Die weltweiten Folgen von Klimaveränderungen sind bislang nicht in ihrer ganzen Bandbreite absehbar. Ein Aspekt, den Sara Savi in ihrem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt untersucht, ist der Zusammenhang zwischen Klimawandel und der Häufigkeit von Erdrutschen sowie Felsstürzen in Gebirgen, die eine große Gefahr für Mensch, Tier und Wirtschaft darstellen. „Mich interessiert die Wechselwirkung zwischen klimatischen und geomorphologischen Faktoren und deren Einfluss auf Oberflächenprozesse auf verschiedenen zeitlich-räumlichen Skalen,“ sagt Sara Savi.
Ihr Forschungsprojekt profitiert von einer deutschitalienischen Zusammenarbeit, bei der die Expertisen von Kolleginnen und Kollegen aller beteiligten Institutionen zum Tragen kommen: Für die Feldarbeiten kooperiert sie mit der Freien Universität Bozen und mit dem Eurac Research Center in Bozen, die Laborarbeiten werden an der Universität Potsdam durchgeführt.
Auftauender Boden führt zu Felsstürzen
Klimaveränderungen in Gebirgsregionen führen vor allem zu höheren Temperaturen im Sommer und erhöhter Niederschlagsmenge im Winter. Liegen die Temperaturen dauerhaft über Null Grad Celsius, schmilzt das Eis in der Permafrostschicht, der Boden taut auf. „Die Hänge werden instabil und Erdrutsche können ausgelöst werden“, erklärt Sara Savi. „Ein prominentes Beispiel ist der Pizzo Cengalo Felssturz im August 2017 in der Schweiz.“ Solche beeindruckenden Massenbewegungen, die sogar von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden, kommen aber eher selten vor. Dagegen sind die häufigeren, kleinen Erdrutsche schwierig zu beobachten. Sara Savi nutzt Luftbilder um zu erkunden, wie sich die Stabilität von Hängen über die letzten Jahrzehnte geändert hat. Dabei konnte sie bereits belegen, dass die Anzahl kleiner Felsstürze seit Beginn der 1990er Jahre zugenommen hat, bedingt durch den Temperaturanstieg und das Schmelzen von Bodeneis. Die Felsstürze haben vor allem in größerer Höhe zugenommen, da die Null-Grad-Isotherme, also die Temperaturlinie, die das Schmelzen von Schnee und Eis bestimmt, sich in Richtung größerer Höhen verschiebt. Hier ist die Gebirgsmorphologie durch steilere Hänge und senkrechte Felswände gekennzeichnet, die wesentlich anfälliger für Abbrüche sind.
Sara Savis aktuelles Untersuchungsgebiet ist ein kleines Becken im westlichen Teil des Passo dello Stelvio in Südtirol. „Die Alpen bieten als Forschungsgebiet viele Vorteile, denn es existieren bereits große Datenmengen, auf die man zurückgreifen kann“, sagt die Geowissenschaftlerin. Sie nutzt unterschiedliche Herangehensweisen, um den Einfluss der Klimaänderung auf den Sedimenttransport zu erforschen. Um nachzuvollziehen, wie sich die Abtragung in dem Becken entwickelt hat, sammelt Sara Savi vor Ort Proben von Lockersediment, also Sand und Gesteinsbruchstücke. Durch den Rückzug der Gletscher transportieren die Flüsse mehr Wasser und damit mehr Sediment.
Radioisotope und Bohrkerne im Labor
Die weiteren Arbeitsschritte erfolgen im Labor für kosmogene Isotope am Institut für Geowissenschaften der Universität Potsdam. Für die geochemischen Analysen arbeitet Sara Savi mit Prof. Manfred Strecker und Prof. Bodo Bookhagen zusammen, Studentin Pia Petzold unterstützt die Laborarbeiten. Aus den Sedimentproben wird das kosmogene Nuklid 10Be gewonnen, ein radioaktives Isotop des Berylliums, und anschließend mit einem Beschleunigermassenspektrometer analysiert. Aus der Menge an 10Be lässt sich dann ablesen, wieviel Zeit die Sedimente im Fluss verbracht haben. Mit dieser Methode kann die Forscherin mehrere tausend Jahre in die Vergangenheit schauen.
Um der Häufigkeit von Erdrutschen im Gebirge auf die Spur zu kommen, nutzt Sara Savi zudem die Dendrochronologie, eine Methode zur Altersbestimmung von Holz. Dazu werden fünf Millimeter dicke Bohrkerne von Baumstämmen in unmittelbarer Nähe von Massenbewegungen genommen und untersucht. Anhand der Bohrkerne können Wachstumsveränderungen der Bäume festgestellt werden, die auf veränderte Bedingungen, ausgelöst durch Erdrutsche bzw. Felsstürze, hinweisen. Damit kann sie den Ablauf solcher Ereignisse während der Lebenszeit eines Baumes rekonstruieren – und je nach Alter der Bäume bis zu 200 Jahre in die Vergangenheit „schauen“.
Alle drei Methoden decken unterschiedliche Zeitskalen ab: Anhand der Luftbilder kann Sara Savi die vergangenen 50 Jahre rekonstruieren, die Dendrochronologie erlaubt Rückschlüsse bis zu einem Alter von 200 Jahren und die Auswertung kosmogener Nuklide lässt sogar wissenschaftliche Aussagen über die letzten 2000 Jahre zu. Dabei ist die Forscherin insbesondere an den aktuellen Folgen der Klimaänderung interessiert: „Ich möchte anhand von Beobachtungen erkennen, was in der Gegenwart passiert und was sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten im Vergleich zu heute geändert hat“.
In Zukunft ist mit einer weiteren Zunahme von Felsstürzen zu rechnen, weswegen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Personen, Siedlungen und Infrastruktur in Gebirgsregionen zu schützen. Außerdem werden neue Tourismuskonzepte nötig sein, um die Alpen als Erholungsraum weiterhin sicher nutzen zu können. Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt von Sara Savi können dabei helfen, diese Konzepte zu entwerfen.
Das Projekt
In ihrem Projekt „Einfluss von Klimaerwärmung auf Muren und Sedimentzufuhr in Hochgebirgsregionen“ nutzt Dr. Sara Savi verschiedene geologische Methoden, um für ein Untersuchungsgebiet in Südtirol die Stärke und Häufigkeit von Erdrutschen und Felsstürzen zu erfassen.
Beteiligt: Universität Potsdam, Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), Freie Universität Bozen, Eurac Research Center Bozen, Provinz Bozen (Südtirol)
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Laufzeit: 09/2018–08/2022
Die Forscherin
Dr. Sara Savi studierte Geologie an der Universität Mailand (Italien) und kam 2013 als Postdoc in die Arbeitsgruppe Allgemeine Geologie, welche von Prof. Manfred Strecker, Ph.D., und Prof. Dr. Peter van der Beek geleitet wird.
E-Mail: sara.saviuuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2021 „Wandel“.