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Kann Pornografie fair sein? – Lisa Andergassen über Gerechtigkeit in einer umstrittenen Branche

Lisa Andergassen. Foto: Meike Sieveking.
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Lisa Andergassen. Foto: Meike Sieveking.

Seit Jahrtausenden gibt es pornografische Darstellungen: Überliefert sind sie beispielsweise in Fresken, Skulpturen und Malereien aus dem antiken Griechenland und dem Alten Rom. In der Renaissance waren Kupferstiche mit pornografischen Motiven verbreitet, ab dem 19. Jahrhundert dann Fotografien. Heute, im Internetzeitalter, sind Pornofilme ein Milliardengeschäft. Gleichzeitig liegt ein gesellschaftliches Tabu auf dem Thema: Kaum einer spricht darüber, und wenn, dann geht es vor allem um die schädliche Wirkung von Pornografie auf das Individuum und die Gesellschaft. Die Potsdamer Medienforscherin Lisa Andergassen beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem Thema. Sie fragt, ob Pornofilme subversiv und vielleicht sogar fair sein können.

Frau Andergassen, wie definieren Sie als Medienexpertin den pornografischen Film?

Die Filmwissenschaftlerin Linda Williams formulierte in den 1980er Jahren: Zum Pornofilm hat jeder eine Meinung, aber keiner gibt zu, ihn näher zu kennen. Sich wissenschaftlich mit Pornografie zu beschäftigen, bedeutet, Hysterie zu vermeiden und eine distanzierte Haltung zu solchen Filmen einzunehmen. Aus dieser Perspektive handelt es sich bei Pornos zunächst einmal um ein filmisches Genre. Mit Williams können Pornofilme weiterhin als „Body Genre“ beschrieben werden. Dazu zählt sie auch den Horrorfilm, die Komödie und das Melodram. Body Genres sprechen den Körper an und zielen auf körperlich-emotionale Reaktionen wie Schrecken, Lachen oder Weinen, oder eben Lustempfinden und Orgasmus.

Warum löst das Thema immer wieder Kontroversen aus?

Tatsächlich gibt es einerseits eine immense Zahl von Nutzerinnen und Nutzern, andererseits ist das Thema Pornografie mit Ängsten überladen. Was sehr viele Menschen bewegt, ist der Jugendschutz. In den Medien wird immer wieder beschrieben, dass sich Jugendliche über Pornografie aufklären: Unvermeidlich landen sie im Internet bei pornografischen Inhalten. Und dabei treffen sie auf sexistische und rassistische Muster, die es dringend zu hinterfragen gilt.

Wie sehen Sexismus und Rassismus in der Pornografie aus?

Die Filme werden kategorisiert und mit Schlagworten versehen, die Schubladen bedienen: Da ist von Asiatinnen oder Latinos die Rede, stereotype Körperbilder und Geschlechterrollen werden evoziert. Seit der Jahrtausendwende finden sich allerdings zunehmend gegenläufige Strömungen. Marginalisierte Gruppen widersprechen heteronormativen Schubladen und wollen die eigene Sexualität repräsentiert sehen. So findet seit 2006 in Berlin jedes Jahr das Pornfilmfestival statt, das weiblich-feministische und queere Sichtweisen aufzeigt. In Toronto wird schon seit Längerem der Feminist Porn Award verliehen, der Filme mit fairen Produktionsbedingungen auszeichnet.

Wie sehen denn die Produktionsbedingungen in der Mainstream-Pornografie heute aus?

Internet-Clips entstehen häufig unter prekären Bedingungen. Die Performer sind teilweise gerade  erst volljährig geworden, drehen mehrere Filme am Tag und sind dann nur für wenige Monate im Geschäft. Die Filme aber sind dauerhaft im Netz. Außerdem haben gerade Frauen allzu oft nicht die Kontrolle über die Situation am Set. Das gilt allerdings leider auch für die Filmbranche insgesamt. Dennoch ist Pornografie paradoxerweise einer der wenigen Bereiche, in denen Frauen besser bezahlt werden als Männer.

Die Schwedin Erica Lust gilt als feministische Filmemacherin. Passen Pornografie und Feminismus überhaupt zusammen?

Meiner Meinung nach ist Pornografie nicht per se frauenfeindlich, und auch Frauen konsumieren Pornografie. In der Geschichte des Pornofilms wurde genau diese Frage kontrovers diskutiert. Die 1970er Jahre gelten als das goldene Zeitalter der Pornografie. Langspielfilme wie „Deep Throat“ zogen Massen ins Kino, selbst die US-amerikanische First Lady Jacqueline Kennedy Onassis soll sich den Film im Pornokino angesehen haben. Er galt als „chic“. In den 1980er Jahren entstand dann in den USA eine Debatte, die als „Porn Wars“ in die Geschichte eingegangen ist. Zwei Lager von Aktivistinnen standen sich gegenüber: eine konservative Gruppe, für die Pornografie grundsätzlich frauenverachtend war, und eine zensurkritische, die für eine Neubewertung des Genres argumentierte. In den späten 1980er Jahren fand eine Akademisierung des Themas statt, die Porn Studies entstanden und unterstrichen das subversive Potenzial von Pornografie. Seit der Jahrtausendwende verändert das Internet den Pornofilm. Der Zugang zu Pornografie hat sich erheblich vereinfacht, denn die meisten Clips sind online kostenlos verfügbar. Auch der Inhalt selbst hat sich verändert: Die Clips sind sehr kurz, es gibt keine Rahmenhandlung, es wird mehr und billiger produziert. Denn die interaktiven Elemente des Web erlauben auch Amateuren, Filme zu veröffentlichen. Das kommt fairen Produktionsbedingungen nicht unbedingt zugute und wirft die Frage nach fairem Porno auf.

Was ist ein fairer Porno?

Als Vorzeigebeispiel gilt tatsächlich Erica Lust. Sie entwickelt nicht nur eine eigene Ästhetik, sondern achtet auch auf faire Bezahlung. Sie setzt lieber Darstellerinnen und Darsteller ein, die nicht gerade erst volljährig geworden sind und wissen, worauf sie sich einlassen. Und sie fordert von den Konsumierenden eine andere Haltung: Sie sollen die Inhalte bezahlen, die sie sich ansehen. Das ist bei den großen Internetanbietern von Pornografie allerdings meist nicht vorgesehen.

Gleicht die Debatte über Pornografie der über gewaltverherrlichende Computerspiele?

Mit Sicherheit. Der gesellschaftliche Diskurs über die Frage, ob die sogenannten Ego-Shooter  Jugendliche zu Gewalttätern werden lassen, ist mit der Frage vergleichbar, ob Pornografie Jugendlichen falsche Werte, falsche Rollen- und Körperbilder vermittelt. Beide Formate werden auch unter dem Gesichtspunkt eines Suchtverhaltens diskutiert, so wie auch zunehmend von einer allgemeinen Internet-Sucht gesprochen wird. Aber bislang gibt es keine eindeutigen Belege für oder gegen solche Thesen. In jedem Fall aber sollten wir Jugendliche vor gefährdenden Inhalten schützen und Alternativen zum rassistischen und sexistischen Mainstream bieten.

Sie haben ein Buch über Pornografie herausgegeben, Seminare angeboten und Zeitungsartikel zum Thema veröffentlicht. Wie kamen Sie als Medienwissenschaftlerin zu diesem Forschungsgebiet?

Während meines Studiums der Europäischen Medienwissenschaften habe ich an der MAGIS International Film Studies Spring School in Italien teilgenommen, die sich unter anderem mit dem Pornofilm befasst hat. Ich war überrascht, was dieses Thema hergibt. Einerseits ist Pornografie  unglaublich repressiv, strukturell sexistisch und rassistisch. Andererseits findet sich auch das  Gegenteil: Einige Filme hinterfragen heteronormative Kategorien und wecken fast schon utopische Hoffnungen auf eine bessere, aufgeklärte Welt.

Das Gespräch führte Jana Scholz.

Die Wissenschaftlerin

Lisa Andergassen studierte Europäische Medienwissenschaft in Potsdam. Derzeit promoviert sie an der Universität Potsdam zum Verhältnis von Fotografie und Digitalität.
E-Mail: maillisaandergassende

 

Text: Jana Scholz
Online gestellt: Alina Grünky
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde

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