Es summt, klingelt und blinkt. Die neuesten Nachrichten, wichtige E-Mails oder der aktuellste Klatsch auf den sozialen Netzwerken buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Gesprächspartner wenden sich plötzlich ab, weil ihr Handy piept, das Kind chattet per Smartphone am Abendbrottisch, auf dem Gehweg weicht man „Smombies“ aus, die abgelenkt von ihrem Handy kaum die Welt um sich herum wahrnehmen. Als „Phubbing“ – eine Wortschöpfung aus den englischen Wörtern „phone“ für telefonieren und „snubbing“ für brüskieren – bezeichnen Experten dieses Verhalten. Die Wirtschaftsinformatikerin Prof. Dr. Hanna Krasnova untersucht, welche Folgen das permanente Online-Sein für unser Berufs- und Privatleben hat.
Wenn Hanna Krasnova den Hörsaal betritt, um eine Vorlesung zu halten, ist sie darauf gefasst, dass nur wenige ihrer Studierenden ihr aufmerksam folgen werden. Steht sie vorn am Pult und schaut in die Reihen, halten die meisten der vor ihr Sitzenden die Köpfe gesenkt. Ihr Blick richtet sich nicht auf die Professorin, sondern auf Displays und Monitore. Die Wissenschaftlerin konkurriert mit einem starken Gegner um die Aufmerksamkeit der Studierenden: Es ist die digitale Welt, die per Smartphone, Tablet oder Laptop stets verfügbar ist – im Hörsaal und auch anderswo.
„Unser Alltag ist davon geprägt, dass wir ständig online sind“, erklärt Hanna Krasnova. „Wie geht man damit um?“ – vor dieser Frage steht sie selbst nicht nur als Professorin, die die Aufmerksamkeit ihrer Studierenden schwinden sieht. Auch als Mutter steckt sie in der Zwickmühle, wenn etwa beim Vorlesen der Gute-Nacht-Geschichte plötzlich das Handy klingelt. „Ich habe den Drang, E-Mails sofort zu lesen und zu beantworten“, beschreibt sie den Druck, den das Smartphone auch auf sie ausübt. Wie ihr geht es den meisten: Macht sich das Smartphone bemerkbar, bleibt die Aufmerksamkeit selten beim Gegenüber.
Kaum einer kann sich der Anziehungskraft des Smartphones entziehen
Um das Ausmaß und die Folgen dieses Phänomens zu untersuchen, begann Hanna Krasnova, die den Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, Soziale Medien und Data Science leitet, gemeinsam mit ihrem Team das Smartphoneverhalten von Studierenden in den großen Vorlesungen zu beobachten. Wie viel Zeit verbringen diese während der Vorlesung am Smartphone? Wie wirkt sich das auf ihre Leistungen aus? Die Ergebnisse der Studie waren sogar für sie überraschend: Knapp 40 Minuten der Vorlesungszeit verbringen die Studierenden im Durchschnitt nicht mit dem Unterrichtsstoff, sondern am Smartphone. Eine Umfrage zeigte, dass diese anschließend selbst gut abschätzen konnten, wie viel Zeit sie im Hörsaal surften oder chatteten. „Die Studierenden sind sich dessen relativ gut bewusst“, betont Hanna Krasnova. Gleichzeitig stellte die Forscherin fest, dass diejenigen, die sich ablenken ließen, den vermittelten Stoff schlechter verarbeiten konnten.
In einer weiteren Studie ließen die Forscher die akademische Welt hinter sich und begaben sich direkt hinein ins pralle Leben – auf einen Spielplatz in Berlin. Im Fokus der Untersuchungen standen Eltern und ihre Kinder. Die Forscher wollten wissen, ob Eltern, die mit Kleinkindern unterwegs sind, sich durch das Smartphone ablenken lassen.
Derzeit werten die Wissenschaftler die Daten der Studie aus. Bereits jetzt können sie sagen: Zahlreiche Eltern verbringen am Spielplatz sehr viel Zeit mit dem Smartphone, währen ihre Kinder im Sand buddeln oder auf Gerüste klettern. „Wir reden hier von wirklich kleinen Kindern, die zwei, drei oder vier Jahre alt sind“, sagt Hanna Krasnova. „Das kann durchaus auch gefährlich werden.“
Neue Kommunikationstechnologien werfen viele Fragen auf
Für Hanna Krasnova sind die aktuellen Untersuchungen, zu denen auch das Phubbing in Paarbeziehungen gehört, erst der Anfang. Am jüngst in Berlin gegründeten Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft wird sich die Forscherin weiteren Fragen von neuen Kommunikationstechnologien und deren gesellschaftlichen Auswirkungen intensiv widmen. Denn hier leitet die 37-Jährige die Forschungsgruppe „Digitale Technologien und Wohlbefinden“. „Natürlich haben Smartphones und an ähnliche Geräte auch etliche positive Seiten“, betont die Forscherin. Mit einem Klick erhalten wir Zugang zu allen möglichen Informationen, wir können Kontakt zu jenen halten, die uns wichtig sind, und uns mit Menschen auf der ganzen Welt verbinden. „Auch im Kontext von Flucht spielt das Smartphone eine enorme und ganz besondere Rolle“, erklärt Krasnova. Flüchtlinge bleiben über die Geräte mit der Familie in Kontakt, erhalten online wichtige Informationen über notwendige Behördengänge oder Sprach- und Ausbildungskurse. In einem aktuellen Forschungsprojekt untersucht die Wissenschaftlerin deshalb auch, wie digitale Technologien auf die Integration wirken.
„Dennoch darf man die negativen Seiten nicht vergessen“, mahnt Hanna Krasnova. Denn viele Menschen entwickeln eine regelrechte Sucht nach dem Smartphone. Der Tag startet mit einem Blick aufs Display und endet auch so. In der Zeit dazwischen halten es viele kaum 30 Minuten ohne das geliebte Gerät aus. „Wir versuchen zu verstehen, warum und wie sich diese Sucht entwickelt.“
Bei der Sucht nach dem Smartphone wirken ähnliche Mechanismen wie bei der Spielsucht
Weshalb also nehmen wir in Kauf, dass wir nahestehende Menschen verärgern, Unterrichtsstoff versäumen oder unseren Kindern nicht die volle Aufmerksamkeit zukommen lassen? Hanna Krasnova beschreibt diese Prozesse so: Erhalten wir eine interessante E-Mail oder einen netten Kommentar über Facebook, freuen wir uns. Gleichzeitig erwarten wir jedoch, dass sich diese Freude wiederholt. Aus Angst, genau dieses Ereignis zu verpassen, checken wir das Smartphone alle paar Minuten. „Man wartet auf die Belohnung, aber man weiß nicht, wann sie kommt.“ Ähnliche Mechanismen wirken auch bei der Spielsucht.
Die Forschung zu digitalen Medien und ihren gesellschaftlichen Potenzialen und Gefahren steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Fakt ist: Durch digitale Technologien verändert sich unsere Art zu kommunizieren. Die langfristigen Auswirkungen sind noch nicht absehbar. „Hier sehe ich einen gesellschaftlichen Auftrag für unsere Forschung“, sagt Hanna Krasnova. „Es ist ein Massenphänomen, das wir nicht ignorieren können.“
DIE WISSENSCHAFTLERIN
Prof. Dr. Hanna Krasnova studierte Economics and Management Science an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2015 ist sie Professorin für Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik, insb. datenintensive Anwendungen im öffentlichen Sektor an der Universität Potsdam und leitet seit September 2017 die Forschungsgruppe „Digitale Technologien und Wohlbefinden“ am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft.
Das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft erforscht gesellschaftliche Veränderungen, die durch die Digitalisierung entstehen und entwirft Handlungsempfehlungen für Wirtschaft und Politik. Es wurde im September 2017 eröffnet und wird vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) koordiniert. Der Verbund umfasst neben dem WZB die Universität Potsdam, die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Technische Universität Berlin, die Universität der Künste Berlin sowie das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Institut in den ersten fünf Jahren mit 50 Millionen Euro.
www.vernetzung-und-gesellschaft.de
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Alina Grünky
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