Herr Hartlieb, seit wann befassen Sie sich mit antimikrobiellen Materialien – und warum?
Den ersten Kontakt mit antimikrobiellen Polymeren hatte ich kurz nach der Promotion. Ich war von 2015 bis 2017 in England in der Gruppe von Prof. Sébastien Perrier in Warwick. Zusammen mit ihm entstanden verschiedene Ideen zu antimikrobiellen Materialien wie etwa Peptide, Polymere und Kombinationen dieser Stoffklassen. Das Thema war zu dem Zeitpunkt natürlich nicht neu, verschiedene Gruppen arbeiten schon seit 15 Jahren daran. Allerdings haben wir uns neue Fragen gestellt – zum Beispiel wie die Mikrostruktur der Polymere die antimikrobiellen Eigenschaften beeinflusst.
Das Ganze hat mich gefesselt, weil es ein wichtiges Problem angreift: antimikrobielle Resistenz. Die steigende Resistenz von Bakterien gegen normale Antibiotika wird zunehmend problematisch und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das auch weit oben auf ihrer Liste, Stichwort „Krankenhauskeime“. Was passiert, wenn ein Krankheitserreger in Umlauf ist, gegen den es kein Gegenmittel gibt, erleben wir ja gerade am eigenen Leib. Bakterien würden sich natürlich nicht so rasant verbreiten, wie es das Corona-Virus momentan tut. Hier geht es eher um Krankenhausumgebungen und Menschen, die ein schwaches Immunsystem haben, zum Beispiel ältere Menschen, Patienten in Chemotherapie, mit Autoimmunerkrankungen oder Transplantaten. Im Moment findet sich fast immer noch ein Antibiotikum, das hilft. Aber wenn sich Resistenz-Gene weiterverbreiten, könnte das Ende der Fahnenstange bald erreicht sein. In so einer „post antibiotic era“ wären medizinische Verfahren deutlich gefährlicher und die Lebenserwartung könnte beträchtlich sinken.
Die Arbeit an antimikrobiellen Polymeren ist mein Beitrag, etwas Sinnvolles für unsere Gesellschaft zu tun. Ob das funktioniert, sei dahingestellt – aber man sollte es zumindest versuchen. Deswegen habe ich das Thema für den Aufbau einer Nachwuchsgruppe mitgenommen.
An welchem Stoff arbeiten Sie konkret – was kann er und wie funktioniert er?
Wir stellen wasserlösliche Polymere her, die Bakterien angreifen und zerstören. Das Vorbild hierfür sind antimikrobielle Peptide, die unser Immunsystem verwendet, um Bakterien abzuwehren. Die Erkennung funktioniert über elektrostatische Interaktionen, also über Ladungen. Bakterien sind negativ geladen, die Peptide bzw. unsere Polymere haben positive Ladungen und lagern sich so an Bakterien an. Da die Zellen unseres Körpers im Großen und Ganzen neutral sind, bleiben sie verschont.
Wenn Peptid oder Polymer am Bakterium angekommen sind, bringen sie dort die Membranstruktur durcheinander und lösen die Membran teilweise auf, was tödlich für das Bakterium ist. Das ist ein großer Vorteil gegenüber konventionellen Antibiotika, da das Bakterium kaum in der Lage ist, eine Resistenz dagegen zu entwickeln. Zwar wäre das im Prinzip möglich,
aber das Bakterium müsste dafür viel opfern, was wiederum die Gefährlichkeit senkt. Eine Wunderwaffe sind die Polymere aber trotzdem nicht, weil sie bei Weitem nicht so potent sind wie Antibiotika und die Selektivität zwischen Bakterien und unseren eigenen Zellen oft nicht hoch genug ist. Das ist der Punkt, an dem unsere Forschung ansetzt.
Wo könnten diese Polymere zum Einsatz kommen?
Das Ziel wäre, sie wie normale Antibiotika zu verwenden, also als Tablette oder Injektion, um eine Infektion zu bekämpfen. Das Problem ist: Selbst wenn man ein Polymer findet, das alle nötigen Eigenschaften mitbringt, gibt es noch langwierige Zulassungsprozesse, die auch kostenintensiv sind. Dafür müssen diese Materialien noch deutlich besser gemacht werden – was mein erklärtes Ziel ist.
In der Zwischenzeit könnte man über Anwendungen nachdenken, bei denen die Schwelle niedriger ist. Wie zum Beispiel in Oberflächenbeschichtungen, die sich aktiv gegen Bakterienbewuchs verteidigen. Das ist wichtig für Implantate aber auch für viele medizinische Gerätschaften wie Katheter, Zugänge etc. Auch in der Wundversorgung könnten antimikrobielle Polymere eine Rolle spielen. Natürlich müssen die Materialien dann für den speziellen Zweck angepasst werden.
Diese Applikationen werden bei uns im Moment noch nicht konkret bearbeitet, aber ich habe verschiedene Ideen und werde auch Forschungsanträge zu diesen Themen stellen.
Welche Relevanz hat Ihre Forschung in Bezug auf das Corona-Virus, das laut aktuellem Stand offenbar gerade auf Kunststoffen einige Tage überlebt?
Es gibt zwar antimikrobielle Peptide, die auch gegen bestimmte Viren wirksam sind, aber ich muss
zugeben: Von Viren verstehe ich im Moment viel zu wenig, um sagen zu können, ob das Polymere auch leisten könnten und wie nützlich das letztlich wäre. Ich werde mich dazu in den nächsten Wochen im Home-Office belesen.
Was uns die momentane Krise vor Augen führt, ist, wie fragil unsere Gesundheit sein kann und wie viele schutz- und hilfsbedürftige Menschen wir in unserer Gesellschaft haben. Auch wenn wir diesen Virus überstanden haben, können solche Situationen wieder auftreten. Antimikrobielle Resistenz ist im Vergleich dazu ein eher langsamer Prozess, aber bislang kaum zu stoppen, hat also auch enormes Potenzial, unser Leben negativ zu beeinflussen.
Welche Vor- und Nachteile haben antimikrobielle Polymere – man denke beispielsweise an Allergien und Resistenzen, die durch keimtötende Wirkstoffe entstehen können? Ist so etwas bei den Polymeren, an denen Sie arbeiten, ebenfalls denkbar?
Allergien und Unverträglichkeiten sind natürlich immer ein potenzielles Risiko, aber das kennen wir ja auch von konventionellen Antibiotika. Für mich ist das kein Totschlag-Argument. Im Idealfall kann ich in ein paar Jahren mehr dazu sagen.
Der große Vorteil der Polymere ist, dass kaum Gefahr besteht, dass Bakterien gegen sie Resistenzen entwickeln. Auch können wir die Struktur und Zusammensetzung der Systeme schnell und gezielt verändern.
Der größte Nachteil ist im Moment der Mangel an Selektivität. Sprich: Die Polymere sind zu toxisch für uns. Es ist auch nicht vollständig geklärt, wie genau verschiedene Polymere mit den Membranen interagieren und welche Strukturmerkmale dadurch auf welche Weise verändert werden. Ich hoffe, darauf die eine oder andere Antwort zu finden.
Über das Open-Topic-Programm der Uni Potsdam sind Sie als Post-Doc in der Arbeitsgruppe von Prof. Alexander Böker beschäftigt. Wie erleben Sie die neue Stelle und die Forschungsmöglichkeiten in Potsdam?
Ich bin nun seit fast einem Jahr hier und sehr zufrieden mit dem Postdoc-Programm. Ich genieße alle nur erdenklichen Freiheiten, was meine Forschung angeht. Prof. Böker ist dabei der ideale Mentor, der mir stets mit Rat und Tat zur Seite steht und mich unterstützt, wo er kann. Auf der anderen Seite gibt er mir sehr viel Freiheit, was die thematische Ausgestaltung meiner Arbeit angeht, und lässt mich allein publizieren. Da bleiben für einen Nachwuchswissenschaftler keine Wünsche offen.
Mein größter Engpass ist im Moment das Personal. Verschiedene Anträge, die mir Doktorandenstellen oder andere Personalmittel bescheren würden, sind schon gestellt und weitere werden folgen. In der Zwischenzeit gibt es aber auch verschiedene Themen für Bachelor- oder Masterarbeiten zu vergeben. Wer also einen Hintergrund in Chemie oder Biochemie hat
und auf der Suche nach einem Thema für so eine Arbeit ist, kann mich gern kontaktieren.
Der Forscher
Dr. Matthias Hartlieb studierte Chemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit 2018 ist er als Postdoc in der Gruppe von Prof. Alexander Böker an der Universität Potsdam.
E-Mail: mhartliebuuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2020 „Gesundheit“.