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Nur mit Vernunft und Temperament – Prof. Logi Gunnarsson philosophiert über die Philosophie und schreibt ein Buch darüber

Prof. Dr. Logi Gunnarsson | Foto: privat
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Prof. Dr. Logi Gunnarsson
Philosophie ist keine Erzählung. Sie fragt, zweifelt, streitet. Mitunter bleibt sie kompromisslos und unversöhnt. Und sie wird von und für Menschen gemacht. Einer, der dies meisterhaft verstanden habe, sei William James gewesen, sagt Logi Gunnarsson. Gunnarsson ist Professor für Ethik/Ästhetik am Institut für Philosophie und forscht seit vielen Jahren zu William James, 2010 gründete er das William James Center. Nun hat er ein Buch veröffentlicht, das nicht nur James’ Philosophie gewidmet ist, sondern „Eine Philosophie der Philosophie“ verspricht. Matthias Zimmermann sprach mit Logi Gunnarsson über William James, dessen ungebrochene Aktualität und warum man ein Buch im Dialog schreiben sollte.

Sie forschen schon seit vielen Jahren zu dem Philosophen William James, haben 2010 sogar das William James Center gegründet. Was macht diesen Philosophen so besonders?

Ludwig Wittgenstein soll über William James gesagt haben: „Das ist es, was ihn zu einem guten Philosophen macht; er war ein wahrer Mensch.“ Ich denke, Wittgenstein gibt mit dieser Aussage die richtige Antwort auf Ihre Frage. Gleichzeitig sagt Wittgenstein damit etwas Wichtiges über die Philosophie: Eine Philosophin oder ein Philosoph kann rein intellektuell beeindrucken. Dann fehlt aber etwas Essenzielles, was man nur bei Philosophinnen und Philosophen findet, die auch wahre Menschen sind – „real human beings“. Deshalb beschäftige ich mich so intensiv mit James.

Inwiefern ist James’ Philosophie noch immer aktuell? Was kann sie uns „geben“?

Die heutige Philosophie ist in einer Krise. Einerseits findet man an Universitäten abstrakte Philosophie, die den Menschen nichts sagt. Andererseits gibt es popularisierte „Übersetzungen“ der akademischen Philosophie, denen aber dann die Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit des Philosophierens fehlt. Die Menschen wollen philosophieren, nicht über die Ergebnisse der Philosophie informiert werden. James spricht philosophische Fragen an, die auch heute noch jeden beschäftigen. Er holt die Menschen ab und zieht sie mit sich in das Philosophieren hinein. Inhaltlich ist sein vielleicht wichtigster Beitrag zur Gegenwartsphilosophie, dass er nicht bei der interessanten These stehenbleibt, dass sich viele philosophische Fragen nicht rein akademisch entscheiden lassen, sondern darüber hinaus zeigt, wie sich philosophische Theorien erst durch die Erfahrung im Leben bewähren.

Aus Ihrer Forschung zu William James heraus ist ein Buch entstanden mit dem Titel „Vernunft und Temperament“ – ein großes Duo. Worum geht es?

Dem Buch ist ein Motto der Schriftstellerin und Philosophin Iris Murdoch vorangestellt: „Das Philosophieren ist die Erkundung des eigenen Temperaments und doch zugleich der Versuch, die Wahrheit zu entdecken.“ Das ganze Buch ist gewissermaßen eine Erläuterung und Verteidigung dieses Mottos. Ich denke, in der Philosophie geht es um Wahrheit, objektive Wahrheit. Wenn sich Menschen beispielsweise fragen, ob sie nach ihrem leiblichen Tod weiterexistieren, dann geht es jedem Einzelnen um die nackte Wahrheit: Wird es mich nach meinem Tod noch geben oder nicht? Diese Frage nach dem Ende unserer Existenz läuft auf philosophische Fragen nach dem Selbst und unserer Identität hinaus. Wie findet man aber wahre Antworten auf Fragen wie die nach dem Selbst? Es liegt auf der Hand, dass die Vernunft dabei eine Rolle spielt. Das Buch wird von zwei fiktionalen Autoren – Bill Headstrong und Wilhelm Kornblum – geschrieben, die sich vorgenommen haben, gemeinsam ein Werk mit dem Titel „Vernunft und Empfindsamkeit. Eine Abhandlung für und gegen William James“ zu schreiben. Sie sind der Überzeugung, dass philosophische Wahrheiten nur mithilfe empfindsamer Vernunft bzw. vernünftiger Empfindungen zu ermitteln sind. Es stellt sich aber im Laufe ihrer philosophischen Zusammenarbeit heraus, dass Headstrong und Kornblum unterschiedliche Temperamente haben. Kurz gesagt: Das Buch soll zeigen, dass für das Aufspüren philosophischer Wahrheiten nicht nur Vernunft und Empfindsamkeit unerlässlich sind, sondern auch das richtige Zusammenspiel menschlicher Temperamente.

Im Untertitel „versprechen“ Sie zudem eine „Philosophie der Philosophie“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Es geht mir nicht um die Abgrenzung der Philosophie von anderen Unternehmungen wie beispielsweise Literatur oder Wissenschaft. Mich beschäftigt die Frage, worin gutes Philosophieren besteht, wie man eine gute Philosophin bzw. ein guter Philosoph wird. In der Gegenwartsphilosophie wird oft angenommen, philosophische Exzellenz bestünde im gekonnten Argumentieren. Das Argumentieren ist für das Philosophieren in der Tat unverzichtbar und wichtig. Durch die exklusive Fokussierung darauf entgehen einem aber wichtige philosophische Wahrheiten. Im Buch sollen diese anderen Aspekte der Philosophie erfasst werden.

Ihr Buch funktioniert als schriftlicher Dialog zweier Philosophen. Warum haben Sie diese Form gewählt?

Das Buch ist kein Dialog im traditionellen Sinn. Die zwei fiktionalen Autoren, Headstrong und Kornblum, haben sich vorgenommen, gemeinsam ein Werk zu verfassen. Mein Buch besteht aus den Kapiteln, die sie jeweils einzeln zum geplanten Werk beisteuern, und ihrem kontrovers geführten Briefwechsel darüber. Ich habe diese Form aus verschiedenen Gründen gewählt. Erstens können gewisse Wahrheiten über das Philosophieren durch die Form einer Monografie nicht ausgedrückt werden. Die Philosophie hat nicht nur Abstraktes zum Gegenstand, sondern den konkreten Menschen. In der Philosophie geht es darum, als Individuum eine gute Philosophin bzw. ein guter Philosoph zu werden. Um diesem Thema gerecht zu werden, braucht das Buch individuelle Charaktere, die miteinander interagieren und sich entwickeln. Zweitens ist die Philosophie ein schizophrenes Unterfangen. Manche philosophischen Fragen lassen sich nicht auf rein argumentativer Grundlage entscheiden. An welcher Stelle Argumente an ihre Grenzen stoßen, lässt sich aber nicht argumentativ ermitteln. Die Schizophrenie besteht darin, dass man im Wissen darum, dass Argumente ihre Grenzen haben, im vollen Glauben an die Kraft des Argumentierens die eigenen Argumente so entwickeln muss, als ob sie keine Grenzen hätten. Headstrong und Kornblum verteidigen ihre Positionen leidenschaftlich und die Form meines Buchs soll zeigen, wo ihre Argumente an Grenzen stoßen. Die Gespaltenheit von William James als Person und Philosoph ist ein weiterer wichtiger Grund für die gewählte Form, aber dies würde jetzt zu weit führen.

Wer sollte Ihr Buch lesen?

Das Buch ist kein Einführungsbuch und keine Populärphilosophie. Es setzt sich mit Positionen der Gegenwartsphilosophie und der Philosophiegeschichte auseinander. Es ist dennoch auch ein Buch für jeden philosophisch interessierten Menschen, da es der Zweck der Philosophie ist, Fragen anzusprechen, die alle im Kern ihrer Existenz betreffen.

Und: Kommen „Vernunft und Temperament“ am Ende zusammen?

Headstrong und Kornblum kommen am Ende nicht zusammen. Kornblum verlässt das Projekt und gibt seine Professur auf, um philosophische Theorien im Leben zu erproben. So wird performativ deutlich gemacht, dass philosophische Theorien nicht rein argumentativ bewiesen werden können, sondern sich durch die Erfahrung im menschlichen Leben bewähren müssen. Außerdem soll durch den unaufgelösten Streit zwischen Headstrong und Kornblum gezeigt werden, dass philosophische Wahrheiten nicht durch ein harmonisches Ganzes zu begreifen sind, sondern im Gegenteil durch einen unauflöslichen Widerstreit. Vernunft und Temperament gehören zusammen, aber sie finden nur durch gegensätzliche Temperamente zueinander.

Vielen Dank!

Weitere Informationen:
https://www.uni-potsdam.de/de/phi/professuren-und-forschung/professur-fuer-ethikaesthetik/prof-dr-logi-gunnarsson