Wann und wie sind Sie an die Universität Potsdam gekommen?
Nach einer fünfjährigen Tätigkeit als Lehrerin in der Nähe von Dresden, wo ich auch studiert habe, wurde ich 1979 an das in Gründung befindliche „Institut für die Weiterbildung ausländischer Deutschlehrer“ (IWD) in Brandenburg an der Havel versetzt, das als spezialisierte Bildungseinrichtung lose an die Pädagogische Hochschule Potsdam angebunden war. Die Versetzung geschah nicht auf eigenen Wunsch, sondern auf Vorschlag der Fachberaterin, die mich mit diesem Ortswechsel aus der Schusslinie bringen wollte, in die ich mit kritischen Äußerungen zur Biermann-Affäre geraten war.
Die Arbeit am IWD erwies sich als spannend und anspruchsvoll, zumal es am Anfang weder ein Kurskonzept noch Lehrmaterial gab. Zehn Jahre später, 1989, wurde das inzwischen namhafte Institut aufgelöst. Es teilte damit das Schicksal mehrerer wissenschaftlicher Einrichtungen in und um Potsdam, die man als Reservoir für eine neu zu gründende Universität verstand, sodass die meisten Beschäftigten bis auf Weiteres nicht aus dem Hochschuldienst entlassen wurden. Die nachfolgenden, teils fachlich, teils politisch motivierten Evaluationen bei laufendem Betrieb brachten dann Klarheit, wer bleiben durfte und wer nicht. 1994 erhielt ich, mittlerweile promoviert, eine Zuordnung als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Germanistik, Bereich Didaktik DaF/DaZ. Das war eine komfortable Position, verglichen mit der Abdrängung in periphere Bereiche der Uni oder auf „k.w.“-Stellen, wie sie nicht wenige Kolleginnen und Kollegen hinnehmen mussten.
Was hat Sie bewogen, in dieser Zeit des Umbruchs an einer gerade erst gegründeten Hochschule zu arbeiten?
Ich kam 1989 aus dem „Babyjahr“ und hatte eigentlich keine andere Wahl. Die Außenstellen der ehemaligen PH und die spezialisierten Institute im Umkreis von Potsdam hatten zunächst schlechtere Karten, in die Strukturen der Universität eingegliedert zu werden. Man spürte eine gewisse Reserviertheit des Stammpersonals nach dem Muster „Das Boot ist voll“. Das konnte ich nicht akzeptieren und setzte mich deshalb in den damals sehr gut besuchten Vollversammlungen lautstark für ein transparentes Verfahren der Zuordnung geeigneter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Als eine Kollegin ohne „Stallgeruch“ war ich unbelastet von den Verteilungskämpfen in manchen Bereichen und von persönlichen Erfahrungen mit einzelnen Kollegen. Über Nacht fand ich mich in der Rolle der Gewerkschaftssprecherin der Hochschule wieder, war Mitgründerin der Landesfachgruppe Hochschule und Forschung der GEW sowie kurz darauf auch Mitglied der Bundesfachgruppe und mischte umgehend als Dreifachquote (weiblich, aus dem Osten, nicht-schulischer Bereich) im Hauptvorstand der GEW mit. Zeitgleich wurde ich in mehrere Senatskommissionen kooptiert. Ich sah in diesen Funktionen einige der wenigen Möglichkeiten, Ost-Erfahrungen weiterzugeben und der Abwertung von Ost-Biografien etwas entgegenzusetzen.
Sie haben sich sehr früh auch in den Aufbau aktiv eingebracht – durch Ihre Arbeit im Gründungssenat. Wie kam es dazu?
Mitglieder des Personalrats der gerade zur Universität Potsdam aufgestiegenen Einrichtung schlugen mich als Vertreterin des Akademischen Mittelbaus für den Senat vor. Ich fand es nur folgerichtig, mich auch auf dieser Ebene einzubringen, kandidierte und wurde mit einer sehr hohen Stimmenzahl gewählt.
Was genau war die Aufgabe des Gründungssenats?
Es ging darum, diese Uni nach modernen Gesichtspunkten zu strukturieren, neue Fächer einzuführen und eine aufgabengerechte Personalausstattung zu realisieren. Mein Hauptanliegen bestand darin, möglichst viel Bewährtes zu bewahren und möglichst viele Beschäftigte aus den Vorgängereinrichtungen zu „retten“.
Seit wann und wie lange haben Sie dort mitgewirkt?
Ich war von 1995 bis 2007, also drei Wahlperioden lang, Mitglied des Akademischen Senats und von 1999 bis 2001 auf Vorschlag des Rektors, Prof. Loschelder, auch dessen Vorsitzende. Meiner Überzeugung nach, dass jedes Amt seine Zeit hat, kandidierte ich kein viertes Mal, war aber weiterhin Mitglied der LSK (Lehre-Studium-Kommission) der Uni.
Was waren die wichtigsten Aufgaben in der Anfangszeit?
Viel Raum nahm die Feststellung der fachlichen Eignung des vorhandenen Personals ein, inklusive dessen Bereitschaft zu fachlicher Umorientierung. Auch mögliche IM-Tätigkeiten spielten eine Rolle. Es wurden praktisch alle Studiengänge umgemodelt, neue etabliert und die zugehörigen Studienordnungen erarbeitet, einschließlich Kapazitätsberechnungen und Fragen der Ausstattung der Fächer.
Was wurde geschafft? Gibt es für Sie eine „größte Errungenschaft“ dieser frühen Zeit?
Die größte Errungenschaft unserer gewerkschaftlichen, Personalrats- und Gremienarbeit war, die Uni in der „wilden“ Umbruchzeit am Laufen gehalten zu haben. Versuche, die außerordentliche Einsatzbereitschaft des Personals aus den Vorgängereinrichtungen auszubremsen, konnten unterbunden werden. Dem diente ein besonderer „Coup“: Das BbgHG regelte in einem „Übergangsparagrafen“ den möglichen Verbleib von Beschäftigten in einem Arbeitsverhältnis nach altem (DDR-)Recht. Wir sorgten dafür, dass dieser Paragraf nicht ausnahmsweise, sondern als Regelfall in Anspruch genommen wurde – ein in den neuen Bundesländern einmaliger Vorgang.
Ich selbst wäre übrigens beinahe Opfer der bundesdeutschen Befristungspraxis geworden, denn mein damaliger Status einer „Promotion-B-Aspirantur“, der nach DDR-Recht den Besitz einer unbefristeten Stelle nicht infrage stellte, wurde nun als befristete Qualifikationsstelle gewertet. Nur durch den vorzeitigen Abbruch der Aspirantur konnte ich meinen Anspruch auf eine Dauerstelle wahren. Solche und andere Probleme der „Übersetzbarkeit“ von Personalkategorien waren damals an der Tagesordnung und führten zu schmerzhaften Verwerfungen, die es abzumildern galt.
Was gelang nicht?
Von der Senatsarbeit war ich zunehmend ernüchtert, weil der formalisierte Prozess der Beschlussfindung, der im Zweifelsfall immer von der professoralen Mehrheit dominiert wurde, nicht dazu beitrug, die Belange der anderen Statusgruppen auf Augenhöhe zu diskutieren. Das „Große Ganze“ wurde nicht selten zugunsten von Partikularinteressen der einzelnen Fakultäten oder Fächer aus den Augen verloren.
Es ist beispielsweise nicht gelungen, bewährte Prinzipien wie die Einphasigkeit der Lehramtsausbildung und den Stellenwert der Fachdidaktik zu bewahren. Bezüglich letzterer zehrte man viel zu lange von der guten Stellenausstattung der PH in diesem Bereich. Bis heute herrscht eine gewisse Ignoranz der Fachwissenschaften gegenüber den Didaktiken vor. Damit korrespondiert auch das Lippenbekenntnis, auf eine exzellente Lehre Wert zu legen, wo doch letztlich vor allem die Forschung zählt.
Es ist uns auch nicht gelungen, die verheerende Befristungspraxis der Altbundesländer abzuwehren.
Gab es eine besondere Stimmung in dieser Anfangszeit?
Nicht wenigen Kollegen machte zu schaffen, dass ihre Lebensleistung abschätzig und ohne tiefe Sachkenntnis beurteilt wurde; trotzdem blühten viele angesichts der neuen Entfaltungsmöglichkeiten auf.
Wie lange dauerte Ihrer Ansicht nach die „Gründungsphase“ oder „Anfangszeit“ der UP?
Etwa bis 1995, also bis der „Altbestand“ sich einsortiert hatte. Danach bekam auch die Solidarität in den Kollegien Risse.
Was folgte dann? Auch für Sie persönlich?
Ich blieb meinem hochschulpolitischen Engagement treu, wohl wissend, dass manche Veränderung einen sehr, sehr langen Atem braucht. Fachlich übernahm ich die Leitung des Arbeitsbereichs Fachdidaktik DaF/DaZ und war an spannenden internationalen Projekten beteiligt.
Wenn Sie noch einmal in dieser Zeit einsetzen könnten: Würden Sie etwas anders machen? Wenn ja, was?
Ich habe meinem Naturell gemäß agiert und meine Möglichkeiten der Einflussnahme mehr oder weniger ausgeschöpft. Meine Schwäche: Manchmal ließ ich mich für Probleme einspannen, die die betroffenen Personen eigentlich selber hätten lösen sollen. Ein diesbezügliches Aha-Erlebnis war das Schulterklopfen von Kollegen mit dem Kommentar: „Kämpf mal schön für uns.“
Ist die UP heute dort bzw. das, was Sie sich in den Anfangsjahren von ihr/für sie vorgestellt haben?
Ich hätte mir mehr echte Mitbestimmung aller Statusgruppen gewünscht und weniger wohlfeile Mainstream-Forschung.
Bis heute gibt es kein nachhaltiges Personalentwicklungskonzept mit einem angemessenen Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Stellen. Die behauptete Notwendigkeit möglichst vieler Befristungen, um Karrierewege nicht mit Dauerstellen zu verstopfen, ignoriert die Verschleuderung von geistigen Ressourcen, weil oft die klügsten Köpfe nach einer kurzen Zeit im „Durchlauferhitzer“ das System verlassen müssen. Hier ist eine nachdrückliche Umsteuerung vonnöten.
Ich hätte am Anfang nicht für möglich gehalten, dass der Glaube an das neoliberale Konzept der unternehmerischen Hochschule derart Fuß fassen kann. Ich wünsche mir für die UP wie für andere Hochschulen mehr Unabhängigkeit der Forschung, indem ihre Ergebnisse weniger nach dem Maßstab ökonomischer Verwertbarkeit beurteilt werden.
Wo sehen Sie die UP in 30 Jahren?
Ich hoffe, dass diese Wünsche bis dahin ihrer Erfüllung ein Stück nähergekommen sind.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2021 „30 Jahre Uni Potsdam“ (PDF).