Er bietet ihnen allen Platz: den bemannten Sojus-Raketen, der ISS, den vielen Satelliten, dem Hubble-Weltraumteleskop und auch den Astronauten, die einen Spaziergang in ihm wagen. Der Weltraum ist längst zu einem riesigen Aktionsfeld geworden. Was hier passiert, regelt seit über 50 Jahren der Weltraumvertrag. Doch was steht eigentlich drin, wie kam es zum Vertrag und wie aktuell ist dieser noch? Petra Görlich sprach über diese und andere Fragen mit dem Juristen Marcus Schladebach.
Herr Prof. Schladebach, woher stammt Ihr Interesse für den Kosmos?
Daran ist mein Vater schuld. Er war Astronomielehrer und zeigte mir früh, wie faszinierend diese Himmelswelt ist.
Was gilt als Geburtsstunde des Weltraumrechts?
Es gibt eigentlich zwei Geburtsstunden. Die eine ist im nationalsozialistischen Kontext angesiedelt. Am 4. Oktober 1942 brachte der damalige Raumfahrtpionier Wernher von Braun in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde die V2 Rakete erfolgreich zum Start. Sie flog rund 85 Kilometer hoch und streifte damit sozusagen den Vorgarten des Weltraums. Das führte zum ersten Mal zu der Überlegung, staatliche Regelungen dafür zu schaffen. Noch viel stärker geschah dies, als 1957 der erste künstliche Erdsatellit, Sputnik 1, von den Russen im Weltall platziert wurde und die Amerikaner im Februar 1958 mit Explorer 1, ebenfalls ein künstlicher Erdsatellit, reagierten. Dieser beginnende Wettlauf führte 1959 dazu, dass der UN-Weltraumausschuss gegründet wurde. Man wollte sich von nun an nicht mehr nur um technische Fragen kümmern, sondern eben auch um rechtliche.
Jahre später kam der Weltraumvertrag zustande.
Ja, er wurde in London, Moskau und Washington unterzeichnet und ist noch heute die zentrale Rechtsgrundlage im Weltraumrecht. Inzwischen haben ihn 98 Staaten ratifiziert und weitere 27 unterschrieben. In Deutschland ist er übrigens erst 1971 in Kraft getreten.
Welches sind die größten Vorzüge des Vertrages?
Der größte Vorzug ist, dass er hervorragende Grundentscheidungen über die Erforschung und Nutzung des Weltraums fixiert hat, die sich in den zurückliegenden Jahrzehnten als sehr gut erwiesen haben. Positiv ist aber auch seine zukunftsgerichtete Ausgestaltung. Er regelte schon Sachbereiche, die erst viel später relevant werden sollten. So bezieht Artikel 6 bereits private Raumfahrtunternehmen mit ein.
Was wird eigentlich unter „Weltraum“ verstanden?
Der Begriff „Weltraum“ ist rechtlich nicht definiert. Im Weltraumvertrag findet sich lediglich ein Absatz zu seinem Status. Danach ist er – wie die Hohe See, die Tiefsee und die Antarktis – ein hoheitsfreier Gemeinschaftsraum. Er gehört also allen Staaten gemeinsam, auch denjenigen, die keine Raumfahrt betreiben.
Wo beginnt und endet der Weltraum?
Aus juristischer Sicht hat sich noch niemand dazu geäußert, wo der Weltraum endet. Wo er anfängt, das ist die Streitfrage des Luft- und Weltraumrechts. Die Linie ist deshalb so wichtig, weil hier die Rechtsgrenze wechselt. Hier endet das nationale Recht.
Wo definieren Sie persönlich diese Grenze?
Meine Position ist, dass der Weltraum bei 100 Kilometern beginnt und der Luftraum nach 83 Kilometern endet. Denn auf Grundlage der Aerodynamik, also des Luftauftriebs, kann man mit Luftfahrzeugen nur bis 83 Kilometer hoch fliegen. Für den Raumflug dagegen benötigen Weltraumfahrzeuge eine Zentrifugalkraft, um sich auf Erdumlaufbahnen bewegen zu können. Naturwissenschaftlich ist belegt, dass dies erst in einer Höhe von 100 Kilometern funktioniert. Flöge ein solcher Gegenstand darunter, würde er noch durch die dann schon geringere Gravitationskraft der Erde angezogen werden. Ich gehe also von einer 17 Kilometer großen Zwischenschicht aus.
Und welcher Rechtsstatus gilt hier?
Das hängt davon ab, ob sich das Fahrzeug auf einer vertikalen Bahn befindet und das Weltall ansteuert. Dann würde das nationale Weltraumrecht gelten. Würde es unabhängig vom Luftraum und damit vom Staatsgebiet auf einer horizontalen Ebene fliegen, würde ich das internationale Weltraumrecht anwenden.
Sie stehen mit dieser Auffassung nicht allein …
Es gibt ähnliche Positionen. Sie schließen an die Grundsätze des wesentlich älteren Seerechts an. Im Seerecht ist es so, dass es eine horizontale Hoheitsgewalt gibt. Je weiter ich von der Küste wegkomme, desto mehr nimmt die Gewalt des Küstenstaates ab. Wenn man das Ganze bildlich hochklappt, hat man eine rechtlich begründbare Zone: Je weiter ich vom eigenen Territorium in den Luft- und Weltraum vorstoße, desto stärker nimmt die Hoheitsgewalt ab. Im Seerecht existiert darüber hinaus ebenfalls eine interessante Zwischenzone: die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ). Sie ist weder dem Küstenstaat zuzurechnen noch der Hohen See.
Zurück zum Weltraumvertrag. Er enthält sogar schon den Aspekt des Umweltschutzes. Ausreichend genug?
Nein. Dennoch war es zur damaligen Zeit fortschrittlich, ihn in einen derartigen völkerrechtlichen Vertrag einzubringen. Es heißt im Text unter anderem, dass Kontaminationen im All zu vermeiden sind.
Inzwischen befinden sich große Mengen Weltraumschrott im Weltall. Warum gibt es keine gesetzliche Rückholpflicht?
Die großen Raumfahrtnationen betonen, dass ja noch nichts passiert sei und deshalb keine Eile zum gesetzlichen Handeln bestehe. Außerdem sind die finanziellen Fragen diffizil. Es gibt Projekte wie den in Lausanne erfundenen Weltraumstaubsauger Clean Space One. Die Schweiz will damit ihren eigenen Schrott herunterholen, stellt das Patent jedoch anderen Ländern nicht zur Verfügung. Aber es gibt noch weitere Ideen: Bei der einen würde der Weltraumschrott zerschossen. Das kann meiner Meinung nach nicht die Lösung sein, denn es entstünde nur kleinerer Müll. Bei der anderen sollen die Teile auf eine höhere Umlaufbahn geschossen werden. Ihr Absinken beträfe erst Menschen, die sehr viel später leben. Ich finde das nicht gerade verantwortungsbewusst.
Der Weltraumvertrag hat bisher gesichert, dass keine militärische Nutzung des Alls erfolgte. Wie sicher können wir sein, dass das auch weiter so bleibt?
Man muss da unterscheiden. Für den Mond und die anderen Himmelskörper gilt ein Militarisierungsverbot, aber Militärpersonal darf dort forschen. Im freien Weltraum ist es untersagt, Kernwaffen oder andere Massenvernichtungswaffen in eine Erdumlaufbahn zu bringen. Bei anderen Waffenarten greift das Verbot aber nicht. Diese Regelungslücke ist zum Teil durch Rüstungskontrollvereinbarungen mit begrenztem Geltungsanspruch ausgefüllt worden.
Apropos Mond. Experten denken längst darüber nach, ihn zu nutzen, wenn der Erde die Bodenschätze ausgehen. Ist das ein Feld, das juristisch schon bestellt ist?
Als 1969 der erste Mensch den Mond betrat, war klar, dass es eines auf den Mond bezogenen Rechtsregimes bedarf. Der Mondvertrag wurde schließlich 1984 von mehreren Ländern unterzeichnet und später auch von einigen ratifiziert. Derzeit gilt er aber als gescheitert, weil er sehr schwierig umzusetzen ist. Beim Artikel 11, der ein Bodenschatzabbau-Regime enthält, wird das sehr gut deutlich. Die Probleme hängen mit dem besonderen Status des Himmelskörpers als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ zusammen. Würde ein Staat Bodenschätze abbauen, müsste er diese nach gegenwärtigem Stand über einen Fonds verwalten lassen – damit alle anderen Staaten auch etwas davon haben. Dem verweigern sich die meisten Länder. Nichtsdestotrotz beobachte ich eine gewisse Renaissance. Denn der Fakt bleibt: Irgendwann müssen die Menschen auf der Erde mit Rohstoffen und Ressourcen von anderen Himmelskörpern versorgt werden. Unsere Vorkommen sind endlich, und der Mond ist eine Alternative. Im Moment tauschen sich deshalb Forscher innerhalb des Völkerrechts darüber aus, wie man das Mondregime, also den Verteilungsmechanismus, modernisieren und tragfähiger machen kann. Die Tendenz geht dahin, zur Ausgangsformulierung zurückzukehren und diese klug zu modifizieren.
Verlassen wir den Satelliten der Erde und kommen zum Problem möglicher Havarien im All. Was regelt der Weltraumvertrag, was nicht?
Im Fall einer Havarie an einem Raumfahrzeug und einer Gefahr für die Insassen sieht der Weltraumvertrag eine Pflicht zur Hilfeleistung anderer Staaten vor. Das ist Ausdruck des humanistischen Grundgedankens des Weltraumrechts und aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit. Raumfahrer werden als „Boten der Menschheit“ verstanden, ihre Rettung soll daher eine Aufgabe der gesamten Weltgemeinschaft sein. Eine aktive Hilfeleistung setzt allerdings voraus, dass sich zur Hilfe bereite Raumfahrzeuge anderer Staaten in der Nähe befinden. Das wird nur höchst selten der Fall sein. Eine rechtliche Pflicht, eine gänzlich neue Mission konkret zur Rettung von Raumfahrern zu starten, ist dem Weltraumvertrag nicht zu entnehmen. Sie dürfte in äußerst kurzer Zeit auch nicht zu realisieren sein.
Als der Vertrag geschlossen wurde, war an die Internationale Raumstation ISS noch nicht zu denken. Inwiefern werden nun seine Grenzen deutlich?
Dass der 1967 geschlossene Weltraumvertrag noch keine Regelung zu gemeinsamen Raumstationen enthält, würde ich nicht als Mangel betrachten. Es waren die Präsidenten Clinton und Jelzin, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihre weitreichenden Erfahrungen mit den jeweiligen Raumstationen Skylab und Mir in einer gemeinsamen Raumstation vereinigen wollten. Diese sollte zunächst den Namen „Alpha“ tragen, erhielt dann letztlich aber lediglich die Bezeichnung „International Space Station (ISS)“. Die Zusammenarbeit der ISS-Partner USA, Russland, ESA (European Space Agency, einschließlich Deutschlands), Japan und Kanada ist aus meiner Sicht ein erfreulicher Beweis dafür, wie konstruktiv Staaten, die auf der Erde durchaus sehr unterschiedliche Auffassungen haben, im Weltraum kooperieren können.
Die an der Station beteiligten Staaten haben 1998 ein spezielles Übereinkommen getroffen, das Space Station Intergovernmental Agreement. Es regelt u.a. die rechtlichen Zuständigkeiten der vorhandenen Module, den Schutz geistigen Eigentums und auch das Verfahren bei Straftaten. Können Sie insbesondere Letzteres ein wenig erläutern?
Die Frage zielt auf das Rechtsproblem, welcher Staat in den einzelnen Modulen der ISS die Hoheits- und damit die Strafgewalt besitzt. Das ISS-Übereinkommen sieht vor, dass jeweils derjenige ISS-Partner für das betreffende Modul zuständig ist, der es eingebracht hat und betreibt. Für das von der ESA konstruierte Modul „Columbus“ liegen die Dinge komplizierter. Die ESA ist kein Staat, sondern ein völkerrechtlicher Zusammenschluss mehrerer europäischer Länder. Im Fall einer Straftat soll innerhalb des ESA-Moduls dann das Strafrecht des Heimatstaats des kriminell gewordenen Astronauten gelten. Allerdings möchte ich deutlich betonen, dass die Vorstellung von Straftaten auf der ISS ein mehr als unrealistisches Szenario ist. Die Astronauten auf der ISS sind durch eine derart harte Ausbildung gegangen, dass ein etwaiger Wille, an Bord der ISS eine Straftat zu begehen, wohl ausgeschlossen sein dürfte.
In keinem Vertrag wurde bisher festgelegt, auf welcher Grundlage eine Begegnung von Astronauten mit vernunftbegabten Wesen im Kosmos erfolgen könnte. Existierende Überlegungen bringen den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant, die Charta der UNO oder die zehn Gebote der Bibel ins Spiel. Wofür plädieren Sie?
Ich habe mir in verschiedenen Aufsätzen Gedanken darüber gemacht, welcher Maßstab der richtige sein könnte. Für passend halte ich die grundlegenden Anforderungen aus der UN-Charta. Sie richten sich an den Geboten der Friedlichkeit, des Gewaltverbots und der Zusammenarbeit aus, sind universell konsentiert und bilden meiner Meinung nach die geeignete Handlungsleitlinie für eventuelle Begegnungen mit anderen vernunftbegabten Wesen.
Aber die UN-Charta ist von der Erde aus gedacht. Ein Problem?
Ich denke, man sollte bei der Suche nach solchen Maßstäben tatsächlich im Blick behalten, dass diese Verhaltens- und Moralnormen der UN Regelungen sind, die der Motivation auf der Erde entsprungen sind. Möglicherweise überschauen wir noch nicht ausreichend, ob und welche anderen Handlungsmaximen denkbar und für außerirdische Wesen leitend sind. Das Plädoyer für die Anwendung irdischer Grundsätze wie die der UN könnte sich daher dem Vorwurf ausgesetzt sehen, eine überlegene oder gar etwas arrogante Position einzunehmen.
Noch eine letzte Frage: Wie optimistisch sind Sie, dass Deutschland – anderen Staaten folgend – bald ein eigenes Weltraumgesetz bekommt?
Im Koalitionsvertrag ist das Ziel verankert, ein solches Gesetz zu schaffen. Die vielen Unternehmen der Raumfahrt in Deutschland benötigen seit Langem mehr Rechts- und Investitionssicherheit. Ich selbst möchte diesen Prozess gern wissenschaftlich begleiten. Wir brauchen das Gesetz, dringend. Es ist höchste Zeit.
Das Weltraumrecht basiert auf dem Völkerrecht. Aktuell stehen Juristen vor der Herausforderung, es weiterentwickeln zu müssen, nicht zuletzt, weil es Pläne zur privaten Nutzung des Mondes und der Asteoriden gibt. Auch die Vorhaben privater Raumfahrtunternehmen, künftig Menschen ins All zu befördern, machen dies dringend erforderlich. Es gibt bereits eine ganze Reihe von Verträgen und Abkommen, die Regelungen für die Nutzung des Weltalls enthalten. So existieren allein fünf große internationale Verträge und fünf Resolutionen der UN mit wichtigen anzuwendenden Grundsätzen.
Der Wissenschaftler
Prof. Dr. Marcus Schladebach hat Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, wo er später auch promovierte. Seine Habilitation erfolgte an der Universität Augsburg. Seit Oktober 2017 ist der Wissenschaftler Inhaber des Lehrstuhls Öffentliches Recht, Medienrecht und Didaktik der Rechtswissenschaft an der Universität Potsdam.
E-Mail: marcus.schladebachuuni-potsdampde
Text: Petra Görlich
Online gestellt: Alina Grünky
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