Die Keimlinge sind erst zwei Wochen alt. Gleichmäßig reihen sie sich auf dem Nährboden der runden Petrischale dicht aneinander. Mit ihren zwei Keimblättern sehen sie alle gleich aus, doch dieser äußere Eindruck täuscht. Die Pflanzenbabys gehören zwar zu einer Art – der Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana –, aber Vicky Oberkofler hat in jeden der sechs auf dem Plattenboden eingezeichneten Sektoren sorgfältig Pflanzen platziert, die durch Mutationen jeweils eine unterschiedliche genetische Ausstattung besitzen. Nun wird die Doktorandin mit den Keimlingen Versuche starten. Deren Ziel ist es herauszufinden, wie die Pflanzen auf Hitzestress reagieren.
Erste Hilfe durch Hitzeschockproteine
Wenn die Sonne brennt und die Temperaturen steigen, kann eine Pflanze nicht einfach in den Schatten gehen. Dennoch sind auch Pflanzen nicht ganz wehrlos gegenüber der Hitze. Einige schützen sich mit Haaren oder einer dicken Wachsschicht, andere rollen ihre Blätter ein. Vor allem aber lösen zu hohe Temperaturen die Produktion bestimmter Eiweiße aus. Hitzeschockproteine sind so etwas wie ein Notfallmedikament für hitzegestresste Pflanzen. Sie reparieren in den Zellen geschädigte Eiweißstoffe und schützen noch intakte vor neuen Schäden. „Wir interessieren uns für die Regulation der Gene, die für diese Hitzeschockproteine verantwortlich sind“, erklärt Isabel Bäurle. Daneben sind aber auch weitere Strukturen auf der molekularen Ebene für die Forscherin interessant. Denn sie vermutet, dass Komplexe von DNA und den sie umgebenden Proteinen – das sogenannte Chromatin – ebenfalls darüber bestimmen, wie gut oder schlecht eine Pflanze Hitze verträgt.
Die Professorin für Pflanzliche Epigenetik erforscht schon seit Langem die genetischen und molekularbiologischen Grundlagen, die Pflanzen widerstandsfähig gegenüber Hitzestress machen. Die Ergebnisse ihrer Forschung sollen künftig wichtige Impulse für die Züchtung von Nutzpflanzen liefern. „Neben Trockenheit ist die Hitze einer der wichtigsten Faktoren, die auch in unseren Breiten zu großen Ernteverlusten führen“, betont Bäurle. Und mit dem Klimawandel werden die Hitzewellen im Sommer immer intensiver und häufiger. Deshalb ist es wichtig, die molekularen Mechanismen aufzuschlüsseln, die zu mehr Toleranz führen. Mit widerstandsfähigeren Sorten könnten die Landwirtinnen und Landwirte besser auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren und für stabile Erträge sorgen. Ein entscheidender Punkt ist dabei das Hitzestressgedächtnis, das Bäurle mit ihrem Team genauer untersucht.
Pflanzen mit Gedächtnis
Dafür müssen die Keimlinge der Ackerschmalwand erst einmal abtauchen: Für eine Stunde werden sie in 37 Grad Celsius warmem Wasser an hohe Temperaturen gewöhnt. „Priming“ nennen das die Biologen. Einige Tage später wiederholt sich die Prozedur – nun allerdings bei 44 Grad Celsius. Keimlinge, die zuvor kein Priming durchlaufen haben, überleben diesen Stress nicht. Doch bei den Versuchspflänzchen ist das anders: Sie haben ein Hitzestressgedächtnis entwickelt, dass es ihnen erlaubt, auf große Hitze schnell zu reagieren – ohne größere Schäden.
Im Experiment werden jedoch trotz des Primings einige der Pflanzen in der Hitze eingehen. Andere werden kaum beeinträchtigt sein. Verantwortlich dafür sind bestimmte Gene, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Teil schon identifiziert haben. Dort, wo diese Gene aktiv sind, verändert sich die Struktur des Chromatins. Das Team um Isabel Bäurle vermutet, dass dies eine Voraussetzung dafür ist, dass Pflanzen ein Hitzestressgedächtnis ausbilden können. Mit ihrem Experiment wollen die Biologen nun herausfinden, was in den Pflanzen geschieht, wenn diese Gene durch Mutationen ausgeschaltet werden und nicht richtig funktionieren. Bei jeder Mutante wird anschließend untersucht, welche Gene aktiv oder inaktiv sind, wie der Chromatinzustand ist, welche Proteine gebildet werden und wie sie den Hitzestress vertragen hat.
Nächster Schritt: Züchtung
Die Mechanismen sind komplex, Schritt für Schritt arbeiten sich die Forschenden voran. „Oft wirft eine Frage, die wir beantworten, drei neue Fragen auf“, sagt Isabel Bäurle. „Wir wissen bereits, dass bei Hitze bestimmte Gene an- und ausgeschaltet werden“, erklärt die Forscherin. Noch einige Tage nach dem Stress bleiben diese Gene aktiv. Die Pflanze bleibt sozusagen im Alarmzustand und kann bei Bedarf rasch mit Schutzmolekülen auf heiße Wetterphasen reagieren. Außerdem gibt es einige Gene, die kurze Zeit nach einem Hitzeereignis wieder ausgeschaltet werden, bei erneutem Stress aber schneller wieder aktiv sind. Bäurle spricht von einem „molekularen Hitzestressgedächtnis“.
Um zu untersuchen, wann die einzelnen Gene aktiv oder inaktiv sind, arbeiten die Forschenden um Bäurle auch mit einem Stoff, der von Glühwürmchen bekannt ist: Das Biomolekül Luciferin beginnt zu leuchten, wenn es mit einem bestimmten Enzym, der Luciferase, in Kontakt kommt. Im Labor haben die Molekularbiologen ihre Pflanzen mit einem Luciferase produzierenden Gen ausgestattet. Dieses ist aber nur aktiv, wenn auch andere bestimmte Gene angeschaltet sind, für die sich die Forschenden interessieren. Werden die Versuchspflänzchen dann mit Luciferin besprüht, beginnen sie dort, wo die gesuchten Gene aktiv sind, zu leuchten. Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist dies eine einfache Methode, um schnell und umfassend Genaktivitäten zu überprüfen.
In einem nächsten Schritt werden hier im Labor Gerstenpflanzen genauer unter die Lupe genommen. Ein bestimmtes Gen, das FORGETTER1-Gen, das bei der Hitzeantwort der Ackerschmalwand beteiligt ist, haben die Forschenden nämlich auch bei der Gerste gefunden. Nun wollen sie es ausschalten und beobachten, wie die Pflanze reagiert und was mit ihrem Hitzestressgedächtnis geschieht. Am Ende geht es darum, Gerstenpflanzen zu züchten, die gegen Hitzestress weniger anfällig sind. Die Grundsteine dafür werden hier gelegt.
Die Wissenschaftlerin
Prof. Dr. Isabel Bäurle studierte Biologie und Chemie an der Universität Freiburg. Nach einer Juniorprofessur ist sie seit 2019 Professorin für Pflanzliche Epigenetik an der Universität Potsdam.
E-Mail: isabel.baeurleuuni-potsdampde
Das Projekt
„Chromadapt (The role of chromatin in the long-term adaptation of plants to abiotic stress)“ ist ein von der EU (HORIZON 2020) gefördertes Projekt, das die molekularen Grundlagen von Anpassungen an Hitzestress bei Pflanzen untersucht.
Laufzeit: 2017 – 2022
Förderung: Europäischer Forschungsrat (ERC)
https://cordis.europa.eu/project/rcn/209923/ factsheet/en
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Eins 2020 „Energie“ (PDF).