„Die fortschreitende Intensivierung der Landnutzung verringert die verbliebenen Restflächen, die als Habitat für Wildtiere und Pflanzen dienen können, dramatisch“, sagt Prof. Florian Jeltsch, der Sprecher des Graduiertenkollegs. Dabei seien diese Flächen wichtige Biodiversitäts-Hotspots in der Landschaft. Allerdings führe die geringe Flächengröße häufig zu einer intensivierten Interaktion und Verdrängung innerhalb der vorhandenen Arten. „Ein stabiles Artengleichgewicht wird damit immer unwahrscheinlicher.“ Bis zu einem gewissen Grad könnten sich manche Arten allerdings an die zunehmende Zerstückelung ihrer Habitate und die vermehrte Konkurrenz um Ressourcen anpassen, erklärt der Biologe. Dies hänge aber auch von ihrer Fähigkeit ab, ihre Bewegungsmuster einer überwiegend feindlichen Umwelt anzupassen. „Für ein Verständnis der mittel- und langfristigen Folgen unterschiedlicher Landnutzungsoptionen für die Zukunft der Biodiversität ist es daher wichtig, sowohl die Bewegungsmuster der Arten in der modernen Agrarlandschaft besser zu verstehen, als auch die veränderten Interaktionen zwischen ihnen.“
Bewegungen von Organismen schaffen Verbindungen
Insgesamt zehn Doktorandinnen und Doktoranden nehmen derzeit verschiedene Facetten der Landnutzung in Bezug auf das Artengleichgewicht in den Blick. Verbindendes Konzept für die einzelnen Forschungsprojekte innerhalb des Graduiertenkollegs ist das Modell der „mobile links“ (Englisch: bewegliche Verbindungen). Ursprünglich wurde es entwickelt, um zu beschreiben, wie Tiere durch ihre Bewegungen Verbindungen zwischen Artgemeinschaften und Ökosystemen herstellen, die ansonsten getrennt bleiben. Wie sich Organismen in ihren Lebensräumen bewegen, hat einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Zusammensetzung von Artgemeinschaften und damit auf die biologische Vielfalt. Auf die vom Menschen verursachten Veränderungen des Klimas und der Landnutzung reagieren Organismen empfindlich – und verändern auch dabei ihre Bewegung, was letztlich entscheidend ist für das Verständnis der abnehmenden Biodiversität.
Und die Projekte des Graduiertenkollegs „Bio- Move“ haben noch etwas gemeinsam: ihr Untersuchungsgebiet. Das glazial geprägte Areal rund um den Fluss Quillow im Nordosten von Brandenburg umfasst neben Wäldern und Ackerflächen auch ein System eiszeitlicher Senken, die sogenannten Sölle. Hier erforscht Katrin Kiemel Zooplanktongemeinschaften. „In den Söllen gibt es isolierte Populationen, die stellvertretend für andere isolierte Habitate stehen“, sagt die Evolutionsbiologin. „Im Landschaftsmaßstab betrachtet bildet das Zooplankton Meta-Gemeinschaften, da die winzigen Tierchen, wie Wasserflöhe und Rädertierchen, über Wind oder mobile links wie Säugetiere und Vögel verbreitet werden.“ Landwirtschaftliche Arbeitsweisen beeinflussen die Struktur lokaler Gemeinschaften, indem sie die Umweltbedingungen verändern. Katrin Kiemel untersucht daher Wasser- und Bodenproben von Zooplankton im Labor, teilweise unter dem Mikroskop, um Wege ihrer Verbreitung und Besiedlung sowie die Artzusammensetzung nachzuvollziehen. Besonders interessieren die Forscherin lokale Anpassungen, die durch sich stetig ändernde Umweltbedingungen vorteilhaft für das Überleben der Zooplanktonarten sein können.
Pflanzensamen und Zooplankton
Die Ökologin Maxi Tomowski hingegen erforscht in ihrem Promotionsprojekt, welche Faktoren in einer Agrarlandschaft den Genfluss von Pflanzen beeinflussen. „Der Genfluss zwischen Pflanzenpopulationen kann beispielsweise durch eingeschränkte Bewegungen der Bestäuber oder durch räumlich begrenzte Verbreitung der Pflanzensamen beeinträchtigt werden“, erklärt sie. „Um das genauer zu bestimmen, müssen wir die Ausbreitung einzelner Pollen und Samen direkt beobachten.“ Wie eng verwoben Tiere und Pflanzen in Landschaftsräumen sind, zeigt sich bei „BioMove“ immer wieder: Denn Maxi Tomowski und Katrin Kiemel statten in einem gemeinsamen Feldversuch Wasservögel mit GPS-Sendern aus, und analysieren anschließend deren Bewegungsmuster. Außerdem muss das Gefieder der Enten ausgewaschen werden, denn sie transportieren darin sowohl Pflanzensamen als auch Zooplankton. Die räumliche Ausbreitung der Pflanzen bzw. des Zooplanktons kann so mit den Bewegungen der Enten verglichen werden.
Auch Säugetiere spielen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Pflanzensamen, da sie extrem mobil sind. Jonas Stiegler untersucht als Tierökologe die Rolle des Feldhasen als mobile link und versucht herauszufinden, wie effizient der Hase als Ausbreiter von Pflanzensamen ist und welche Rolle die Art der Feldnutzung dabei spielt. „Der Europäische Feldhase ist eine typische Art, die man in Agrarlandschaften findet“, sagt Jonas Stiegler. „Ich statte die Feldhasen mit GPS-Halsband aus und verfolge deren Bewegungsmuster. Um die Zusammenhänge der Ausbreitung von Pflanzensamen und der Nahrungssuche der Hasen nach bestimmten Pflanzenarten, wie Wildkräutern, zu quantifizieren, nutzte ich auch Fernerkundungsdaten und netzwerkbasierte Werkzeuge.“
Zusammenhänge herstellen mit statistischen Methoden
Ulrike Schlägel, die als Postdoc im Kolleg forscht, betreut als Mathematikerin die theoretischen Konzepte von „BioMove“, vor allem die Modellierung von Tieren, Pflanzen und Landschaften mit statistischen Methoden. Sie berücksichtigt dabei zum einen mobile links, zum anderen Mechanismen, mit deren Hilfe Arten mit ähnlichen ökologischen Bedürfnissen koexistieren können, statt in Konkurrenz zueinander zu treten. In einer Überblicksstudie hat sie die Forschungsergebnisse verschiedener Disziplinen der Ökologie zusammengeführt, um nachzuvollziehen, wie sich Bewegungsprozesse auf die Artzusammensetzung auswirken. „Insbesondere für die Koexistenz von Arten auf der Gemeinschaftsebene können ein oder zwei Schlüsselkomponenten entscheidend sein, um die Vorhersage des Verhaltens von Artgemeinschaften zu verbessern und um die Muster der Biodiversität zu verstehen“, betont sie.
Die Nachwuchsforschenden Katrin Kiemel, Maxi Tomowski und Jonas Stiegler wollen ihre Promotionen bis 2021 abschließen. Bisher haben elf Doktorandinnen und Doktoranden das Graduiertenkolleg „BioMove“ erfolgreich durchlaufen und einen wichtigen Beitrag zur Biodiversitätsdebatte beigetragen. Der dritte Durchgang startet im Oktober 2021 mit neuen Promotionsprojekten.
Das Projekt
Das Graduiertenkolleg „BioMove“ erforscht, wie sich die Bewegungen von Organismen in dynamischen Agrarlandschaften auf die Biodiversität auswirken.
Beteiligt: Universität Potsdam, Freie Universität Berlin, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung und Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Laufzeit: 10/2015–09/2024 (verlängert: 10/2019)
www.biomove.org
Die Forschenden
Prof. Dr. Florian Jeltsch studierte Physik und Theoretische Ökologie in Marburg und ist seit dem Jahr 2000 Professor für Vegetationsökologie und Naturschutz an der Universität Potsdam. Er ist Sprecher des Graduiertenkollegs „BioMove“.
E-Mail: jeltschuuni-potsdampde
Katrin Kiemel studierte Ökologie, Evolution und Naturschutz in Potsdam und promoviert seit 2018 im Graduiertenkolleg „BioMove“ zur Diversität bei der Anpassung und Ausbreitung von Zooplankton.
E-Mail: kiemeluuni-potsdampde
Maxi Tomowski studierte Ökologie und promoviert seit 2018 im Graduiertenkolleg „BioMove“ zum Genfluss von Pflanzen in Agrarlandschaften.
E-Mail: mtomowskuuni-potsdampde
Jonas Stiegler studierte Tierökologie und Tropenbiologie in Würzburg und promoviert seit 2018 im Graduiertenkolleg „BioMove“ zur Funktion von Tieren als mobile links in Agrarlandschaften.
E-Mail: stiegleruuni-potsdampde
Dr. Ulrike Schlägel studierte Mathematik in Bielefeld und promovierte in Alberta, Kanada. Im Projekt „Bio- Move“ war sie seit 2015 als Postdoc für die wissenschaftliche Synthese und Konzeptentwicklung zuständig. Sie hat kürzlich eine Emmy-Noether- Nachwuchsgruppe bei der DFG eingeworben.
E-Mail: ulrike.schlaegeluuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2021 „Wandel“.