Als Felix Hoffmann als Trainer im USV begann, brachte er zunächst Studierenden den Kampfsport bei. Er hatte selbst Politik, VWL und Islamwissenschaften studiert. Doch der Wunsch, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, wuchs. „Vielleicht hat mich auch inspiriert, dass mein Vater Sozialarbeiter bei der Jugendgerichtshilfe war“, sagt Hoffmann. Sein Entschluss, eine Nachwuchsgruppe zu gründen, fiel in die Zeit der Flüchtlingsbewegung. Hoffmann entschied sich, hier anzusetzen und warb nicht nur in Schulen, sondern auch in Flüchtlingsheimen fürs Boxen auf dem Uni-Campus.
Die Nachfrage war von Anfang an groß. Hoffmann startete mit fünf Trainingseinheiten pro Woche, heute sind es 13. Ungefähr 120 Kinder und Jugendliche boxen im Kampfsportraum der Universität. Die jüngsten sind acht Jahre alt, die ältesten sind junge Erwachsene – und viele von ihnen haben Fluchterfahrung. Zunächst trainierte er die Kinder ehrenamtlich. „Aber allein war die Arbeit schon bald nicht mehr zu stemmen.“ 2017 wurde aus seinem Ehrenamt ein Hauptamt, mit Unterstützung von Dr. Berno Bahro, Vorsitzender des Universitätssportvereins Potsdam, der mithilfe einer Förderung der Deutschen Sportjugend eine Honorarstelle erwirken konnte. Von der „Aktion Mensch“ erhielt das Projekt eine dreijährige Startförderung, die Ende 2020 ausläuft. Finanziell unterstützt wird es auch von der EWP, ProPotsdam, der MBS-Stiftung sowie der ILB. Fünf Mitarbeiter gehören inzwischen zum Team.
„Die Verbindung aus Kampfsport und Jugendsozialarbeit funktioniert sehr gut“, sagt Hoffmann. „Die körperliche Begegnung ist für junge Menschen wichtig. Sie wollen sich behaupten können.“ Angst, Gewalt und Selbstvertrauen sind für viele ein großes Thema, nicht selten auf dem Schulhof. Aus Hoffmanns Sicht sind Ängste der häufigste Grund für Aggressionen. Um nicht Opfer von Mobbing zu werden, werden einige junge Menschen eher selbst gewalttätig, erklärt der Projektleiter. Damit es erst gar nicht so weit kommt, unterstützen die Trainer die Jugendlichen dabei, mit ihrer körperlichen Stärke auch ihr Selbstbewusstsein aufzubauen – und dabei Ängste zu verlieren. Hin und wieder sind Härtefälle unter den Kindern, die bereits gewalttätig geworden sind. Auch die Jugendgerichtshilfe des Potsdamer Jugendamts schickt Jugendliche gezielt zum Boxen. Felix Hoffmann und sein Team sprechen dann mit Eltern, Lehrern und der Polizei und versuchen, bei Problemen zu vermitteln.
Viele der jungen Boxerinnen und Boxer kommen über die drei Schulen, mit denen „Fair in Potsdam“ kooperiert: dem Oberstufenzentrum 1, der Steuben-Gesamtschule und der Fontane-Oberschule. Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen sind Mädchen und junge Frauen. Donnerstags gibt es für sie eine eigene Trainingseinheit. „Aus kulturellen oder religiösen Gründen kommt es für viele nicht infrage, gemeinsam mit Jungen und Männern zu boxen. Viele fühlen sich aber auch einfach wohler unter Frauen.“ Mitmachen können alle Interessierten – vorausgesetzt, sie bringen eine gewisse Fitness mit. „Boxen ist sehr anstrengend“, sagt Hoffmann und lächelt. Und es muss genügend freie Kapazitäten geben, denn der Sportraum der Uni Potsdam bietet nur begrenzt Platz. „Angesichts der großen Nachfrage in Potsdam könnten wir gut drei Mal so viele Mädchen und Jungen trainieren. Wir platzen aus allen Nähten“, so der 41-Jährige. Der Universität ist er aber sehr dankbar, dass sie die Räume für die Jugendsozialarbeit zur Verfügung stellt.
Maria Pohle ist Pädagogin im Team. Die 33-jährige, die aus St. Petersburg stammt, ist gerade zur Vorsitzenden des Migrantenbeirat der Landeshauptstadt Potsdam gewählt worden. Bei „Fair in Potsdam“ begleitet sie jede Trainingseinheit. Meist startet sie mit dem gemeinsamen Bandagenwickeln, bei dem die Gruppe sich über Neuigkeiten und Konflikte austauscht. „Vertrauens- und Emotionsspiele helfen den Kindern, Wut abzubauen und mit starken Emotionen umzugehen“, sagt Pohle. Im Projekt geht es um mehr als Sport. „Unsere Unterstützung reicht bis tief ins Einzelfallmanagement: Wir organisieren Fahrdienste, Nachhilfe oder helfen beim Asylantrag.“ Auch Vergnügungen kommen nicht zu kurz. Zusammen feiern sie Festtage aus verschiedenen Religionen: neben Weihnachten zum Beispiel auch das Zuckerfest.
Den Weg zum Boxen fand Maria Pohle übrigens in ihrer Freizeit – sie boxte privat im USV, wo neben Studierenden auch das Universitätspersonal trainiert. Mehrere Jahre war die Absolventin der Uni Potsdam als Germanistin an ihrer Alma Mater tätig. Über ihre aktuelle Tätigkeit als Pädagogin freut sie sich. „Germanistik ist mein Beruf – Pädagogik meine Berufung.“
Foto zum Download: Felix Hoffmann, Andres Jurk, Sebastian Rath, Maria Pohle und Felix Müller (v.l.n.r.). Foto: Thomas Roese.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2020 „Bioökonomie“ (PDF).