Seit 2018 kooperiert die Professur für Religionswissenschaft an der Universität Potsdam mit vier irakischen Hochschulen in Erbil und Dohuk: der Tishk International University, der Catholic University, der Salahaddin University und der University of Dohuk. Ihr gemeinsames Ziel ist es, die religiöse Vielfalt im Nordirak zu erforschen und letztlich zu stärken. Über das Projekt „Religious Diversity Potsdam-Erbil“, das durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert wird, sprach Jana Scholz mit dem Leiter Prof. Dr. Johann Hafner und dem Koordinator Dr. Stefan Gatzhammer.
Wie entstand die Kooperation der Uni Potsdam mit den irakischen Hochschulen?
Prof. Dr. Johann Hafner: Aus eigener Initiative haben zwei Lehrstuhlmitarbeiter, Dr. Stefan Gatzhammer und Kadir Sanci, im März 2017 Irakisch-Kurdistan besucht und dabei gleich die diversen Uni-Kontakte angebahnt. Es ging dann sehr schnell und bis heute lief es wie am Schnürchen: Nach den offiziellen Kooperationszusagen im August 2017 haben wir die Anträge gestellt, und im Dezember kam der positive Förderbescheid durch den DAAD für 2018 bis 2019. Und nun hat der DAAD unser Projekt für 2020 verlängert.
Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus?
Dr. Stefan Gatzhammer: Es gab bislang fünf Projektmaßnahmen, zwei in Erbil und drei in Potsdam. Auf der Arbeitsebene treffen wir uns seit 2017 regelmäßig mit den Dozentenkollegen und den Fachkoordinatoren in Potsdam, in Erbil oder in Dohuk. Für den Studierenden- und Dozierendenaustausch fand im Frühjahr 2018 eine zwölftägige Exkursion nach Irakisch-Kurdistan mit unseren Studierenden statt. In diesem Jahr war eine Delegation von 31 Studierenden, Dozenten und drei Unipräsidenten aus Erbil bei uns in Potsdam auf der Summer School.
Was erforschen Sie im Projekt?
Gatzhammer: Ein erstes Ziel ist der persönliche Austausch sowie die fachliche Zusammenarbeit unter Kolleginnen und Kollegen unterschiedlichster Fachrichtungen. Ein zweites Ziel ist die Vorbereitung einer Publikation, das heißt einer religiösen Kartierung für die Stadt Erbil, die ungefähr so groß wie München ist. Es sind ca. 70 Portraits von religiösen Communities (unter anderen Mandäer, chaldäische und syrisch-orthodoxe Christen, sunnitische Muslime, Jesiden) in Vorbereitung. Damit soll zum einen auf die immer noch vorhandene religiöse Vielfalt und die sozialen Aktivitäten hingewiesen, zum anderen aber vor allem auch die Empathie untereinander gefördert werden – im Nordirak ist das Zusammenleben der Religionsgemeinschaften und Bevölkerungsgruppen durch die Katastrophe des Islamischen Staats empfindlich gestört. Die Studierenden an der Catholic University zum Beispiel sind teils Binnenflüchtlinge aus der angrenzenden Niniveh-Ebene und von den Zerstörungen und Vertreibungen seit 2014 auch persönlich betroffen. Eine christliche Studentin stammt aus der umkämpften Stadt Mossul, dorthin will die Familie nicht mehr zurück.
Sie kommen gerade von einer Reise aus Erbil und Dohuk zurück. Was war das Anliegen Ihres Besuchs?
Hafner: Im November fand in Erbil für die Projektteilnehmer ein Workshop in Fortsetzung der Arbeiten am City-Mapping Erbil statt. Der kurdische Religionsminister Sadiq wollte persönlich darüber informiert werden und bat, darum Mitarbeiter seines Ministeriums einzubinden, der christliche Minister für Transport und Kommunikation Dr. Ano Abdoka hat bei einem Arbeitsbesuch seine volle Unterstützung zugesagt.
Wir sprachen in Erbil mit dem Gemeindeleiter der Mandäer, auch Sabier genannt. Das ist eine eigenständige Religion, die sich auf gnostische Traditionen und Johannes den Täufer zurückführt. Über Straßengespräche sind wir außerdem auf neue evangelikale Gemeinden gestoßen und haben sie besucht. Zu ihnen gehören auch muslimische Konvertiten, was im Islam unter Strafe steht. Außerdem haben wir die Exkursion 2020 vorbereitet und das Programm mit den Gastgebern erörtert. Schließlich arbeiten wir bereits an zwei Folgeprojekten: Unsere Kollegen von der Uni Dohuk legten kürzlich eine siebenbändige Dokumentation zum Völkermord an den Jesiden vor, wir arbeiten bereits intensiv an einer deutschen Auswahlausgabe. Außerdem ist mit den irakischen Kollegen eine größere Tagung geplant zu den Genoziden des 20. Jahrhunderts, beginnend mit dem Völkermord an den assyrischen und armenischen Christen zwischen ca. 1880 und 1915, der Shoah im Dritten Reich und den von Islamisten systematisch geplanten Menschenrechtsverletzungen an den Jesiden im Shingal-Gebirge im August 2014. Die Genozid-Konferenz soll 2021 in Berlin und Potsdam stattfinden.
Foto zum Download:Dr. Gatzhammer, der christliche Minister für Transport und Kommunikation Dr. Ano Abdoka, Prof. Hafner und der ehem. Präsident der Tishk-University, Prof. Ahmet Öztaš (v.l.n.r.). Foto: Stefan Gatzhammer.
Text: Jana Scholz
Online gestellt: Jana Scholz
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