Im Krankenhaus. Ein Onkologe untersucht einen Patienten mit einem unscheinbaren Instrument, das aussieht wie ein Elektrokabel und mit einem kleinen Kasten verbunden ist. An der Spitze des Instruments scheint eine Lichtquelle zu sitzen. Der Mediziner führt das Instrument durch einen kleinen Schnitt ein und „beleuchtet“ eine verdächtig anmutende Gewebestelle – er überprüft, ob es sich dabei um Krebszellen handelt. Weder muss er eine Probe nehmen, noch sind Untersuchungen im Labor nötig: Das Gerät, ein sogenanntes Multiparameter-Biosensor-System, kurz MBS, ist in der Lage, Krebszellen in wenigen Sekunden zuverlässig zu bestimmen. Etwas später überträgt der Arzt mithilfe des MBS ein Medikament, das den Krebs punktgenau bekämpft. Anschließend registriert es, wie sich das Gewebe verändert, als die Krebszellen absterben.
Optische Fasern für punktgenaue Diagnostik
Klingt wie Science-Fiction. Ist es auch. Aber möglicherweise nicht mehr lange. Denn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im „OptiZeD“-Konsortium wollen genau dieses Gerät entwickeln. Wenn es nach ihnen geht, wird es analytisches, diagnostisches und therapeutisches Werkzeug zugleich sein. „Das wäre ein bedeutender Schritt, um den Herausforderungen der personalisierten Medizin zu begegnen“, sagt Prof. Dr. Ilko Bald. Der Chemiker und seine Kollegin Dr. Claudia Pacholski leiten die Potsdamer Arbeitsgruppen, die am Projekt beteiligt sind. Spezialgebiet der beiden sind sogenannte Nanomaterialien, die beim MBS eine zentrale Rolle spielen. Denn dessen Kern besteht aus optischen Fasern, die mit Nanostrukturen beschichtet werden und als Sensoren eingesetzt werden sollen. Bald erklärt: „So könnten sie beispielsweise dabei helfen, bestimmte Biomarker zu identifizieren, die eine Entzündung oder einen Tumor anzeigen. Bei einer Untersuchung schickt das Gerät ein optisches Signal durch die Fasern. Wenn die gesuchten Biomarker an die Nanomaterialien andocken, ändert sich dieses Signal – und der Arzt weiß, dass eine Entzündung oder ein Krebs vorliegt.“
Wie optische Fasern als Messinstrumente einsetz- bar sind, wird in Potsdam schon seit einigen Jahren untersucht – am Forschungs- und Innovationszent- rum „innoFSPEC“, in dem auch Bald und Pacholski mit ihren Arbeitsgruppen tätig sind. „Hier gibt es viel Vorwissen zu optischen Fasern“, sagt Claudia Pacholski. „Das hilft uns enorm.“ Von der TU Dresden sind drei Arbeitsgruppen im Projekt dabei. Sie wollen dafür sorgen, dass die optischen Fasern auch mit Wirkstoffen ausgestattet sind, die – nach erfolgreicher Untersuchung – quasi per Knopfdruck freigesetzt werden können. Damit wären nicht nur Diagnose und Behandlung nahezu gemeinsam möglich. Die Therapie ließe sich so auch präziser an genau den Stellen durchführen, wo die Erkrankung lokalisiert wurde. Außerdem könnte das behandelte Gewebe anschließend direkt beobachtet werden, um zu sehen, ob das Medikament anschlägt. Viel näher dran an Patient und Krankheit könnte Medizin nicht sein. Und keineswegs außergewöhnlich teuer, wie Claudia Pacholski verdeutlicht: „Gut vorstellbar, dass so ein Gerät irgendwann in jeder Facharztpraxis steht. Und die – beschichteten – optischen Fasern wären sogar der günstigste Teil daran. Es ließe sich, absolut hygienisch, für jeden Patienten austauschen.“
Bis dahin ist der Weg freilich noch weit, gibt Ilko Bald zu verstehen. „Wir leisten derzeit die Vorarbeiten und entwickeln das Modell sowie die nötigen Techniken. Die Anbringung anderer Sensoren sollte später Routinearbeit sein.“ Welche Nanomaterialien eignen sich für welche Sensorik? Wie lassen sie sich auf die optischen Fasern fest aufbringen? Und wie können sie so modifiziert werden, dass sie als Sensoren funktionieren und bei den gesuchten Biomarkern, Zellen oder spezifischen Werten „anschlagen“? „Das ist technologisch sehr herausfordernd“, sagt Claudia Pacholski. „Und wir arbeiten mit verschiedenen Materialien, um unterschiedliche sensorische Funktionen abzudecken.“
Faltbare DNA-Strukturen und vielseitige Goldpartikel
Ilko Bald etwa forscht bereits seit Jahren zu DNANanostrukturen. Mithilfe der sogenannten Origami- Technologie faltet er DNA so, dass sie zwei- oder dreidimensionale Strukturen bilden. „Das Tolle an ihnen ist, dass sie sich extrem genau in ihrer Struktur kontrollieren lassen“, so der Wissenschaftler. Im „OptiZeD“-Projekt will er mit ihrer Hilfe gleich zwei Sensorsysteme entwickeln. Mit dem einen wollen die Forscher den pH-Wert der Umgebung messen. „Das ist für einige Krankheitsbilder sehr aufschlussreich“, so Bald. Möglich wird dies mithilfe von Fluoreszenzfarbstoffen, die bei bestimmten pH-Werten ihre Fluoreszenz ändern. „Da sich dies auf das Signal der optischen Fasern auswirkt, können wir daraus den pHWert zurückrechnen“, so Bald. In diesem Fall bildeten die DNA-Strukturen gewissermaßen das Gerüst, um den Fluoreszenzfarbstoff zu binden. Im zweiten Anwendungsmodell sollen DNA-Abschnitte selbst als Sensoren dienen. „Unsere Dresdner Partner haben eine Sequenz entwickelt, die als Rezeptor bestimmte Moleküle bindet – etwa solche, die Entzündungsvorgänge anzeigt.“ Bald und sein Team wollen diese Sequenzen nun in ihre Nanostrukturen einbauen und auf die optischen Fasern aufbringen.
Claudia Pacholski wiederum arbeitet mit metallischen Nanostrukturen – wie etwa Lochmusterstrukturen oder Goldpartikeln. „Diese haben tolle Eigenschaften“, sagt die Wissenschaftlerin. „Sie sind leicht mit Molekülen auszustatten und können Signale verstärken.“ Darüber hinaus ließen sich goldbeschichtete optische Fasern dazu einsetzen, ganz gezielt krankes Gewebe zu erhitzen und beispielsweise Krebszellen abzutöten. „Es ist durchaus möglich, daraus eine thermale Therapie für Krebs zu entwickeln. Unsere Experimente gehen in verschiedene Richtungen.“
Austausch auf Distanz
Die Zusammenarbeit mit den Dresdner Partnern ist derzeit infolge der Corona-Pandemie auf Videokonferenzen und den Austausch per Mail oder Post beschränkt. „Wir wollten uns viel häufiger besuchen und auch gemeinsam im Labor arbeiten“, sagt Ilko Bald. Das falle derzeit leider weg. Doch wissenschaftliche Forschung sei schon länger an digitale Zusammenarbeit gewöhnt. „Wir haben sogar schon virtuelle Meetings durchgeführt, um Laboraufbauten abzugleichen, damit die Experimente funktionieren“, so Claudia Pacholski. Und die nötigen Daten und Präparate ließen sich schicken.
Ob mit oder ohne Corona – Ilko Bald und Claudia Pacholski brauchen mit ihren Partnerinnen und Partnern einen langen Atem, denn bis es das MBS wirklich gibt, dürften noch einige Jahre vergehen, ist sich Bald sicher: „‚OptiZeD‘ hat eine Laufzeit von drei Jahren. Aber wir planen schon jetzt mit insgesamt drei Phasen: Die erste ist unser jetziges Projekt, das den ‚proof of principle‘ liefern soll. In einer zweiten wollen wir das Ganze auf richtige Zellsysteme transferieren und als Gesamtsystem auf zellulärer Ebene testen.“ Erst in einer dritten Phase könne es darum gehen, das Gerät technisch fertigzustellen und in medizinisch relevanten Umgebungen zu testen. Dass dies ein weiter Weg ist, schreckt die beiden nicht. „Die Arbeit ist faszinierend“, sagt Claudia Pacholski. „Genauso wie die Aussicht, diese sehr abstrakt wirkenden Nanostrukturen so weiterzuentwickeln, dass sie am Ende in die Anwendung kommen.“
Die Forschenden
Dr. Claudia Pacholski studierte Lebensmittelchemie an der Universität Hamburg. Seit 2016 ist sie Heisenberg-Stipendiatin im Institut für Chemie der Universität Potsdam und leitet die Gruppe „Funktionelle Nanomaterialien“.
E-Mail: claudia.pacholskiuuni-potsdampde
Prof. Dr. Ilko Bald studierte Chemie an der FU Berlin. Ab 2013 war er als Juniorprofessor für Optische Spektroskopie und Chemical Imaging an der Universität Potsdam tätig, und ist dort seit 2019 Professor für Hybride Nanostrukturen.
E-Mail: ilko.balduuni-potsdampde
Das Projekt
Die Zentren für Innovationskompetenz Center for Molecular Bioengineering (B CUBE) der TU Dresden und innovative faseroptische Spektroskopie und Sensorik (innoFSPEC) der Universität Potsdam erhalten eine Förderung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Höhe von ca. drei Millionen Euro für das Projekt „Optische Zell-Diagnose und –Manipulation“ (OptiZeD). Innovative Methoden für personalisierte Medizin sollen mithilfe eines neuartigen, miniaturisierten Multiparameter-Biosensor- Systems (MBS) ermöglicht werden.
innoFSPEC ist ein Forschungs- und Innovationszentrum, das multidisziplinäre Forschung auf dem Gebiet der Glasfaserspektroskopie und -sensorik betreibt. Das Zentrum entstand als Gemeinschaftsprojekt des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) und der Arbeitsgruppe Physikalische Chemie der Universität Potsdam (UP).
https://innofspec.de
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2021 „Wandel“.