Anlässlich des 250. Geburtstages von Alexander von Humboldt reiste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vom 11. bis 16. Februar 2019 auf dessen Spuren nach Ecuador und Kolumbien. Mit dabei waren Klimaforscher und Biologen wie Sarah Darwin, die Ururenkelin von Charles Darwin, Wissenschaftsvermittler und Vertreter deutscher Humboldt-Institutionen sowie Alexander von Humboldt-Experten, darunter der Potsdamer Romanist Prof. Dr. Ottmar Ette. Mit ihm sprach Matthias Zimmermann.
Herr Prof. Ette, eine Detailfrage zum Auftakt: Spricht der Bundespräsident eigentlich Spanisch?
Nein, er wurde von einer Übersetzerin begleitet.
Ein Ziel der Reise war es, „auf Humboldts Spuren an dessen frühere Wirkungsstätten“ zu reisen. Wie sind diese Spuren heute noch sichtbar?
Ette: Vielerorts. (Lacht). Zunächst sind viele der Landschaften, aber auch Städte noch in dem Zustand, wie Alexander von Humboldt sie vor 220 Jahren vorgefunden hat. Ein Beispiel: Zum Auftakt der Reise fuhr die Delegation nach Cartagena de Indias, eine Stadt, die Humboldt noch als spanische Kolonialstadt erlebte und die sich in ihrer Altstadt kaum verändert hat. Anschließend sind wir in die Bucht vor der Stadt hinausgefahren auf die vorgelagerten Inseln. Auch dort war Humboldt und wir durften weitgehend das sehen, was er gesehen hat, da es sich inzwischen um ein Naturschutzgebiet handelt.
Zum anderen ist Humboldt in Lateinamerika – anders als in Deutschland – seit seinen Reisen durchgehend präsent, da er kontinuierlich rezipiert wurde. Viele Institutionen tragen seinen Namen, manche Einrichtungen und Strukturen wurden von ihm angeregt und mitgeprägt – und existieren bis heute. So etwa das Observatorium in Bogotá, das auf Humboldts Betreiben eingerichtet wurde.
Wie wichtig ist Humboldts Wirken für die Länder und Regionen?
Ette: Immens. Humboldts Schriften bilden im Grunde die Geburtsurkunde für die lateinamerikanischen Staaten. Er hatte eine direkte Verbindung zu den Trägerschichten der Unabhängigkeitsbewegungen im heutigen Venezuela, Kolumbien, Ecuador und Mexiko, die er unterstützte. Aufgrund seines Engagements gilt er als so etwas wie ein Taufpate der Unabhängigkeit dieser Staaten. Nicht zuletzt deshalb ist er auf vielen Gemälden aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die in diesen Ländern entstanden, zu sehen.
Wie wirkt sich Humboldt auf die heutige Beziehung der Länder aus?
Ette: Es sagt viel, dass Frank-Walter Steinmeier das Humboldt-Jahr – das vom Auswärtigen Amt als Humboldt-Saison ausgerufen wurde, da es sich bis ins Folgejahr erstreckt – nicht etwa in Berlin, sondern in Ecuadors Hauptstadt Quito eröffnet hat. Johannes Rau bezog sich vor Jahren einmal in einer Rede kurz auf Humboldt; Steinmeiers Rede war ganz auf ihn ausgerichtet – das ist etwas ganz Neues. Das Potenzial Humboldts für außenpolitische Beziehungen wurde lange nicht genutzt. Erst jetzt entdeckt die Politik, was das für ein Schatz ist. An ihn anzuschließen, ist sehr einfach: Er war kein Kolonisator, ist für die Unabhängigkeit vieler – heutiger – Staaten eingetreten. Auch mit Blick auf Osteuropa und Russland könnte Humboldt ein wichtiger Brückenbauer mit einer ganz eigenen Geschichte sein.
… und wie steht es mit der Wissenschaft?
Auf der deutschen Seite bringt natürlich die Humboldt-Stiftung von Deutschland aus – mit seinem Namen – weltweit wichtige Impulse. Aber auch in Lateinamerika sind wissenschaftliche Institutionen nach ihm benannt. So setzt sich seit einigen Jahren das Instituto de Investigación de Recursos Biológicos Alexander von Humboldt für die Erforschung und den Erhalt der Biodiversität ein. Das ist ganz im Geiste von Humboldt. Mit einer Einschränkung: Das Institut ist naturwissenschaftlich orientiert. Für Humboldt hingegen gab es keine Trennung zwischen Natur und Kultur. Biodiversität dachte er als Wirkung aufeinander – er dachte den Menschen immer mit. Was mein wissenschaftliches Feld betrifft, so ist Humboldt als Theoretiker der Globalisierung enorm wichtig. Vor allem dank seines Blicks auf „seine“ Zukunft, also die des 19. und 20. Jahrhunderts. Ihn interessierte die Vielfalt der Kulturen und Literaturen der Welt, Fragen der kulturellen Differenz und, vielleicht als wichtigster Punkt, der Konvivenz. Also die Frage: Wie können wir auf dieser Welt zusammenleben, ohne dieselbe Kultur zu haben? Insofern war für Humboldt immer auch die Frage wichtig, welche unterschiedlichen, nebeneinander bestehenden Logiken es gibt. Das ist meines Erachtens auch für heute wegweisend, da man beispielsweise lange nicht wusste, wie man indigene Kulturen integrieren kann: Inzwischen gibt es in Ecuador ein zweites Rechtssystem für indigene Bevölkerungsgruppen, die das Konzept des Privateigentums nicht kennen. Das finde ich wegweisend. Insbesondere in Bolivien, aber auch in Guatemala arbeitet man an solchen Modellen, so etwa unsere Voltaire-Preisträgerin Gladys Tzul Tzul.
Wie wurde der Besuch Steinmeiers vor Ort aufgenommen?
Ette: Super. In Quito war seit 26 Jahren kein Bundespräsident mehr; Kolumbien war Steinmeiers letztes Reiseziel als Außenminister, damals, um den Friedensprozess voranzutreiben. In Kolumbien hat der Staatspräsident einen Termin mit Donald Trump verschoben, um Steinmeier begrüßen zu können. Eine tolle Stimmung gab es in der deutschen Schule in Quito, wo der Bundespräsident von 1.600 Schülern empfangen wurde. Er wird sehr geschätzt – und hat es auch geschafft, wichtige Schwerpunkte für das Auswärtige Amt zu setzen, ohne dem Außenminister vorwegzugreifen. Das fing schon in Kolumbien an, wo Steinmeier auf dem Inselarchipel sich über Plastikmüll im Ozean informierte. An den Stränden der Galapagosinseln wird Woche für Woche tonnenweise Plastikmüll angeschwemmt und aufgesammelt. Vor Ort traf Steinmeier Schüler einer deutschen Schulklasse, die dort zwei Wochen beim Sammeln halfen. Die haben nicht schlecht gestaunt …
Was war Ihre Aufgabe?
Ette: Ich habe meine Lateinamerika- und Humboldtkenntnis eingebracht. Auch meine teilweise schon jahrelang bestehenden Kontakte zu kolumbianischen Wissenschaftlern waren hilfreich. Es ging darum, bei vielen Terminen vor Ort Sachverhalte zu erklären und die Wichtigkeit von Humboldt noch einmal rüberzubringen. Auch wenn das Programm sehr straff und anstrengend war, kann ich sagen: Ich habe die Reise nicht als Arbeit empfunden.
Wie hat Ihnen persönlich die Reise gefallen?
Ette: Sehr, sehr gut. Die meisten der besuchten Orte kannte ich. Ausnahme: die Galapagosinseln. Beeindruckend war das „präsidiale“ Wetter, vor allem beim Besuch des Vulkans Antisana in Ecuador. Da haben selbst Kollegen vor Ort gesagt, bei so guten Bedingungen hätten sie den Vulkan noch nie gesehen. Natürlich waren die Belastungen hoch: An einem Tag waren wir auf den Galapagosinseln auf Meeresniveau, tags drauf dann auf 4200 Metern Höhe, ehe es dann innerhalb eines Tages wieder hinunterging an die Küste. Mein ganz persönlicher Höhepunkt waren die Galapagosinseln. Da war ich auch mal 45 Minuten allein, bin an der Küste aus Vulkangestein entlanggegangen und habe mich hingesetzt. Ringsum Tiere, die nicht weglaufen, Leguane, Riesenkrabben, Vögel. Traumhaft. Ein bisschen, ja, wie im Paradies.
Was nehmen Sie als Humboldt-Forscher von der Reise mit?
Ette: Viele neue Kontakte. In Lateinamerika, aber auch innerhalb der Delegation. Und neue Erkenntnisse zu Humboldt, an denen ich sogar persönlich zu schleppen hatte: Denn ich erhielt eine neue Humboldt-Ausgabe zu Neugranada, 14 Kilogramm schwer. Viel wichtiger ist aber: Es war eine unglaublich beseelte Reise. Mit einem wirklich tollen Wetter. Ich reise jetzt immer mit dem Bundespräsidenten. (Lacht).
Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Agnes Bressa
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