Die Linien auf dem Monitor der Mathematikerin Jana de Wiljes bilden zwei miteinander verbundene Ovale. Die Abbildung erinnert an filigrane Schmetterlingsflügel. Doch tatsächlich ist es die Visualisierung eines mathematischen Modells. Es handelt sich um den sogenannten „Lorenz-Attraktor“, benannt nach dem Meteorologen Edward N. Lorenz, der das Modell 1963 entwickelte. Stark vereinfacht beschreibt es, wie Flüssigkeiten und Luftmassen strömen. Das ist etwa für die Wettervorhersage wichtig.
Forschung mit Spielzeugmodellen
Was hier so verspielt aussieht, verkörpert das Dilemma der Forscher, die mit diesen und ähnlichen Modellen arbeiten: Der Lorenz-Attraktor stellt ein System mit chaotischem Verhalten dar. Er zeigt, dass langfristige Wettervorhersagen nahezu unmöglich sind, weil winzige Veränderungen zu großen Abweichungen führen. Lorenz kreierte im Zusammenhang mit der Chaostheorie das Bild des Schmetterlingseffekts. Dieser besagt sinnbildlich, dass der Schlag eines Schmetterlings das Wetter in einem ganz anderen Teil der Welt beeinflussen kann.
Jana de Wiljes nutzt den Lorenz-Attraktor als ein sogenanntes Spielzeugmodell. „Es ist niedrigdimensional, sorgt zugleich aber für genügend Chaos“, erklärt sie. „Mit den großen numerischen Wettermodellen ist es nicht zu vergleichen.“ Am Spielzeugmodell kann sie aber gut austesten, wie Modelle und Daten am besten zusammengeführt werden können, um möglichst genaue Vorhersagen zu treffen.
„Das ist nicht einfach“, sagt die 33-jährige Wissenschaftlerin. Um Daten und Modelle zusammenzubringen, muss sie einerseits neue Methoden entwickeln, andererseits die bisher bestehenden noch besser verstehen. Sie hinterfragt und analysiert mathematische Annahmen, die hinter den Modellen stehen, und prüft, warum bestimmte Methoden erfolgreich sind und andere weniger. „Nehmen wir als Beispiel einen Roboter, der darauf programmiert ist, in einem Raum in eine bestimmte Richtung zu gehen“, beschreibt de Wiljes. „Durch kleine Unebenheiten auf dem Boden bewegt sich der Roboter aber ganz anders als beabsichtigt. Diese Fehler muss man beheben, indem man zusätzliche Informationen einholt.“ Im Prinzip sucht die Forscherin nach geeigneten Filtern, mit denen sie Modelle und Daten intelligent einander anpassen kann.
Manchmal genügen ihr dafür ein Blatt Papier und ein Bleistift. Dann jongliert sie mit Zahlen, Formeln, Modellparametern und erschließt mathematisch, warum eine Methode besser funktioniert als die andere, vereinfacht Gleichungen und setzt sie in die Filter ein, analysiert Annahmen, Daten und Ergebnisse.
An anderen Tagen nimmt die Mathematikerin den Computer dazu, schreibt Codes für neue Filter und testet diese zuerst mit einfachen Simulationen, die nach und nach immer komplexer werden. „Viele Methoden funktionieren nur gut, wenn man sehr viele Simulationsläufe durchgeht“, erklärt sie. Bei den komplexen, hochdimensionalen Modellen ist das allerdings schwierig. Sie verschlingen so viel Rechenleistung, dass es schlicht zu teuer wäre, Hunderte Simulationen durchzuführen. Doch zum Glück gibt es die Spielzeugmodelle der Mathematiker, die zwar stark vereinfacht sind, aber die grundlegenden Funktionen dennoch gut abbilden können. Schritt für Schritt führen die Tests an diesen Modellen die Forschenden zu neuen Erkenntnissen. Am Ende können die so erzielten Fortschritte auch auf die umfangreicheren Modelle angewendet werden.
Datenassimilation erobert neue Forschungsbereiche
Im Sonderforschungsbereich geht es nicht um Wettervorhersagen, betont de Wiljes, auch wenn die Mathematik, die dahintersteckt, ähnlich ist. Von den Grundlagen, die die Mathematikerin entwickelt, profitieren am Ende zahlreiche Forscherinnen und Forscher aus den unterschiedlichsten Fachgebieten. „Wir arbeiten ganz eng mit den anwendungsorientierten Projekten zusammen“, betont sie. Diese untersuchen etwa das Weltraumwetter, Erdbeben oder die Wirkung von Medikamenten im Patienten. Immer geht es dabei um Vorhersagen – wie intensiv der nächste Sonnensturm auf das Magnetfeld der Erde wirkt, wie stark das nächste Erdbeben wird oder wie einzelne Menschen mit klar definierten Eigenschaften auf bestimmte Wirkstoffe reagieren.
Natürlich ist Mathematik vor allem Denken. Doch bei ihrer Forschung sitzt Jana de Wiljes selten allein im stillen Kämmerlein und grübelt vor sich hin. „Mathematik ist ein Teamsport“, betont sie. Und diesen hat sie schon als Kind gelernt – schließlich waren beide Eltern Mathematiker. Neue Ideen diskutiert sie mit Kollegen, probiert Vorschläge aus oder erörtert mögliche Lösungswege. Im Sonderforschungsbereich ist auch der Kontakt zu den Wissenschaftlern anderer Fachbereiche wichtig. Schließlich muss die Mathematikerin verstehen, was hinter den einzelnen Projekten steckt und welche mathematischen Lösungen weiterhelfen können.
Dabei wagen sich die Mathematiker mit ihren Instrumenten auch auf neues Terrain. Während es etwa in der Meteorologie oder Robotik selbstverständlich ist, mit Daten und Modellen zu arbeiten, sind diese Verfahren in der Biologie oder Medizin weniger verbreitet. Doch das ist für de Wiljes eher Ansporn als Abschreckung: „Mit neuen Anwendungen kommen neue Herausforderungen, neue Methoden und neue Algorithmen“, sagt sie.
Die Wissenschaftlerin
Dr. Jana de Wiljes studierte Mathematik an der Freien Universität Berlin. Seit 2014 forscht sie an der Universität Potsdam.
E-Mail: wiljesuuni-potsdampde
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2019 „Daten“.