Seit Mai 2019 gibt es an der Universität Potsdam ein Projekt zur „Transformation der ostdeutschen Hochschulen in den 1980/90er Jahren: Potsdam in vergleichender Perspektive“. Einer der beiden Projektleiter, Prof. Dr. Domink Geppert, spricht im Interview über die Relevanz des Themas 30 Jahre nach dem Mauerfall.
Dominik Geppert erinnert sich deutlich an den Abend des 9. November 1989. Er war damals Abiturient in Westberlin. Über das Fernsehen habe er von den Ereignissen erfahren und sei dann selbst raus auf die Straße gegangen. „Ich bin in der Nacht an der Bornholmer Straße auf der Mauer gewesen“, sagt Geppert. Diese Beteiligung an einem Ereignis von historischer Dimension habe seine Entscheidung beeinflusst, Geschichte zu studieren.
Zum dreißigsten Mal jährte sich in diesem Jahr der Fall der Berliner Mauer und auch in Potsdam und Umgebung fanden aus diesem Anlass diverse Veranstaltungen statt. Die Ereignisse des Herbstes 1989 brachten massive Veränderungen für die Stadt. Nicht nur wurde Potsdam 1990 Landeshauptstadt des wiedergegründeten Bundeslandes Brandenburg, auch seine akademische Landschaft sollte sich radikal wandeln. An den Standorten dreier eigenständiger Einrichtungen entstand ab 1991 die Universität Potsdam (UP), die im Wesentlichen aus der Pädagogischen Hochschule „Karl Liebknecht“ hervorgegangen war.
Am heutigen Campus Griebnitzsee befand sich bis zur Wende die Babelsberger „Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft“, am Neuen Palais war die Pädagogische Hochschule „Karl Liebknecht“ und am Standort Golm die „Juristische Hochschule Potsdam“. Wegen ihres Charakters als Ausbildungsstätte des MfS geriet letztere in der Wendezeit besonders stark in die Kritik. Von der Juristischen Hochschule wurde keinerlei wissenschaftliches Personal an die neu gegründete Universität Potsdam übernommen. Aus dem Mittelbau der Pädagogischen Hochschule war hingegen eine Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach der Wende an der Universität beschäftigt. Die Gründung der UP war also kein völliger Neuanfang, sondern in vielen Bereichen eine Transformation.
Wie der Transformationsprozess im Einzelnen aussah und was den Potsdamer Weg im Vergleich mit anderen ostdeutschen Hochschulen besonders macht, untersucht Geppert im aktuellen Forschungsprojekt am Historischen Institut der Uni Potsdam gemeinsam mit Prof. Dr. Frank Bösch, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF). Lara Büchel, Dorothea Horas und Axel-Wolfgang Kahl widmen sich als Doktoranden des Projekts je anderen Fachrichtungen. Sie werden erforschen, ob sich die Umgestaltungsprozesse in den Geisteswissenschaften, den Naturwissenschaften und den Rechts- und Sozialwissenschaften unterschiedlich auswirkten. Die Finanzierung des Projekts mit seinen drei Promotionsstellen hat das Präsidium der Universität bewilligt. „Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Universität sagt: ‚Wir wollen das selber machen‘ – und dafür auch Geld in die Hand nimmt“, lobt Geppert diese Initiative. Doch der Präsident der Uni Potsdam, Prof. Oliver Günther, sehe in der Erforschung der eigenen Universitätsgeschichte eine wichtige Aufgabe.
Das aktuelle Forschungsprojekt ist nicht die erste Auseinandersetzung der UP mit ihrer noch jungen Geschichte. Zum 25. Jubiläum hatte es 2016 Festveranstaltungen sowie ein eigenes Buch gegeben: „25 Jahre Universität Potsdam. Rückblicke und Perspektiven“. Mit diesem löste Gepperts Vorgänger Prof. Dr. Manfred Görtemaker vor drei Jahren kontroverse Diskussionen aus. Er warf vor allem den von der Pädagogischen Hochschule übernommenen Kollegen vor, sie hätten dem wissenschaftlichen Anspruch einer Universität nicht genügt, und erntete dafür laut Geppert teils Zustimmung, teils aber auch heftige Kritik.
Bis heute wirkt der Umstand in den Gemütern nach, dass in der Zeit des Umbruchs westdeutsch geprägte Kommissionen die Forschungsleistung von ostdeutschen Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeitern beurteilten. Der Frage, wie es in Potsdam aufgenommen wird, dass mit Bösch und ihm, nun abermals zwei westdeutsche Historiker diese Geschichte erforschen, steht Geppert gelassen gegenüber. Das Forschungsprojekt habe ganz klar den Anspruch, nicht nur eine westdeutsche Perspektive einzunehmen. Ohnehin sieht Geppert sich selbst mehr als gesamtdeutschen Historiker und betont seine Sensibilität für die deutsch-deutschen Zusammenhänge. Von Westberlin aus kam man ja schnell in Kontakt: „Ich war im Sommer 1991 der erste Westpraktikant bei der Märkischen Allgemeinen Zeitung“, sagt Geppert, der mit seinem Geschichtsstudium ursprünglich nicht Professor sondern Journalist werden wollte. Die Unterscheidung nach Ost und West sei auch „eine generationelle Frage“. Sein Kollege Bösch und er seien beide bereits im wiedervereinigten Deutschland akademisch groß geworden. Für die Doktorandinnen und den Doktoranden im Projekt sei das vereinigte Deutschland erst recht selbstverständlich.
Im Projekt soll ein offener Geist herrschen. Methoden der Oral History, der mündlichen Vermittlung von Geschichte, ergänzen die Erforschung von Schriftquellen. Das bedeutet, dass neben Materialien aus dem Universitätsarchiv und staatlichen Dokumenten auch Zeitzeugen in Interviews dazu beitragen werden, die komplexe Gründungsgeschichte der UP zu beleuchten. Die Interviewpartner reichen von damals beteiligten Politikern bis zu Studierenden der Transformationszeit. Biografien aus Ost und West sollen dabei zusammenkommen und unterschiedliche Standpunkte verdeutlichen. Sobald der Forschungsgegenstand inhaltlich besser erschlossen ist, wollen Geppert und sein Team mit dem Projekt die Potsdamer Stadtöffentlichkeit ansprechen. Workshops mit Zeitzeugen sind geplant, man denke darüber hinaus an Diskussionsrunden, Vorträge und eine Online-Präsentation: „Die Universität strebt eine öffentliche Aufarbeitung an“, sagt Geppert abschließend. Es sei eine Phase erreicht, die dafür günstig ist.
Dieser Text entstand in einem Seminar des Career Service der Universität Potsdam zu Journalistischem Schreiben. Die Autorin ist Studentin im Masterstudiengang Jüdische Studien.
Text: Lisa Trzaska
Online gestellt: Agnes Bressa
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