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Vorwürfe und Aufbruchsstimmung – Im Gespräch mit Christina Wolff und Dr. Käthe von Bose über den Wissenschaftstag #4genderstudies

Christina Wolff (li.) und Dr. Käthe von Bose. Foto: Tobias Hopfgarten.
Foto : Tobias Hopfgarten
Christina Wolff (li.) und Dr. Käthe von Bose
Am 18. Dezember 2019 findet zum dritten Mal der Aktionstag #4genderstudies statt. Ins Leben gerufen wurde der bundesweite Wissenschaftstag 2017, um heftiger Kritik an der Geschlechterforschung zu begegnen und über das Fach ins Gespräch zu kommen. Über den Wissenschaftstag und die aktuelle Situation der Gender Studies an deutschen Hochschulen sprach Jana Scholz mit Christina Wolff, Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Universität Potsdam, und Dr. Käthe von Bose, Leiterin des Lehrbereichs Geschlechtersoziologie der Universität Potsdam.

Was passiert am 18. Dezember 2019 in Potsdam?

Christina Wolff: Den Wissenschaftstag #4genderstudies bereiten wir im Netzwerk „Interdisziplinäre Geschlechterforschung“ vor. Mit zwei Veranstaltungen werden wir im Kulturzentrum freiLand sein: Nachmittags findet ein Empowerment-Workshop für Aktive in der Geschlechterforschung statt, die sich mit einem Training zu Kommunikationsstrategien auf dem Feld weiterbilden wollen. Am Abend wird es ein Barcamp mit drei Themen geben: dritte Geschlechtsoption, feministische Wissenschaft und Critical Whiteness. In kleinen Runden können Forschende, Studierende und Interessierte aus der Stadt bei einem Glühwein ins Gespräch kommen. Mit an Bord sind auch die Fachhochschule Potsdam und die Film-Universität Babelsberg KONRAD WOLF, die Aktion verbindet also Potsdamer Hochschulen.

Käthe von Bose: Wir wollen den Dialog über die Gender Studies zwischen Universität und Stadt fördern. Das versuchen wir auch mit unserer Plakat-Aktion: Die Idee ist, dass wir den Tag in den Hochschulen, aber auch im öffentlichen Raum in Potsdam bekannt machen. Die Plakate zeigen Zitate aus der Geschlechterforschung und weisen natürlich auf den Workshop und das Barcamp hin. Wir wollen außerdem Werkzeuge für die Lehre an die Hand geben, die wir kurz vor dem Aktionstag in einem Newsletter versenden werden. Er enthält ganz praktische Tipps für Lehrende, die es im Seminarraum mit vielfältigen Differenzen zu tun haben. Wie können zum Beispiel Studierende mit Behinderung im Studium unterstützt werden? Woran liegt es, wenn sich in den Seminaren immer wieder dieselben melden? Wie können Dozent*innen Studierende aus nicht-akademischen Familien fördern?

Wolff: Mit Geschlechterfragen in der Lehre befasst sich beispielsweise auch der Arbeitskreis „Kritische Jurist*innen“. Ich höre oft, dass die Fälle, die dort in Klausuren und Übungen als Beispiel dienen, immer noch furchtbar stereotyp sind: Es tauchen vor allem Konstellationen zwischen Professor und Studentin oder Chef und Sekretärin auf oder es geht um Ehefrauen, für die der Mann große Rechnungen bezahlen muss. Solche und andere Aspekte wollen wir am Aktionstag diskutieren und Lösungen finden.

In welcher Situation befindet sich die Geschlechterforschung aktuell? Sehen Sie eine Bedrohung der Gender Studies?

von Bose: Seit Jahren kann man feststellen, dass die Gender Studies das Fach sind, das öffentlich am stärksten auf negative Weise diskutiert, diffamiert und delegitimiert wird. Vertreter*innen dieses Bereichs sind teils massiven Angriffen von verschiedenen Seiten ausgesetzt. Ein Höhepunkt war das Verbot des Studienfachs Geschlechterforschung an ungarischen Universitäten im vergangenen Jahr. Hierzulande geht vor allem die AfD gegen die Gender Studies vor. Ich erinnere mich noch, wie erschrocken ich war, als ich im Wahl-O-Mat die Frage las, ob ich für das Fortbestehen der Gender Studies an Hochschulen sei. Man muss jedoch unterscheiden zwischen diffamierenden Angriffen und konstruktiver Kritik. Kritische Fragen will der Aktionstag aufgreifen und darauf antworten. Kolleg*innen im ganzen Land bemühen sich mit Broschüren und FAQs, regelmäßig aufkommende Fragen zu beantworten und Missverständnissen zu begegnen. Wir wollen transparent machen, was die Geschlechterforschung in Deutschland im Moment tut, in der Hoffnung, dass dadurch mehr Verständnis entsteht.

Welche Fragen beschäftigen die Geschlechterforschung im Moment und mit welchen Vorurteilen hat sie zu kämpfen?

von Bose: In der Geschlechtersoziologie geht es insbesondere um Ungleichheiten in der Gesellschaft, in Sachen Arbeit zum Beispiel. Denn noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt weniger als Männer und sind im Alter häufiger von Armut betroffen.

Wolff: Die Vorwürfe aus der Anti-Genderismus-Bewegung lauten, dass wir mit den Gender Studies zu einer Frühsexualisierung von Kindern beitragen oder dass wir traditionelle Familienmodelle aufbrechen würden. Familie ist überhaupt ein ganz großes Thema. Die Kritik setzt oft da an, wo Menschen in bestimmten Mustern leben und sich bedroht fühlen, wenn es zu komplex wird. Dann wird den Gender Studies vorgeworfen, dass sie mit verwissenschaftlichten Begriffen um sich werfen würden, die am Ende niemand mehr versteht. Auch wird es oft als politische Einflussnahme verstanden, sich wissenschaftlich mit gesellschaftlichen Ungleichheiten zu befassen. Die Gender Studies tun das in Bezug auf Geschlecht, aber eben auch auf viele andere Aspekte wie Migration, Alter oder Behinderung. Sie wollen verstehen, wie Machtverhältnisse entstehen.

von Bose: Die Geschlechterforschung greift sehr lebensnahe Themen auf, was ihre Stärke ist, was aber auch verunsichern kann – schließlich geht es um ganz persönliche Dinge wie Körper, Sexualität, Familie. Für viele ist selbstverständlich, dass es zwei biologische Geschlechter gibt und das Verhältnis zwischen den Geschlechtern darauf zurückzuführen ist. Wenn hinterfragt wird, wie das eigentlich ist mit der Biologie, dann liegen darin aus unserer Sicht Potenziale. Denn solche Normen bieten den einen vielleicht Sicherheit, für die anderen sind sie aber sehr, sehr ausschließend.

Wolff: Dass der Gegenstand, anders vielleicht als in der Quantenphysik, so nah am Alltag der Menschen ist, nutzen wiederum rechte Vereinigungen, um Menschen anzustacheln und zu sagen: Schau mal, die wollen das Geschlecht abschaffen! Und da die Gender Studies aus einer politischen Bewegung heraus entstanden sind, sind die Grenzen fluider als in anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Der Aktionstag versucht zu betonen, dass es um wissenschaftliche Fragestellungen geht …

von Bose: … die ja immer auch politische Auswirkungen haben können. Aber ich würde gerade betonen, dass Wissenschaft Teil von Gesellschaft sein sollte – nicht indem sie eine politische Agenda vorgibt, sondern indem sie durch kritische Analysen dazu beiträgt, gesellschaftliche Dynamiken überhaupt erst zu erkennen.

Seit wann gibt es die Gender Studies an deutschen Universitäten?

von Bose: Die Entstehung der Gender Studies wird meist auf die zweite Frauenbewegung in den 1970er Jahren datiert. Es gab allerdings auch schon eine frühe Frauenforschung in der Zeit der ersten Frauenbewegung um 1900. In den 1970er Jahren ging es jedoch darum, die Lebensrealitäten von Frauen an die Hochschule zu bringen, die etwa in der soziologischen Forschung nicht mitbedacht worden waren. Einen Umbruch gab es dann in den 1980er Jahren. Damals entstanden die Gender Studies, wie wir sie heute verstehen. Der Begriff „Gender“ sagt bereits, dass es darum ging, das Forschungsfeld zu erweitern und sich von der eher klassischen Frauenforschung abzugrenzen. Die Forscher*innen beschäftigte nun, wie Geschlechterzuschreibungen überhaupt entstehen; dass Geschlecht nicht allein biologisch vorgegeben ist, sondern auch sozial „gemacht“ wird und immer zusammen mit anderen sozialen Faktoren wie Migration, Klasse, Sexualität zu betrachten ist. Doch noch heute gibt es Frauenforschung bzw. Frauen- und Geschlechterforschung, es ist ein Feld mit einer Vielfalt an Perspektiven.

Wolff: Schaut man nach Potsdam, ist es interessant zu sehen, wie hier Anfang der 1990er Jahre über den Titel der damals neuen Professur zur Frauen- und Geschlechterforschung in der Soziologie diskutiert wurde. Letztlich fiel die Wahl auf die Denomination „Frauenforschung“, mit einem klaren Fokus auf Frauen. Die Soziologin Irene Dölling erhielt den Ruf auf die Professur. Später wurde sie in „Soziologie der Geschlechterverhältnisse“ umbenannt, weil es mehr und mehr um das Verhältnis zwischen den Geschlechtern gehen sollte. Ich finde, an den Benennungen kann man gut sehen, wie Forschungsfokusse gesetzt wurden und sich auch verändern. Heute ist die ehemalige Professur die „Funktionsstelle Geschlechtersoziologie“, die Käthe von Bose innehat.

von Bose: Im Vergleich zur Aufmerksamkeit, die die Gender Studies bekommen, ist die Anzahl der Professuren in Deutschland, die wirklich Gender oder Geschlecht im Titel tragen, mit nur 0,4 Prozent unglaublich gering.

Wolff: Sind die Gender Studies nun ein Nischenthema? Da wird auch unheimlich viel innerhalb des Fachs selbst diskutiert. Für mich ist es ein Querschnittsthema, das im Grunde überall drin steckt. Von den Sozialwissenschaften bis zu den Geistes- und Kulturwissenschaften.

von Bose: Besonders die jüngere Generation setzt sich für eine stärkere Legitimation des Fachs ein. Seit zehn Jahren gibt es ja auch eine Fachgesellschaft Geschlechterstudien, wo es vorher nur die Geschlechtersektionen in den einzelnen Disziplinen gab. Viele argumentieren für solch ein Zugleich – dass es ebendiesen Fachzusammenhang braucht, der aber immer interdisziplinär ist.

Was ist das Anliegen des Netzwerks „Interdisziplinäre Geschlechterstudien“?

Wolff: Das Netzwerk wurde Anfang der 1990er Jahre von Prof. Dölling zusammen mit Kolleginnen aus der Philosophischen und der Humanwissenschaftlichen Fakultät gegründet. Auch die Gleichstellungsbeauftragten sind seither in diesem Netzwerk vertreten. Es will Vernetzungsraum bieten, etwa über Veranstaltungen wie den Aktionstag. Von Anfang an war es das Ziel, das „Zusatzzertifikat für interdisziplinäre Geschlechterstudien“ zu entwickeln – mit einem eigenen Vorlesungsverzeichnis aus den unterschiedlichen Fakultäten. Aktuell können Interessierte über Studiumplus 31 Kurse im Bachelor und Master belegen, aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Romanistik, Soziologie oder Erziehungswissenschaften. Als Koordinatorin freue ich mich zu sehen, dass die Zahl der Zertifikatstudierenden ständig wächst. Die Studierenden fordern das Thema an der Universität richtiggehend ein und organisieren selbst Veranstaltungen zum Thema.

von Bose: Durch das Zertifikat kommen viele Studierende aus ganz unterschiedlichen Fächern zu uns in die Soziologie, da wir durch die Funktionsstelle stark vertreten sind. Die Auseinandersetzung mit geschlechtersoziologischen Fragen bewegt bei den Studierenden sehr viel. Sie lernen zu fragen, wie wissenschaftliches Wissen entsteht, wer als Subjekt sichtbar ist und wer eher unsichtbar gemacht wird. Die Geschlechterforschung macht auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Grundlagen aus.

Wie können die Studierenden das Zertifikat nutzen?

von Bose: Es zeigt ein zusätzliches fachliches Engagement im Studium, das auch beruflich sinnvoll sein kann, wenn man etwa in die Gleichstellungs- oder Diversity-Arbeit gehen möchte oder in den NGO-Bereich.

Wolff: Das Zertifikat ermöglicht den Studierenden, sich in der Forschung zu spezialisieren und auch mal über den Tellerrand der eigenen Disziplin zu schauen. Tatsächlich kann das Zertifikat auch für die Karriereplanung sinnvoll sein, denn der Bereich Gleichstellung wächst extrem.

Gäbe es ein Institut für Geschlechterforschung in Potsdam, hätte es womöglich den Nachteil, nicht ganz so fachübergreifend zu operieren?

Wolff: Ich würde es vielleicht nicht Institut nennen, aber wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es schon ein Zentrum für interdisziplinäre Geschlechterforschung an der Uni Potsdam. Ich beobachte, dass Forscher*innen an den Berliner Universitäten, wo es solche Zentren gibt, ganz anders agieren können. Sie haben feste Stellen, werben Forschungsprojekte ein, verwalten Gastprofessuren oder arbeiten zusammen mit regulären Strukturprofessuren. Dadurch ist das Thema für sich selbst definiert, aber zugleich als Querschnittsthema überall präsent. Wenn wir uns an der Uni Potsdam das Netzwerk „Interdisziplinäre Geschlechterstudien“ ansehen, sammeln sich dort Forscher*innen aus unterschiedlichen Disziplinen. Das bricht mit Weggang der befristet beschäftigten Kolleg*innen immer wieder auseinander. Jedes Jahr muss man sich neu bemühen, dass die Wissenschaftler*innen von uns erfahren und Forschungsthemen einbringen. Ein institutionalisiertes Zentrum wäre eine ganz andere Sache.

von Bose: Meine Stelle ist im Moment die einzige an der Universität, die „Geschlecht“ im Namen führt. Ich habe mich gefreut, im Netzwerk Kolleg*innen kennenzulernen, die sich in Forschung und Lehre mit Gender auseinandersetzen, auch wenn sie es nicht im Jobtitel tragen. Die Interdisziplinarität beizubehalten ist auf jeden Fall wichtig – aber es müssen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. Durch ein Zentrum oder auch einfach durch die Stärkung der Stellen, die Geschlechterforschung betreiben, ob sie sie nun im Titel führen oder nicht.

Wolff: Da stimme ich zu. Das ist wichtig.
 

Das in diesem Interview verwendete sogenannte Gendersternchen (*) soll alle Menschen unabhängig von ihrer Geschlechterzugehörigkeit adressieren.
 

Zur Veranstaltungsseite

Der Wissenschaftstag auf twitter: #4genderstudies

Netzwerk Interdisziplinäre Geschlechterstudien

Koordinationsbüro für Chancengleichheit

Funktionsstelle Geschlechtersoziologie

Zusatzzertifikat für Interdisziplinäre Geschlechterstudien

Studiumplus


Fotos zum Download: Tobias Hopfgarten


Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal - Eins 2020 „Bioökonomie“ (PDF).