Einen Tag vor dem „Entierro del Pujllay“ – dem Begräbnis des kleinen Teufels, der den Karneval symbolisiert – geht auch unsere Reise ihrem Ende entgegen. Tatsächlich ist heute ist unser letzter Tag des Feldkurses. Einige Einheimische und Touristen tanzen schon mit hörnerbesetzten Masken in der Straße, aber wir beginnen mit drei Vorträgen von Malte, Michele und Matías über ihre Projekte. Malte erklärt uns die Besonderheiten des andinen Zinn-Gürtels, der sich von Peru über Bolivien nach Argentinien erstreckt. Michele spricht über die Deformation und sedimentologischen Besonderheiten der Yacoraite-Formation, die wir im Laufe der Exkursion immer wieder erkundet haben. Schließlich referiert Matías über die Struktur und tektonische Entwicklung des Malargüe-Überschiebungsgürtels im Süden von Argentinien. Mittlerweile haben sich auch die niedrigen Wolken im Tal zum größten Teil verflüchtigt. Wir können also ins Gelände.
Wir brechen in die benachbarte Quebrada de Humahuaca auf, um dort die sedimentologischen Eigenschaften der Maimará- und der Tilcara-Formation zu studieren. Unsere Geländetraverse wird von Heiko Pingel geführt. Das Humahuaca-Tal war im Miozän, also vor mehr als ca. fünf Millionen Jahren, ein barrierefreies Becken, das sich dann aber durch die Hebung der Gebirgsblöcke im Osten in ein intermontanes Becken verwandelte – ähnlich wie das heutige Santa Maria-Becken, das wir am Anfang unserer Reise kennengelernt haben. Heute hat das Becken wieder eine Verbindung zum Vorland. Unser erster Stopp ist an der Maimará-Formation, die zwischen sechs und 4,2 Millionen Jahre vor heute abgelagert wurde und die sich durch eine Wechsellagerung von Murenablagerungen (Brekzien) und Sandsteinen auszeichnet. Die Murenablagerungen wurden mit hoher Energie in ein sonst eher ruhiges Ablagerungsgebiet nahe des Puna-Randes geschüttet. Aufgrund der Zusammensetzung der Brekzien können wir die Sierra Alta im Westen als Liefergebiet identifizieren, während wir aufgrund der Einregelung der Klasten nach Osten die Fließrichtung von West nach Ost bestimmen können – also muss der Puna-Rand zur Zeit der Ablagerung schon durch hohe Topografie gekennzeichnet gewesen sein.
Bei unserem zweiten Halt sehen wir uns die Tilcara-Formation näher an, die zwischen 4,2 und zwei Millionen Jahren vor unserer Zeit abgelagert wurde. Im Gegensatz zur Maimará-Formation ist sie aus Konglomeraten aufgebaut, die in einem verzweigten Flusssystem abgelagert wurden. Nun sehen wir allerdings auch Klasten, die von der östlich gelegenen Gebirgskette stammen. Diese Befunde und die Hinweise auf eine Änderung der ehemaligen Fließrichtung von Osten nach Süden legen nahe, dass die Gebirgskette im Osten seit ca. vier Millionen Jahren weit genug gehoben war, um den vormals nach Osten fließenden Fluss nach Süden umzuleiten und als neues Liefergebiet zu dienen. Die Gebirgskette im Osten wirkt nun als eine orografische Barriere, die den Niederschlag auf ihrer östlichen Seite konzentriert und somit zu den heutigen semiariden Bedingungen im Humahuaca-Tal geführt hat.
Unsere beschwerliche Wanderung durch dieses Gebiet führt uns schließlich zum Eingang einer spektakulären, tief eingeschnittenen Schlucht, die durch eine mächtige Bergsturzablagerung führt. Viele von uns haben eine solche Ablagerung noch nie aus nächster Nähe gesehen. Wir wundern uns, dass die stratigrafischen Regeln von Steno hier offenbar auf den Kopf gestellt sind: Die feinen Klasten liegen im unteren Bereich der Bergsturzablagerung, während auf der Oberseite Felsbruchstücke so groß wie Autos und kleiner Häuser zu finden sind. Dies hat mit der Dynamik dieser sogenannten Sturzströme zu tun, die das erste Mal detailliert von dem Schweizer Geologen Albert Heim beschrieben wurden. Sturzstromablagerungen gehen auf hochenergetische Fließbewegungen von Gesteinsmassen zurück, die bedingt durch den Kollaps einer gesamten Bergfront zu Tal strömten und dabei das Gesteinsmaterial zerkleinerten und bis zur Korngröße von Ton zertrümmerten. In einigen Gebieten der Welt waren die Reibungsprozesse während dieser Bewegungen am Boden so stark, dass dabei Gestein aufgeschmolzen wurde. Hier sehen wir eine Vorstufe dieses Prozesses, bei dem feines, zerkleinertes Material an einigen Stellen in die Bergsturzmasse nach oben injeziert wurde.
Wir beenden unseren Ausflug in Tilcara, einem kleinen Dorf talaufwärts von Purmamarca. Hier wurde die Maimará-Formation über mehr als 60.000 Jahre altes Flussgeröll geschoben. Die eindrucksvolle Störung zeugt somit von der bis heute andauernden Tektonik im Tal.
Wir fahren zurück nach Purmamarca, wo wir Gregor, Manfred, Heiko und Johanna zurücklassen, die für ihre Feldarbeit noch weiter in Richtung Bolivien fahren wollen. Für die anderen geht es nach Jujuy, wo wir Willemjin, Michele, Michel und Robert für ihre Feldarbeit absetzen. Schon bald werden die Kakteen und die aride Landschaft des Humahuaca-Tals von bewaldeten Hängen abgelöst. Jetzt gibt es überall Bergbäche, immergrüne Bäume sowie Epiphyten und unsere Augen erfreuen sich an dem satten Grün – eine letzte eindrückliche Demonstration des starken Niederschlagsgradienten und der extremen Vegetationsgegensätze an der Ostflanke der Anden. Wir sind überwältigt von den Eindrücken und müssen das Gesehene erst einmal verarbeiten. Gleichzeitg sind wir auf unsere erste Geländesaison bestens vorbereitet und freuen uns auf unsere bevorstehenden Arbeiten.
Wir bedanken uns bei unseren Betreuern, Bodo Bookhagen, Manfred Strecker und Heiko Pingel, für die Organisation, Unterstützung und vor allem dafür, dass sie ihr Wissen mit uns geteilt haben. Des Weiteren möchten wir uns bei Verónica Torres Acosta und Maria Johanna Diacono bedanken, die sich im Hintergrund um die Logistik gekümmert haben. Aufgrund dieser angenehmen Erfahrungen freuen wir uns auf kommende Geländeschulen und Workshops.
Hintergrundinformationen zur Reise der Potsdamer Geowissenschaftler
Alle Einträge in einer Übersicht
Text: Nadja Stalder
Online gestellt: Matthias Zimmermann
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde