Ob Jahresringe, Sedimentablagerungen oder Eisbohrkerne – Klima- und Erdwissenschaftler nutzen verschiedene Archive der Natur, um etwas über das Klima der Vergangenheit zu erfahren. Die Humboldt-Stipendiatin Natalia Rudaya verwendet Informationen aus Jahrtausende alten Seesedimenten, um nicht nur die Vegetation und das Klima Südsibiriens zu rekonstruieren, sondern auch die Geschichte der Menschen in diesem Gebiet zu erforschen.
Einige sind kreisrund, andere oval, manche haben Noppen auf ihrer Oberfläche. Doch ganz egal, wie sie aussehen – Natalia Rudaya erkennt sie alle. Die Biologin aus Russland, die seit Oktober für anderthalb Jahre als Humboldt-Stipendiatin an der Universität Potsdam und am Alfred-Wegener-Institut (AWI) arbeitet, schaut sich die Pollenkörner unter ihrem Mikroskop genau an. Neben ihr auf dem Tisch stehen weitere Fläschchen mit Proben, die es zu analysieren gilt. Sie alle stammen aus Sibirien, aus den Ablagerungen kleinerer Seen, die Forscher mit Bohrkernen geborgen haben. Sie sind Tausende von Jahren alt. In ihrem tiefen, kalten Grab, weit unten am Grund der Gewässer, überdauerten die Pollen gut konserviert die Zeit.
Nun sollen sie, zusammen mit Kieselalgen, Insektenlarven, Zooplankton und chemischen Parametern Aufschluss über das Klima der vergangenen 17.000 Jahre geben. Anhand der Daten rekonstruiert Rudaya, wie dieses sich im Lauf der Zeit veränderte, ob es kalt oder warm, feucht oder trocken war, ob Wälder oder Gräser die Landschaft prägten. Über eine Strecke von 1.400 Kilometern im Gebiet des Altai-Gebirges, von der Waldsteppe Südwestsibiriens bis zur Grassteppe im Nordwesten der Mongolei zieht sich das Gebiet, das Rudaya untersucht.
Ihre Ergebnisse kombiniert sie mit archäologischen Funden aus der Region. Ihre Arbeit soll zeigen, ob das Klima der Vergangenheit darüber bestimmte, wie die Menschen lebten und wohin sie gingen, ob sie als Nomaden mit ihrem Vieh umherzogen oder in Seen und Flüssen fischten und in den Wäldern jagten.
Den Zusammenhang erklärt sie so: „Vor 7.000 bis 9.000 Jahren gab es ein Klimaoptimum in der Gegend, es war trocken und ziemlich heiß. Wir nehmen an, dass die Menschen weniger fischten und jagten als zuvor, denn es gab weniger Gewässer und Wälder.“ Stattdessen züchteten die Menschen Vieh, das mit der kargen Vegetation des heißen Klimas gut zurechtkam und die Menschen ernähren konnte. Pferde, Ziegen, Schafe.
Um diese Hypothese zu untersuchen, sammelt die Wissenschaftlerin, die selbst aus dem sibirischen Nowosibirsk stammt, Probe um Probe. Jeden Sommer verbringt sie einige Wochen im Altai-Gebirge, um Material für ihre Forschung zusammenzutragen. Hier, in unberührter Natur und mit einem atemberaubenden Blick auf die Landschaft, genießt sie ihre Arbeit ganz besonders. „Ich war hier schon als Kind mit meinem Vater unterwegs“, erzählt sie. Dieser war selbst Paläogeograf – und vermittelte seiner Tochter schon früh die Faszination der Paläowissenschaften. „Expeditionen waren meine Ferien“, sagt sie lachend.
Heute ist Natalia Rudaya selbst Wissenschaftlerin. Und sie weiß: Zur geowissenschaftlichen Arbeit gehört auch die andere Seite. Die Auswertungen der Proben im Labor und ihre statistische Analyse am Computer. Stunde um Stunde sitzt Rudaya deshalb am Mikroskop, um jedes einzelne Pollenkorn zu zählen und zu dokumentieren. Mindestens 300 je Probenfläschchen benötigt sie, um aus ihnen ein Pollendiagramm zu erstellen und mit diesem statistisch zu errechnen, welche Pflanzenarten die Landschaft prägten und welches Klima herrschte. Rund 50 Arten – unter ihnen Kiefer, Birke oder Beifuß – kommen hauptsächlich in den Proben vor. Erkennt sie tatsächlich jede Pflanzenart allein an ihren Pollen? Nur in äußerst seltenen Fällen müsse sie auch einmal im Fachbuch nachschlagen. „Aber normalerweise habe ich genug Erfahrung, um alles zu erkennen“, schmunzelt sie über die Frage.
„Ich entdecke keine Dinosaurier“, sagt Natalia Rudaya mit einem Augenzwinkern über ihre Arbeit. Spannend ist es dennoch – vor allem, wenn sie in ihren Pollendiagrammen unerwartete Entwicklungen sieht. Etwa, wenn sie auf eine feuchte Klimaperiode in einem Gebiet stößt, die sie dort nicht vermutet hätte. „Es ist sehr wichtig, solche regionalen Klimaentwicklungen zu verstehen“, betont sie. „Auch für zukünftige Klimavorhersagen.“
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Alina Grünky
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