Elisabeth Kaneza, die in Maastricht Politikwissenschaft studierte und jetzt eine interdisziplinäre Promotion in Jura schreibt, ist selbst Menschenrechtsaktivistin. Die von ihr gegründete Kaneza Foundation setzt sich für Betroffene von rassistischer Diskriminierung ein. „In Deutschland wird Rassismus zwar thematisiert, aber kaum auf die menschenrechtliche Situation der betroffenen Gruppen eingegangen. Er wird als gesellschaftliches Problem anerkannt, aber es fehlt eine Benennung der Opfergruppen, um diese sichtbar zu machen und anzuerkennen“, sagt Elisabeth Kaneza. „Das Thema Rassismus ist eben unangenehm“, so die Doktorandin. „Der Begriff der ‚Menschenrasse‘ ist wissenschaftlich nicht belegbar, das ist wichtig zu betonen, aber es gibt Diskriminierung aufgrund rassialisierter Merkmale“, sagt die Forscherin.
Da sie sich in ihrer Dissertation mit der sozialen und rechtlichen Wirklichkeit beschäftigt, fasst sie den Begriff der Rasse als soziale Kategorie: „Es gibt eben einen Rassismus, der eine Ideologie ist, und ein System, das Machtstrukturen erhält. Darin wird zum Beispiel eine schwarze Hautfarbe mit Andersartigkeit und Minderwertigkeit verknüpft.“ Das spiegelte sich auch lange Zeit im deutschen Recht wider, wie Kaneza in ihrer Dissertation zeigen wird. „Deutschland war eine Kolonialmacht und hat am transatlantischen Sklavenhandel partizipiert. Damals mussten rechtliche Grundlagen geschaffen werden, die die Versklavung und Verschleppung von Schwarzen Menschen rechtfertigen. Annahmen aus dieser Zeit wirken als Stereotype bis heute. Auch der Vordenker der Aufklärung, Immanuel Kant, hat die Rassenlehre geprägt.“
Mit der Formulierung des Grundgesetzes erfolgte ein Bruch in der rechtlichen Bewertung, denn die Mütter und Väter der Verfassung beabsichtigten, den Jahrhunderte zurückreichenden strukturellen Rassismus, der während der NS-Zeit in den Holocaust resultierte, endgültig abzuschaffen. Im Denken der Menschen sei dieser Bruch aber noch lange nicht vollzogen, meint die Forscherin, die in ihrer Arbeit nachweist, dass es auch heute noch einen strukturellen Rassismus gibt. Strukturell ist Rassismus dann, wenn er eine ganze Gruppe, etwa aufgrund ihrer Hautfarbe, immer wieder betrifft und die Diskriminierung also kein Einzelfall bleibt. Das sei beim antischwarzen Rassismus ebenso belegbar wie beim Antisemitismus und beim Antiziganismus. Kaneza beschäftigt sich nicht nur mit Normen des Rechts, sondern auch der Rechtspraxis, also damit, ob zum Beispiel Behörden Schwarze Menschen diskriminieren. „Das sollte so nicht sein – da ist Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetztes, der Antidiskriminierungsartikel ganz klar. Niemand soll aufgrund von Rasse benachteiligt oder bevorzugt werden. Es ist verboten.“ Tatsächlich aber komme das in Behörden wie dem Jugendamt oder der Polizei durchaus vor, so die Forscherin.
Genauer beleuchtet sie daher auch das Bundespolizeigesetz. „Das ist richtig schwierig. Die im Gesetz legitimierte Praxis, anlasslose Kontrollen durchzuführen, um illegale Migration zu stoppen, ist eine rassistische Praxis, wenn ausschließlich aufgrund der Hautfarbe kontrolliert wird“, sagt Elisabeth Kaneza und betont: „Das ist Racial Profiling.“ Das Problem wird derzeit viel diskutiert: Es gibt Juristen, die sagen, die Norm müsse im Bundespolizeigesetz gestrichen werden, auch wenn darin nicht explizit Kontrollen aufgrund der Hautfarbe gefordert werden. Andere meinen, das Antidiskriminierungsverbot solle im Bundespolizeigesetz stärker betont werden, damit die Beamten bei ihren Kontrollen sensibilisiert seien. „Ich weiß aber nicht, ob das an der Rechtspraxis etwas ändern würde“, ist sich Kaneza unsicher. „Man könnte zum Beispiel Protokolle schreiben lassen, die auch den Grund für die Kontrolle explizit benennen“, sagt sie und berichtet, was in Großbritannien praktiziert wird. „Dort trägt die Polizei Bodycams. Wenn es dann zu einer Gerichtsverhandlung kommt, kann man die Situation analysieren und es steht nicht einfach Aussage gegen Aussage.“ Das, so die Forscherin, könnte größere Transparenz schaffen – auch für die Betroffenen. Sie selbst hat noch keine abschließende Meinung dazu, wie mit dem Bundespolizeigesetz zu verfahren ist, meint aber – und da ist sie ganz Politikwissenschaftlerin –,dass es ja auch eine Polizeikultur gebe und daher antirassistische Aufklärung in der Aus- und Fortbildung stärker verankert werden müsse. „Es gibt Befunde, die zeigen, dass sich die jüngeren Polizeibeamten an ihren älteren Kolleginnen und Kollegen orientieren. Deshalb sollten auch für berufserfahrene Polizistinnen und Polizisten antirassistische Fortbildungen verpflichtend werden.“
Elisabeth Kaneza hat für ihr Dissertationsprojekt Interviews geführt – untypisch für eine juristische Promotion, aber als Politologin für sie ein vertrautes Terrain. „Ich sprach mit Ministerien, aber auch mit Betroffenen, die gegen antischwarze rassistische Diskriminierung klagten.“ Dabei konnte sich die Wissenschaftlerin ein umfassendes Bild machen und ist zu dem Schluss gekommen, dass das Abwehrrecht gegen Diskriminierung, dass sich aus Artikel 3 GG ergibt, nicht ausreicht. „Rasse ist in der deutschen Rechtspraxis zu ungenau bestimmt. Wir müssen die Opfer von Rassismus benennen. In anderen Ländern, zum Beispiel Großbritannien, geht das Recht besser mit dem Begriff Rasse um. Da weiß jeder sofort, was gemeint ist, wenn es um rassistische Diskriminierung geht“, sagt die Doktorandin. Es gehe nicht nur darum, Diskriminierung zu sanktionieren, sondern auch darum, die Rechte von Schwarzen Menschen zu verwirklichen und ihnen gleiche Chancen zu ermöglichen. Deshalb fordert sie ein Recht für die Gleichberechtigung von Schwarzen Menschen, also eines, das ihre Diskriminierung explizit anerkennt und daraus resultierend politische Programme auf den Weg bringt. „Zum Vergleich habe ich mir angeschaut, wie es zu Gleichberechtigungsnormen für Frauen kam, die ja ebenfalls strukturell diskriminiert wurden. Ich denke, dass wir ein ähnliches Recht für die Gleichberechtigung von Schwarzen Menschen brauchen.“