Bioökonomisch im engeren Sinne war das noch nicht, aber ein Zusammendenken der verschiedenen Geofaktoren und kulturellen Bedingungen im Bereich Landwirtschaft und Klimaveränderung ist deutlich erkennbar. Bei seinen Recherchen stellte Humboldt fest, dass Columbus bereits um 1500 die Veränderungen erkannt hatte, die mit der Rodung der karibischen Wälder in Küstenregionen für den Schiffbau einhergingen. Humboldt beschrieb schon früh die vom Menschen beeinflusste Veränderung der natürlichen Gegebenheiten.
Auch auf seiner russisch-sibirischen Reise 1829 gab es eine Reihe von Erkenntnissen, die ihn in die Richtung dessen gebracht haben, was wir heute unter Bioökonomie verstehen; insbesondere eine wesentlich stärkere Verzahnung aller Wissenschaften um bestimmte Kernfragen herum. Humboldt hat ganz wesentlich Natur und Kultur zusammen gedacht, was wir heute etwas verlernt haben. Zunächst gegen seinen Willen nahm er zur Kenntnis, dass andere Kulturen durchaus andere Konzepte von Wissen entwickelt haben. Als er am Orinoko eine Pflanze nicht bestimmen konnte, fragte er einen indianischen Führer. Dieser kaute daraufhin auf der Borke herum. Nach einigen Sekunden wusste er dann, um welche Pflanze es sich handelte. Anschließend probierte auch Humboldt diese und andere Borken – und fand alle gleich geschmacklos. Er hatte kein Sensorium dafür, erkannte aber seine eigenen Grenzen. So entwickelte er in seinem Denken immer mehr ein Bewusstsein dafür, dass es bestimmte Dinge gibt, die sich der westlichen wissenschaftlichen Herangehensweise entziehen.
Die Humboldtsche Wissenschaft war transdisziplinär. Zwar noch nicht transkulturell, aber das ist die heutige Bioökonomie auch nicht. Bioökonomie ist ein rein westliches Konzept, das gleichsam weltweit ausgespannt wird, das aber Ansätze anderer Kulturräume nicht an erster Stelle berücksichtigt. Humboldts Ansatz wäre es, andere Kulturen in das Konzept einzubeziehen – und das scheint mir wichtig zu sein.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2020 „Bioökonomie“.