DR. KÄTHE VON BOSE, SOZIOLOGIN
100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland: ein Anlass, die Frage nach Geschlechtergleichheit erneut zu reflektieren. Es ist eine alte Frage, die schon vor der Einführung des Frauenwahlrechts stark umkämpft war und auch heute noch hochaktuell ist – besonders anlässlich des Erstarkens rechtspopulistischer Positionen, die Errungenschaften in Sachen Gleichberechtigung infrage stellen.
Häufig wird die Geschlechtergleichheit in Deutschland für selbstverständlich gegeben gehalten, die Emanzipation von Frauen für abgeschlossen erklärt – sind sie doch nicht nur seit 100 Jahren wahlberechtigt, sondern bekleiden heute sogar Spitzenpositionen der Politik. Dies lenkt jedoch nicht nur von nach wie vor bestehenden, strukturell verankerten und sozial immer wieder hergestellten Macht- und Hierarchieverhältnissen zwischen Geschlechtern ab. Es gerät dabei auch aus dem Blick, dass bei der Frage nach Gleichberechtigung im Geschlechterverhältnis immer auch Faktoren wie soziale und nationalkulturelle Herkunft, Sexualität und Geschlechtsidentität bedacht werden müssen: Schließlich befinden sich auch in Deutschland beispielsweise viele Frauen aufgrund ihres Aufenthaltsstatus oder Alters in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen oder werden wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder Behinderung diskriminiert. Aus einer solchen Perspektive gerät auch in den Blick, wer eigentlich politisch repräsentiert wird und wer auch heute noch – etwa aufgrund des Aufenthaltsstatus – nicht wählen darf.
PROF. DR. DOMINIK GEPPERT, HISTORIKER
„Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als freie und gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf“, betonte die SPD-Politikerin Marie Juchacz, als sie am 19. Februar 1919 als erste Frau in der Nationalversammlung das Wort ergriff: „Ich möchte hier feststellen, … dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ Mit der Proklamation des Frauenwahlrechts am 12. November 1918 wurde ein Verstoß gegen demokratische Grundsätze beendet. Bei den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung am 19. Januar 1919 schritten in Deutschland gut 15 Millionen Frauen erstmals zu den Urnen.
Verfassungsrechtlich ist das Thema Frauenwahlrecht seither abgeschlossen. Männer und Frauen besitzen in Deutschland gleichermaßen das aktive wie passive Wahlrecht. Sie sind mit denselben rechtlichen Möglichkeiten ausgestattet, am politischen Willens- und Meinungsbildungsprozess teilzunehmen. Was andauert, ist die politische Auseinandersetzung darüber, ob Frauen dieselben Gelegenheiten haben, diese Rechte im gleichen Umfang auch tatsächlich wahrzunehmen. Nicht zufällig hat sich die Frauenbewegung, nachdem das Wahlrecht erreicht war, anderen Themen zugewendet: Arbeitszeitverkürzung und gleiche Bezahlung, verbesserte Bildungschancen, Chancengleichheit. Aus dem Streit um den verfassungsrechtlichen Rahmen ist eine Auseinandersetzung darüber geworden, wie dieser gesellschaftlich auszufüllen ist. Über diesen historischen Fortschritt freuen wir uns, wenn wir 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal 2/2019.
Online gestellt: Jana Scholz
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