Linda Suhm, Carina Höltge und Maximilian Noah haben gerade viel um die Ohren. Doch daran haben sie sich im Laufe des letzten Jahres gewöhnt. Wer eine eigene Firma gründet, hat tausend Aufgaben zu erledigen – und zählt die Arbeitsstunden nicht. Einen typischen Arbeitstag? „Gibt es nicht“, sagen sie lachend. Jeder Tag ist anders und bringt neue Herausforderungen mit sich.
„QATAI“ ist der Arbeitstitel ihres Vorhabens, für das sie im vergangenen Herbst ein EXIST-Gründerstipendium von 135.000 Euro eingeworben haben. Es geht um „individualisierte Hautpflegeprodukte“, verraten die Unternehmer. Gerade dort klaffe auf dem Markt eine große Lücke. Die üblichen Produkte seien standardisiert und recht einheitlich, auf eine möglichst große Masse potenzieller Kunden zugeschnitten. Individuelle Bedürfnisse werden dabei meist nicht bedient. Wer höhere Ansprüche hat, muss bisher zum Dermatologen oder zur Kosmetikerin gehen und aufwendige Hauttests durchführen lassen. „Den meisten ist das zu zeitintensiv“, sagt Linda Suhm.
Hautpflege per Fragebogen
Die drei Unternehmer, die alle noch keine 30 sind, wollen die Marktlücke schließen. Denn Haut ist nicht gleich Haut. „Ihr Zustand wird von vielen Faktoren beeinflusst: der Ernährung, Sport, Alkoholkonsum, aber auch vom Wetter, der Luftfeuchtigkeit oder der Sonnenstrahlung“, erklärt Suhm. „Viele Kunden wissen gar nichts über ihren Hautzustand und sind ein Stück weit überfordert.“ Sie wissen nicht, wie sie ihre Haut am besten pflegen sollen. Mit ihrer Idee suchen die drei deshalb den direkten Kontakt zu ihren Kunden – um sie informieren und beraten zu können und eine perfekt auf die Bedürfnisse zugeschnittene Hautpflege zu liefern. Dafür entwickeln sie einen Online-Fragebogen, mit dem sie analysieren, welche Creme die Haut des jeweiligen Kunden optimal pflegt. Gleichzeitig sollen die gewonnenen Daten mit denen der Umgebung abgeglichen werden, in der sich der Kunde aufhält. Denn die Hautpflege wird nicht nur auf den individuellen Hautzustand, sondern auch auf Wetter und Jahreszeit abgestimmt. Diesen Test sollen die Kunden künftig auf der Homepage des Unternehmens durchführen, wo sie sich auch allgemein über die Haut und ihre Pflege informieren können. Anschließend ermittelt ein Algorithmus die passende Tagespflege, die es dann online zu kaufen geben wird.
So weit, so gut. Eine Frage drängt sich jedoch förmlich auf: Was haben eigentlich Wirtschaftswissenschaften und Kommunikationsdesign mit Hautpflege zu tun? „Ich hatte davor nie mit irgendetwas in dieser Richtung zu tun“, sagt Maximilian Noah. Doch das habe sich eher als Vorteil erwiesen. Denn schließlich schaue er aus einer ganz anderen Perspektive auf das Geschäftsfeld. Das wesentliche Tätigkeitsgebiet des Unternehmens ist der Verkauf von Kosmetikprodukten. Die notwendige Expertise für die Qualität ihres Produktes holen sich die drei von außen dazu: Dermatologen und Pharmazeuten beraten sie zu den Inhaltsstoffen der Cremes und der geeigneten Rezeptur. Möglichst einfach, aus wenigen Komponenten soll die Pflege bestehen und dabei ohne Konservierungsstoffe auskommen. Auch aus der Industrie holt sich das Team Unterstützung: Für die Produktion der Cremes müssen geeignete Formulierungen entwickelt werden, die Fertigung an sich soll klimaneutral sein.
Die Geschäftsidee für die individualisierte Hautpflege hatte Maximilian Noah bereits vor drei Jahren. Und zwar während eines Marketingwettbewerbs eines großen Kosmetikkonzerns. Damals kristallisierte sich für ihn ein Problem heraus, das viele Unternehmen dieser Branche haben: Ihre Strukturen sind primär auf den Vertrieb über den Einzelhandel ausgelegt und kaum für das Direktkundengeschäft geeignet. Um individualisierte Produkte anbieten zu können, müssen aber Daten generiert und zudem noch richtig ausgewertet werden. Das funktioniert nur über den direkten Kontakt zu den Kunden. Noah sah das Potenzial für einen neuen Ansatz in der Kosmetikbranche.
In seiner WG-Mitbewohnerin Linda Suhm, ebenfalls Wirtschaftswissenschaftlerin, fand er schnell eine Partnerin, die sein Vorhaben unterstützte. Mit ins Boot holten sie schließlich noch Carina Höltge, die als Kommunikationsdesignerin den Online-Auftritt des Kosmetik-Start-ups und auch das Design der Produktverpackungen – von der Farbe bis zur Schrift – verantwortet. „Da ich alles von Beginn an begleiten kann, ist es ein sehr spannendes Projekt mit viel Gestaltungsspielraum“, freut sie sich.
Marktforschung auf der Straße und auf der Messe
Am Anfang galt es für die Unternehmer herauszufinden, ob die Kundschaft überhaupt dazu bereit ist, in einem Online-Fragebogen umfangreich Auskünfte über ihren Lebensstil oder den Zustand ihrer Haut zu verraten. Denn darauf baut das Geschäftsmodell auf. Eine Testhomepage und eine gezielte Umfrage in den sozialen Medien zeigten schnell: Sehr viele Nutzer sprachen auf das Konzept an und beantworteten Fragen durchaus detailliert. Die Gründer haben offenbar auf die richtige Karte gesetzt. „Das hat uns Sicherheit gegeben“, sagt Noah.
Von da an hieß es: Volle Kraft voraus! Kommunikationsdesignerin Carina Höltge testete mit einem ersten Prototypen der Website, welche Farben und Gestaltungselemente gut ankommen. „Eine Variante hat plötzlich viele Leute an Zahnpasta denken lassen. Das war natürlich nicht das, was wir wollten“, erinnert sie sich. Maximilian Noah befragte Menschen vor Drogeriegeschäften nach ihrer Meinung zum geplanten Produkt. Gemeinsam fuhr das Team sogar auf Messen, um sich geeignete Verpackungen und Spender für ihre Produkte anzuschauen. „Sollen sie aus Glas oder Plastik sein? Wo kommt das Material her? Was ist am umweltfreundlichsten? Welche Form wollen wir? Was ist gut recycelbar? Wie groß sind die Mindestabnahmemengen? Wie lange dauert die Produktion? – Es gibt allein zu diesem Thema hundert Fragen, die wir beantworten müssen“, beschreibt Noah die Herausforderung.
Potsdam als idealer Standort
„Es gibt viele Baustellen, die ähnlich intensiv durchdacht werden müssen“, erklärt Linda Suhm. Die Gründer arbeiten daran entweder im Café, in der Wohnung oder im Büro, das ihnen an der Universität Potsdam zur Verfügung steht. Hier unterstützt sie außerdem das Netzwerk von Potsdam Transfer, das die Bedürfnisse von jungen Gründern ganz genau kennt. Beratend zur Seite steht ihnen auch Professorin Katharina Hölzle. Tatsächlich sind die drei Jungunternehmer im vergangenen Jahr ganz gezielt nach Potsdam gekommen, um hier ihre eigene Firma aus der Taufe zu heben. „Die Uni zählt zu den besten Gründer-Unis in Deutschland“, betont Noah.
Viele Meilensteine auf ihrem Weg haben Suhm, Höltge und Noah bereits hinter sich gelassen. Gleichwohl wird es noch Monate dauern, bis die erste Creme ihren Online-Shop verlässt. Vom Prototyp bis zum verkaufsfertigen Produkt vergeht mindestens noch ein halbes Jahr. In dieser Zeit müssen Patente angemeldet, Marken eingetragen, Verkaufskanäle eingerichtet und Domainadressen gesichert werden. Sie müssen noch viele rechtliche Fragen klären und den Businessplan zu Ende schreiben.
Die Tage der Gründer sind arbeitsreich und gefühlt zu kurz. „Es gibt noch keine Routinen und manchmal jagt eine Herausforderung die nächste“, sagt Noah. Die gewünschte Web-Domain für die Homepage ist nicht mehr verfügbar oder die Produktion der Cremespender dauert viel länger als geplant. Manchmal werden Geduld und Durchhaltevermögen stark strapaziert. Dennoch sind alle drei am Ende des Tages meistens zufrieden. „Manchmal fühlt man sich wie ein Hamster im Rad, aber manchmal fühlt es sich gar nicht wie Arbeit an.“
Das Projekt
„QATAI“ ist ein Gründungsvorhaben, das seit November 2018 durch ein EXIST-Stipendium an der Universität Potsdam gefördert wird. Mit ihrem Unternehmen wollen die Gründer individualisierte Hautpflegeprodukte entwickeln, die mithilfe von Daten auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmt sind.
Die Gründer
Linda Suhm und Maximilian Noah studierten Wirtschaftswissenschaften an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Sie übernehmen hauptsächlich die Aufgaben der Kooperationen, Produktentwicklung und -vermarktung und technischen Umsetzung. Carina Höltge studierte Kommunikationsdesign an der Hochschule Mainz. Sie kümmert sich um das Corporate Design, die Homepage und alle Fragen der Gestaltung.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal Wissen - Zwei 2019 „Daten“.