Als der gebürtige Schweizer Heinz Kleger 1993 aus Zürich nach Potsdam kam, setzte er sofort eigene Akzente. Zivilgesellschaft, Toleranz und Bürgerbeteiligung waren Kernthemen in seinem Hörsaal – doch dort allein sollten sie nicht bleiben. „Nur rund ein Prozent der Brandenburger sind in politischen Parteien organisiert, was sehr schade ist“, betonte Kleger erst jüngst wieder. „In meinen Vorlesungen und Seminaren habe ich dazu ermuntert, genau das zu ändern“, sagte er nun im PNN-Gespräch. Nach einer 25-jährigen, höchstbewegten Zeit als Professor für Politische Theorie nimmt der 65-jährige Kleger zur Sommerpause nun Abschied von der Universität Potsdam und geht in den Ruhestand.
Heute merkt man es dem Politikwissenschaftler an, wie sehr er sich darüber freut, dass einige „seiner“ Potsdamer Studierenden heute politisch exponiert mitmischen – so etwa die Potsdamer Bundestagsabgeordnete Manja Schüle (SPD), der aktuelle Potsdamer OB-Kandidat Mike Schubert (SPD), aber auch der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, und der Kommunalpolitiker Nils Naber (ebenfalls Grüne). Kaum nach Potsdam berufen, hatte Heinz Kleger seinerzeit schon seine ersten kommunal-, landes- und auch europapolitischen Studien in Angriff genommen. Ihre Ergebnisse fanden umgehend Beachtung – und schon 1996 erhielt der Neu-Potsdamer den Berlin-Brandenburgischen Wissenschaftspreis. Von Mitte der 1990er-Jahre datiert auch die Geburtsstunde der von Heinz Klegerseither im LIT-Verlag herausgegebenen Buchreihe „Region-Nation-Europa“, in der mittlerweile 84 Bücher erschienen sind.
In Potsdam nahm Heinz Kleger des Öfteren selbst das Heft des Handelns in die Hand. Maßgeblich initiierte er 2005 den ersten Potsdamer Bürgerhaushalt – eine beispielhafte Form der kommunalen Mitbestimmung, die bis heute Bestand hat. Und 2008 war es wiederum Kleger, der gemeinsam mit Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) der Öffentlichkeit das „Neue Potsdamer Toleranzedikt“ vorstellte – eine originelle Weiterentwicklung des Edikts aus dem Jahr 1685. Konsequent dazu wurde 2009 der Potsdamer Verein „Neues Potsdamer Toleranzedikt – Gemeinsam für eine weltoffene Stadt“ ins Leben gerufen, der entschieden für ein Miteinander aller Potsdamer und gegen Fremdenhass, Rassismus, Antisemitismus und Muslimfeindschaft kämpft.
Als Thilo Sarrazin 2010 mit seinem umstrittenen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ auf der Bildfläche erschien, zeichnete sich eine ganz neue Herausforderung ab. Sarrazins erste Buchlesung fand ausgerechnet im Potsdamer Nikolaisaal statt – vor euphorischem Publikum drinnen und aufgebrachter Gegnerschaft draußen. Heinz Kleger nahm die Situation zum Anlass, mit seinem Buch „Toleranzedikt als Stadtgespräch statt Sarrazin-Theater“ 2011 eine indirekte Replik hinzulegen. Statt reflexartig mit deutscher Leitkultur auf ungelöste Integrationsprobleme zu reagieren, so der Professor, sei mehr denn je die Integrationskraft der Demokratie herausgefordert. Sarrazin legte mit weiteren Publikationen nach und dozierte 2014 schließlich in „Der neue Tugendterror“ über die von ihm empfundenen Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Aber auch hierauf reagierte Heinz Kleger nur wenige Monate später gelassen und wirksam: In seinem Buch „Tugendethik ohne Tugendterror“ nahm er die ideengeschichtliche Bedeutung von Begriffen wie Tugend, Terror und Ethik und deren Ausprägungen in Geschichte und Gegenwart sorgfältig unter die Lupe – und trug so zu einer Versachlichung der Debatte bei.
Der enorme Auftrieb der Rechtspopulisten in Deutschland, greifbar am Einzug der AfD in den Bundestag, hat auch Heinz Kleger einigermaßen überrascht. Wie sieht der erfahrene Politikwissenschaftler nun die Zukunft der Parteiendemokratie in Deutschland und Europa? „Die Parteien sind Kinder der Demokratie“, zitiert er zunächst Max Weber. „Das muss man doppeldeutig verstehen. Parteien kommen und gehen, neuartige Bewegungen und Parteien entstehen“, sagt Kleger mit Verweis auf „Forza Italia“, Fünf Sterne, „En Marche“, Syriza, Podemos und andere. „Die traditionellen Volksparteien der Christ- und Sozialdemokratie scheinen erschöpft.“ Das Schwanken und die Flüchtigkeit in der Parteienpolitik sei groß geworden, was neue Legitimationsfragen aufwerfe: „Entscheidend wird sein, dass es eine verfassungsdemokratische Bürgergesellschaft als kritische Masse gibt.“
Heinz Kleger wäre nicht Heinz Kleger, würden ihn nicht regelmäßig neue Entwicklungen und konzeptionelle Ideen umtreiben. Häufig sind es Themen und Aspekte, die den Kiez vor der Haustür, die Region, das eigene Land, dann aber wieder auch Europa und die globale Welt betreffen. In seinem neuesten Buch, „Demokratisches Regieren“ (2018; s. Kasten) eröffnet Kleger noch einmal ganz neue Perspektiven. Hier hat er einen bürgerschaftszentrierten Ansatz gewählt, nicht ohne Machtrealismus, aber ganz in der Tradition der Aufklärung. Vor allem geht es Kleger um die demokratischen Denk- und Handlungsmöglichkeiten von Bürgern und Bürgerschaften, die im Prinzip erst noch einzuüben und zu testen sind.
Was würde Heinz Kleger, ließe sich das Rad der Zeit noch einmal zurückdrehen, beim nächsten Mal anders oder besser machen? „Ich würde für eine fakultätsübergreifende Verzahnung von Philosophie, Politik und Ökonomie kämpfen“, sagt er ohne Zögern. „Denn nur so lassen sich viele der heutigen Probleme überhaupt erfassen und analysieren.“
Dass der renommierte Züricher vor zweieinhalb Jahrzehnten in den deutschen Osten gekommen ist, hat er nie bereut. Und hier wird er auch als Professor emeritus bleiben. Hier ist er mit einer ostdeutschen Historikerin verheiratet, hier gehen die Kinder Paula und Max zur Schule. „Es ist die Familie, mit der ich hier Wurzeln geschlagen habe“, sagt Kleger. „Aber ich bin auch sehr gern Potsdamer, und die Stadt mit all ihren Erfolgen und Problemen ist mir ans Herz gewachsen.“
Dieser Artikel erschien erstmals am 4. Juli 2018 in den Potsdamer Neuesten Nachrichten.
Text: Olaf Glöckner
Online gestellt: Jana Scholz
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