„Anhand eines Sternspektrums erstellt man einen Farbverlauf für jeden Stern – individuell wie ein Fingerabdruck“, erklärt die Astrophysikerin. „Ein Spektrograph spaltet vom Stern ankommendes Licht in feinste Farbabschnitte auf – an einem Ende rot und am anderen lila. Die wackelige Linie des Diagramms zeigt, dass der Stern bei bestimmten Farben heller oder dunkler leuchtet. Somit ist der ‚Spektrum-Weg‘ auf unserem Gelände ein ganzer Regenbogen auf 30 Metern ausgewalzt!“
Astrophysikerinnen und Astrophysiker sammeln Licht aus dem Weltraum, um mehr über die Natur von kosmischen Objekten wie Sternen und Galaxien zu erfahren. Katja Poppenhäger beschäftigt sich hauptsächlich mit den sogenannten Exoplaneten, also Planeten, die um andere Sterne kreisen. Diese in manchen Fällen noch sehr jungen Planeten haben für die Physikerin einen besonderen Reiz: „Junge Exoplaneten sind nur einige Millionen Jahre alt. Bei ihnen haben sich die Atmosphären gerade erst gebildet – in unserem Sonnensystem sprechen wir dagegen von ein paar Milliarden Jahren.“ Um die Atmosphären von Exoplaneten zu untersuchen, behelfen sich Astrophysiker mit einem Trick. „Exoplaneten machen einen ‚Transit‘“, erklärt Poppenhäger. „Wenn sie aus unserer Beobachtungsrichtung vor einem Stern entlangziehen, durchleuchten wir ihre Atmosphäre mit dem dahinterliegenden Stern – er dient quasi als Hintergrundlampe.“
Funktionalität statt Romantik
In den Fluren des Humboldthauses sind historische Messinstrumente der Astronomie hinter Glas wie in einem Technikmuseum ausgestellt. An einer Wand hängt ein moderner Flachbildschirm, der ständig Live- Bilder von „STELLA“ auf Teneriffa überträgt, ein robotisches Teleskop vom AIP. Auf kleinen Beistelltischen stapeln sich englischsprachige Zeitschriften der „Sky & Astronomy“; Titel wie „Galactic Hoola Hoop“, „Cascade of Galaxies“ oder „Asteroid Recon Surprises“ machen selbst Laien neugierig. Das ist die Welt des AIP, hier verbringt die Astrophysikerin den Großteil ihrer Arbeitszeit: „Ich lade mir Beobachtungsdaten vom Server der European Space Agency (ESA) oder National Aeronautics and Space Administration (NASA) herunter und suche darin nach neuen Informationen über Planeten“, erzählt Katja Poppenhäger. „Am meisten Spaß macht es mir, meine eigenen Ideen zu überprüfen. Das Universum bietet alle denkbaren, phantastischen Möglichkeiten und ich finde es spannend zu sehen, ob es mir mit ‚ja oder nein‘ antwortet.“ Was ihr so durch den Kopf geht, wenn sie am nächtlichen Himmel eine Sternschnuppe sieht? „Mir persönlich macht das Sternegucken gar nicht so viel Spaß, so romantisch man sich das vorstellt“, gibt sie offen zu. „Mich interessiert vielmehr: Wie funktioniert was? Innerhalb der eigenen Lebenszeit eine realistische Chance zu haben, mehrere Theorien zu überprüfen, dabei selber Daten zu sammeln und zu programmieren – diesen Mix an Tätigkeiten finde ich seit nunmehr über zehn Jahren spannend und abwechslungsreich!“
Dabei war lange Zeit nicht klar, welche Richtung Katja Poppenhäger beruflich einschlagen würde. „Ich gehöre nicht zu den Leuten, die schon immer wussten, was sie mal werden wollen. Astronautin fand ich interessant, aber als Kind hat man ja noch nicht so die Vorstellung, was ein Wissenschaftler eigentlich macht. Ich dachte eher an Feuerwehrfrau oder Tierärztin …“ In der Schule gefielen ihr Naturwissenschaften, nach dem Abitur studierte sie Physik in Frankfurt am Main. Da sie nicht ganz sicher gewesen sei, in welche Richtung es weitergehen sollte, habe sie eine Weile in der freien Wirtschaft gearbeitet. 2011, seinerzeit in Hamburg lebend, besuchte die diplomierte Physikerin Forschungsgruppen der Umweltphysik, Teilchen-, Astro- und Biophysik. Schließlich landete sie in der Astrophysikgruppe bei Jürgen H. M. M. Schmitt, der in der Hamburger Sternwarte eine Doktorandenstelle frei hatte. „So fand ich meine Nische in der Astrophysik!“, sagt die Forscherin zufrieden.
Manchmal muss man die eigene Komfortzone verlassen
Katja Poppenhäger ist die Erste in ihrer Familie mit akademischem Abschluss. „Mein Vater war Beamter, meine Mutter gelernte Bankkauffrau. Ich bin mit meinen Eltern oft zur Bücherei gegangen und kam mit einem riesigen Stapel Bücher heim“, erinnert sie dankbar. „Ich bin Einzelkind, meine Eltern konnten meine Interessen sehr fördern, auch wenn sie selber nicht so die Connection dazu hatten.“ Mittlerweile ist Poppenhäger selbst Mutter. Ihre vierjährige Tochter erkundigt sich interessiert, was sie täglich auf der Arbeit erlebt: „Dann berichte ich von meinen Sternbeobachtungen, erzähle ihr, dass ich Texte schreibe, in denen ich erkläre, was die Sterne machen, oder wie ich mich mit meinen Studierenden treffe.“ Eine weitere Person, die den Karriereweg von Katja Poppenhäger nachhaltig beeinflusst hat, ist Andrea Dupree, die ebenfalls Astrophysikerin ist. Die beiden lernten sich am Harvard- Smithsonian Center for Astrophysics (Cambridge, USA) kennen, wo Poppenhäger von 2012 bis 2015 als junge Post-Doktorandin und Dupree als leitende Astrophysikerin und stellvertretende Direktorin tätig waren. „Jeden Morgen um halb elf fand ein kurzes Kaffeetrinken statt, bei dem sich alle trafen, die etwas mit Sternen und Planeten zu schaffen hatten. Andrea Dupree trug immer bunte Kleidung, hatte phantastische Haare, erzählte laut und aufgeregt“, beschreibt Poppenhäger die „große Dame der Sternphysik“, wie sie sie nennt. „Dupree hat mir beigebracht, dass man sich nicht zurückhalten darf, dass man sich bei Konferenzen in die erste Reihe setzt, dass man ohne Scheu Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträgern Fragen stellen darf – und muss. Von ihr lernte ich, dass es in der akademischen Welt auch darum geht, gesehen zu werden und dass man manchmal die eigene Komfortzone verlassen muss.“
Dank ihrer Zeit als Assistant Professor an der Queen’s University in Belfast in Nordirland hat sich Katja Poppenhäger auch in der Lehre, auf Konferenzen und mit diversen Publikationen behaupten können. Seit 2018 ist sie am AIP in Potsdam, wo sie mittlerweile ein Team von rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führt. Als Frau sei sie auf diesem Gebiet immer noch ein bisschen ungewöhnlich, auch wenn sich einiges gebessert habe. „Wenn man meine Forschungsgruppe durchzählt, sind wir in der Anzahl Männer und Frauen ziemlich ausgeglichen. Aber das ist in unserer Nische bei den Exoplaneten nicht mehr ganz überraschend. Es ist ein junges Forschungsfeld und hat daher auch viele junge, nachrückende Forscherinnen.“ Dabei bestehen vielerorts noch bewusste und unbewusste Vorbehalte, was sich bspw. anhand des Bewerbungsverfahrens um die Nutzung des Hubble Teleskops zeige: „Hier gibt es seit zwei Jahren ein Doppel-Blind-Auswahlverfahren, bei dem die Bewerbungsunterlagen den Namen und demnach auch das Geschlecht nicht erkennen lassen. Früher war es nämlich nachweislich so, wenn der Name nicht weiß und männlich klang, waren die Erfolgschancen geringer – jetzt sind die Zahlen ausgeglichen.“
Ob auf dem großen Wandbild hinter ihr das Hubble Teleskop abgebildet ist? „Nein, das ist eine Fotografie des LBT (Large Binocular Telescope) für astronomische Beobachtungen, das in Arizona, USA steht“, stellt Katja Poppenhäger richtig. Mit seinen zwei jeweils über acht Meter großen Spiegeln, die den Augen eines Gesichts gleichen, sei es derzeit eins der weltweit größten optischen Teleskope. „Mit dem LBT starren wir auf einen Stern, sammeln sein Licht ein und erforschen die Atmosphären von bereits bekannten Exoplaneten.“ Die Entdeckung von neuen Exoplaneten schildert die Astrophysikerin anhand unterschiedlicher Szenarien aus dem Wissenschaftsalltag: „Ich rufe morgendlich den Newsletter der arxiv Website ab, ein Preprint-Server mit Vorabversionen von astronomischen Papers. Da entdeckt man manchmal Dinge wie ‚Kollegen aus Arizona haben zwei neue Exoplaneten entdeckt‘, und denkt sich, die Atmosphären von den beiden sollte ich mir unbedingt mal ansehen. Mit ein bisschen Glück passiert einem sowas auf der Suche nach Planeten auch selbst. So stürmte einmal ein Doktorand in mein Büro und rief aufgeregt: ‚Ich habe Transits von drei unterschiedlichen Planeten um den Stern K2-133 gefunden!‘“ Immerhin wurden allein im Jahr 2020 10 bis 20 spannende Exoplaneten von ihren Kolleginnen und Kollegen aus der ganzen Welt gefunden.
Häufig macht das Universum die langweiligsten Sachen
„Häufig macht das Universum allerdings die langweiligsten, statt die spannendsten Sachen! Da muss man sich emotional dran gewöhnen, wie im Übrigen auch an die Ablehnungen von Forschungsanträgen. Ich glaube, das ist für viele der schwierigste Teil der Arbeit, dass die Ablehnung wahrscheinlicher ist als die Zustimmung.“ Die Astrophysikerin ist sich der Fehlbarkeit von wissenschaftlichen Ergebnissen bewusst: „Es ist nicht perfekt, was wir machen, denn es gibt viele Forschungsergebnisse, die zwar auf richtigen Daten basieren und im Kontext ihrer Zeit Sinn ergaben, deren Interpretationen aber mittlerweile widerlegt wurden.“ Davon lässt sich eine leidenschaftliche Physikerin wie Katja Poppenhäger indes nicht demotivieren, im Gegenteil: „Ich schreibe mir auf die Fahne, Wissenschaft so gut zu machen, wie ich kann, basierend auf dem, was wir heute wissen. Denn wenn ich es ganz ließe, dann wären wir als Menschheit in 100 Jahren auch nicht schlauer!“ So befasst sich die Astrophysikerin indirekt auch mit Fragen wie: Gibt es Planeten, die bewohnbar sein könnten? Hat der Planet xy am Ende noch eine Atmosphäre? Hat sich auf ihm vielleicht schon mal Leben in Form von Mikroben entwickelt? Die für sie spannendste aller Fragen ist und bleibt, ob sie Beweise dafür finden, dass es Planeten gibt, auf denen Leben existiert. „Ich denke, dass die Entwicklung von Leben gar nicht so selten ist. Ich glaube, wir finden einen Planeten mit starken Anzeichen für Leben, bevor ich in Rente gehe – aber am Ende ist es natürlich Glückssache!“
Ausgleich: Schwertkampf
Wie entspannt eigentlich jemand in seiner Freizeit, der sich tagtäglich mit wortwörtlich weltbewegenden Fragen befasst? Katja Poppenhäger lässt es da gern krachen: Sie geht dem historischen Schwertkampf nach, einer ausgefallenen Sportart, zu der sie eher zufällig kam: „Ich war vor einigen Jahren in Boston auf einer Fantasy Convention, wo ich spaßeshalber einen Probekurs im historischen Schwerkampf mitmachte – im Prinzip Fechten nach Techniken aus mittelalterlichen Manuskripten. Das hat mich so begeistert, dass ich mich kurzerhand im Verein eingetragen habe. Glücklicherweise gibt es in Potsdam beim Hochschulsport auch eine Schwertkampfgruppe. Für mich ist es die absolut richtige Sportart, da hat es sofort geklickt! Man muss improvisieren – manchmal kommt es auf eine Zehntelsekunde an – und im Moment präsent sein, darf nicht an die Zukunft denken. Das erdet.“ Dass sie als Astrophysikerin keine Horoskope liest, ist naheliegend: „Grundsätzlich bin ich Realist, absolut!“ Einen hochreichenden Traum hat die Astrophysikerin dennoch: „Falls ich durch einen irren Zufall zu viel Geld hätte, würde ich gerne zur ISS fliegen. Ein richtiges Gefühl davon zu bekommen, wie die Erde als Kugel im All schwebt, das fände ich unglaublich toll!“
Die Forscherin
Seit Oktober 2018 leitet Prof. Dr. Katja Poppenhäger, Expertin für Planeten um andere Sonnen, die Abteilung Sternphysik und stellare Aktivität am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP). Zudem ist sie gemeinsam berufene Professorin an der Universität Potsdam.
E-Mail: kpoppenhaegeruaippde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2021 „Wandel“.