Klimawissenschaftler sagen es seit Langem voraus: Extremwetterereignisse wie sintflutartige Regenfälle und sommerliche Hitzewellen mit tropischen Temperaturen werden zunehmen. Ein Forschungsteam des Instituts für Umweltwissenschaften und Geographie untersucht in einem bundesweit angelegten Forschungsprojekt, wie gut deutsche Städte darauf vorbereitet sind und was sie noch tun können.
Am 11. Juni 2019 war es wieder soweit: Starkregen, Hagel und Sturmböen fegten in der Nacht über Potsdam hinweg. Die Wassermassen setzten Straßen, Tiefgaragen und Keller unter Wasser. Sogar der sonst trockene Stadtkanal lief voll. Die Umweltwissenschaftlerin Annegret Thieken beobachtet Ereignisse wie diese aufmerksam. Denn in ihrem aktuellen Forschungsprojekt „ExTrass“ untersucht sie genauer, welche Folgen diese extremen Wetterereignisse in Städten wie Potsdam haben. Dazu zählen nicht nur außergewöhnliche Regenfälle, sondern auch Hitzewellen. Beides wird künftig vermutlich häufiger auftreten als bisher und die Städte vor enorme Herausforderungen stellen.
Würzburg, Remscheid und Potsdam sind die drei Modellstädte, die das Forschungsteam um Thieken genauer unter die Lupe nimmt. Zum einen werden hier Klimadaten ausgewertet und Messungen vorgenommen, um sogenannte Klimakarten für die Städte zu erstellen. Würzburg und Remscheid haben bereits solche Karten. Sie zeigen, wo es in der Stadt besonders heiß wird, wo Kaltluft entsteht oder in die Stadt einfließt. Mithilfe der Daten aus dem laufenden Projekt werden diese Karten noch verfeinert. Auch Potsdam besitzt eine erste Stadtklimakarte, die im Projekt verbessert werden soll. Kürzlich stellte der Deutsche Wetterdienst daher im Stadtgebiet drei neue Messstationen auf, um zu erfassen, wie stark sich Wohngebiete aufheizen können. „Bei Hitzeperioden misst der Deutsche Wetterdienst zusätzlich die Temperatur mehrmals am Tag und am Abend mit einem Messfahrzeug, das durch die Stadt fährt. Das soll zeigen, welche Stadtteile besonders von Hitze betroffen sind oder wo wirksame Kaltluftschneisen die Temperaturen senken“, erklärt Annegret Thieken. Mithilfe dieser Informationen kann die Stadt den Klimaeinfluss künftiger Bauprojekte besser einschätzen und schon im Vorfeld negative Einflüsse vermeiden. Kaltluftschneisen, über die kühlere Luft aus der Umgebung ungehindert einfließen kann, dürften etwa keinesfalls verbaut werden.
Für die Fallstudien arbeiten die Forscherinnen und Forscher eng mit den Verwaltungen der drei Städte zusammen, um diese fit für den Klimawandel zu machen. „Das Thema wird immer wichtiger“, weiß Annegret Thieken. Mit im Boot sitzt außerdem die Johanniter-Unfall-Hilfe, die bei extremen Wetterereignissen häufig als Erst- und Notfallhelfer vor Ort ist und Erfahrungen aus ihren Einsätzen und der Risikokommunikation beisteuert.
Seit einigen Wochen verschickt das „ExTrass“-Team Fragebögen an 1.500 Haushalte in Remscheid, Leegebruch und Potsdam, um die Auswirkungen von extremem Starkregen zu erforschen. Dabei steht unter anderem das Jahr 2017 im Fokus, in dem Teile der brandenburgischen Gemeinde Leegebruch wegen außergewöhnlichen Starkregens wochenlang unter Wasser standen und auch die Landeshauptstadt mit den Wassermassen kämpfte. Die Wissenschaftler analysieren, ob und auf welchen Wegen die Anwohner gewarnt wurden, wie lange und wie sie betroffen waren, wie sie darauf reagiert und sich geschützt haben, welche Schäden das Wasser verursacht hat, ob der Alltag der Bewohner etwa durch Strom- und Verkehrsausfälle beeinträchtigt war oder sie langfristigen Folgen für die Gesundheit davontrugen. „Speziell über die gesundheitlichen und psychischen Auswirkungen solcher Extremereignisse weiß man noch sehr wenig“, erklärt Annegret Thieken. „In bisherigen Studien standen vor allem die Sachschäden im Mittelpunkt.“
Mit den Befragungen verfolgen die Forscher ein Ziel: Behörden und Rettungskräfte sollen die Bevölkerung so gut wie möglich informieren, vorbereiten und im Ernstfall warnen. Dazu ist eine gute Kommunikation mit geeigneten Informationsmaterialien nötig. Die bereits vorhandenen Flyer und Broschüren werden dafür analysiert. „Wir wissen noch nicht genau, welche Informationen bei den Bürgern tatsächlich ankommen und welche davon im Notfall abgerufen werden können“, sagt Projektkoordinatorin Dr. Antje Otto. Die Befragungen sollen neue Erkenntnisse darüber liefern. Zugleich wollen die Forschenden neue Infomaterialien entwickeln und testen. Eine verbesserte Risikokommunikation ist aber nur ein Baustein einer umfangreicheren Anpassungsstrategie, die Städte und Gemeinden aufstellen und umsetzen müssen.
Wie sich die Widerstandsfähigkeit von Städten gegenüber Wetterextremen erhöhen lässt, untersuchen die Wissenschaftler auch mit einem Blick in Potsdams Hinterhöfe. In Drewitz, das vor wenigen Jahren zur Gartenstadt umgestaltetet wurde, gibt es viele begrünte Hinterhöfe, aber auch solche, die noch als Parkplatz genutzt werden. Zwei Monate lang misst das Forschungsteam hier wöchentlich die Luft- und Bodentemperaturen, Windstärke und Bodenfeuchte – vor Sonnenaufgang, mittags und nach Sonnenuntergang. Darüber hinaus wurden in ausgewählten Höfen feste Messgeräte installiert, die in den kommenden drei Jahren Daten erheben werden. Nach der Messkampagne werden die Daten zeigen, welchen Einfluss die Pflanzen auf das Umgebungsklima haben. Natürlich erwarten die Forscherinnen und Forscher, dass gerade in den heißen Sommermonaten die grünen Pflanzen für Kühlung sorgen. Doch wie groß dieser Effekt tatsächlich ist, wollen sie erstmals mit Daten belegen.
Insgesamt haben die Forschenden nicht nur die drei Modellstädte im Blick. In einer deutschlandweiten Bestandsaufnahme analysieren sie die Anpassungsfähigkeit von 104 Städten. Wie weit sind diese in Klimafragen? Gibt es Klimaanpassungspläne oder bereits konkrete Projekte? Ist die Klimafrage in den Stadträten präsent? Gibt es Hitze- und Starkregenkarten? Zusätzlich führen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in etwa 15 Städten Interviews mit Kommunalvertretern, um geeignete Wege der Klimaanpassung und hemmende oder fördernde Faktoren herauszuarbeiten.
Annegret Thieken weiß, dass es Zeit braucht, um die richtigen Anpassungsstrategien gegen Hitze und Starkregen zu erarbeiten, auch wenn sich manchmal Ungeduld breit macht. „Die Städte spüren den Handlungsdruck“, sagt die Forscherin. „Es werden schnellere Lösungen erwartet, als wir liefern können.“ Die Wetterextreme lassen sich jedenfalls nicht mehr ignorieren.
Dieser Text erschien im Universitätsmagazin Portal 2/2019.
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Sabine Schwarz
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