Ihr Ausgleich zur Wissenschaft aus?
Familienunternehmungen, raus in die Natur, in spannende Geschichten abtauchen, und einfach mal nichts tun. Zugegebenermaßen mache ich das im Moment viel zu selten.
In welcher Situation in Ihrem Leben hatten Sie Glück?
Ich würde sagen, ich hatte im Großen und Ganzen Glück. In Frieden und Wohlstand in einer freien Gesellschaft in einem intakten Elternhaus aufwachsen zu können, mit meiner Frau eine Familie zu gründen, und die Kinder wachsen und selbstständig werden zu sehen, ist Glück.
Der Forscher
Prof. Dr. Elmar Kriegler studierte Physik an der Universität Freiburg und promovierte in Physik an der Universität Potsdam. Er ist Leiter der Forschungsabteilung „Transformationspfade“ am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und seit 2021 Professor für Integrated Assessment of Climate Change an der Universität Potsdam.
E-Mail: elmar.kriegleruuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2021 „Aufbruch“ (PDF).