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Alles am richtigen Platz – Pflanzenphysiologen untersuchen Steuermechanismen der Pflanzenzelle

Foto: Markus Grebe betrachtet eine acht Wochen alte Ackerschmalwand-Pflanze im Pflanzenraum. Foto: Thomas Roese.
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Foto: Markus Grebe betrachtet eine acht Wochen alte Ackerschmalwand-Pflanze im Pflanzenraum. Foto: Thomas Roese.

Ob Pflanze, Tier oder Mensch – Zellen sind die Bausteine des Lebens. Ihr Inneres ist ein eigener kleiner Organismus, der aus Membranen, Zellplasma, Organellen, kleinen Eiweißfabriken und Stoffwechselwerken besteht. Damit alles reibungslos funktioniert, hat jedes Kompartiment seinen eigenen Platz. Stoffe werden von einem Organell zum anderen, von einer Zelle in die benachbarte transportiert. Diese Asymmetrie, die von Genen mitbestimmt und von unzähligen Molekülen ausgeführt, aufrechterhalten und gesteuert wird, bezeichnen Forscher als Zellpolarität. Ist sie gestört, sind die Auswirkungen dramatisch.

Die Wurzel wächst nach unten, der Spross nach oben – so ist es bei den meisten Pflanzen üblich. Im Labor von Markus Grebe gibt es allerdings Ausnahmen. Der Professor für Pflanzenphysiologie holt aus dem Klimaschrank ein Gefäß mit nur wenige Tage alten Keimlingen der Ackerschmalwand. Die Pflänzchen, die unter dem wissenschaftlichen Namen Arabidopsis thaliana bekannt sind, scheinen nicht zu wissen, wo oben und wo unten ist. Die Keimlinge wachsen kreuz und quer, sehen krumm und krank aus. Markus Grebe verrät, woran das liegt: „Es sind mutierte Pflanzen, bei denen ein bestimmtes Gen ausgeschaltet wurde.“

Fehler in der Erbinformation haben Auswirkungen auf die Organisation der Zelle

Den Prozess, der dafür verantwortlich ist, dass die Wurzeln sich tief in der Erde verankern und der Spross mit den Blättern in die entgegengesetzte Richtung strebt, nennen Pflanzenphysiologen Gravitropismus. Die Pflanzen orientieren sich mithilfe der Schwerkraft und können so oben und unten voneinander unterscheiden. Markus Grebe interessiert sich vor allem für jene Pflanzen, bei denen dieser Mechanismus gestört ist – weil in ihrer Erbinformation Fehler eingebaut sind, die die Funktionen und Verteilung einzelner Proteine in der Pflanzenzelle verändern. 
In ihrer Forschung schalten die Pflanzenphysiologen gezielt bestimmte Gene aus, um anschließend zu untersuchen, welche Funktionen diese Gene in der Pflanze erfüllen. Um eine solche Pflanze untersuchen zu können, muss der Forscher sie zunächst einmal im Labor selbst erzeugen. Dazu behandelt er Pflanzensamen mit einem chemischen Reagenz, einem sogenannten Mutagen, das einzelne Bausteine der DNA verändert. Andere Methoden verwenden radioaktive Strahlung oder Bakterien, die gezielt bestimmte DNA-Bausteine in das Genom der Pflanzen einschleusen.
Die Pflanzen, die aus diesen Samen wachsen, haben schließlich Mutationen. Nach der Anwendung chemischer Mutagene können dies rund 300 bis 400 pro Pflanze sein. „Viele haben aber keine Auswirkungen“, erklärt Markus Grebe. Nun gilt es, die Nadel im Heuhaufen zu finden und die Pflanze mit der gewünschten Mutation – die durch puren Zufall entsteht – zu identifizieren.
Der Prozess ist extrem aufwendig – rund 30.000 Pflänzchen haben die Forscher im Labor von Markus Grebe gescannt, um interessante Mutationen zu finden. „Zwei Mitarbeiter haben dafür drei Monate benötigt“, sagt er. Unter der „Riesenlupe“, wie Grebe sein Mikroskop liebevoll nennt, zeigt sich, was im Inneren dieser mutierten Pflanzen vor sich geht. Stark vergrößert ist jede einzelne Wurzelzelle in dem zarten, nur einige Millimeter messenden Keimling sichtbar. Während die Zellen von gesunden Keimlingen gleichmäßig angeordnet sind und sich dicht aneinanderreihen, zeigen die kranken Pflanzen einzelne Zellen, die merkwürdig verschoben und ungeordnet aussehen. Die Ursache liegt in der Fehlverteilung eines wichtigen Eiweißes, das für die Wachstumsregulation zuständig ist.
Die Proteine und Lipide, für die sich Markus Grebe interessiert, sitzen meist nur an einer Seite der Pflanzenzelle – oben, unten, zur Pflanzenmitte oder nach außen gerichtet. Dieses Phänomen bezeichnen Forscher als Zellpolarität. Organellen, Membranen und Moleküle sind in der Zelle nicht gleichmäßig verteilt, sondern befinden sich an genau definierten Orten, und nur an diesen können sie ihre Funktion erfüllen.

Die Forscher identifizieren neue Gene und deren Funktionen

So wie etwa ein Hormontransporter für das Pflanzenhormon Auxin. In einer gesunden Pflanze wird das Hormon, das neben vielen anderen Aufgaben die Bildung von Seitentrieben und Wurzelhaaren reguliert, immer in eine bestimmte Richtung transportiert – von der Sprossspitze und den inneren Wurzelzellen nach unten, in den äußeren Wurzelzellen dagegen nach oben. Der Transporter sitzt deshalb stets an jener Seite der Zelle, in deren Richtung der Transport erfolgen soll.
Für seine Untersuchungen hat Markus Grebe dieses Molekül mit einem Farbstoff markiert. Es fluoresziert unter dem Mikroskop nun grün und zeigt dem Forscher damit an, wo genau es sich in der Zelle befindet. Nämlich nicht dort, wo es sein soll: Anders als bei einer gesunden Pflanze sind in den mutierten Arabidopsis-Keimlingen die Hormone in der Pflanzenwurzel falsch verteilt. Und dies hat gravierende Auswirkungen auf die gesamte Pflanze. Der Auxintransport und damit das Wachstum ist nun gestört. Ursache dafür ist eine Genmutation, die eine Komponente im Zellskelett verändert. Wie Strahlen durchziehen Fäden dieses Skeletts die gesamte Zelle. Sie sorgen dafür, dass alles an den richtigen Ort der Zelle transportiert wird. In den Mutanten ist dieser Mechanismus stark beeinträchtigt. Der Auxintransporter gelangt nicht an die richtige Zellseite, das Hormon wird in der Pflanze daher nicht mehr richtig verteilt.
Die Folgen: Spross und Wurzeln krümmen sich ungerichtet, die Pflanze kümmert dahin. In der freien Natur hätte sie kaum eine Überlebenschance. „Wir haben Gene identifiziert, die die Lokalisation des Auxintransporters verändern“, erklärt Markus Grebe. Und genau das ist das Ziel seiner Forschung. Nach und nach identifiziert er mit seinem Team immer mehr Gene und die dazugehörigen Proteine, die für die Zellpolarität verantwortlich sind und damit sicherstellen, dass eine Pflanzenzelle gesund ist, Nährstoffe transportieren, wachsen und sich teilen kann – kurzum, dass sie alle wichtigen Funktionen erfüllt. 

Die Ergebnisse aus der Pflanzenforschung geben auch Einblicke in andere Forschungsfragen

Wie den Auxintransporter gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster Moleküle, die in der Zelle produziert und anschließend an ihren Bestimmungsort transportiert werden. So etwa auch Proteine, die Pflanzen vor pathogenen Pilzen schützen. Sie sitzen an der äußeren Membran von Pflanzenzellen. Mutanten, bei denen solch ein Protein nicht mehr an der Außenseite sitzt, sondern im Inneren der Zelle verbleibt, sind anfälliger gegen Krankheiten. Das Team um Markus Grebe hat ein bisher unbekanntes Protein identifiziert, das den Transport dieses Schutzmoleküls gewährleistet. 
„Zellpolarität ist für alle Lebewesen extrem wichtig“, betont Markus Grebe. Menschliche und tierische Samenzellen sowie befruchtete Eizellen (Zygoten) sind bereits polar organisiert, ähnlich wie auch pflanzliche Pollen und Zygoten. Eine einzelne Pflanzenzelle teilt, streckt und differenziert sich – „und in dieser Zeit laufen viele Polarisationsprozesse ab“, so Grebe. Als Forscher faszinieren ihn die zugrundeliegenden Mechanismen dieses Phänomens bereits seit mehr als 20 Jahren.
In der Praxis kommen die neuen Erkenntnisse aus der Pflanzenforschung künftig möglicherweise auch auf Gebieten zum Einsatz, die erst einmal ungewöhnlich erscheinen: „Wir haben schon viele neue Gene gefunden, auch solche, die es bei uns Menschen gibt“, erklärt Markus Grebe. Eines davon ist in menschlichen Krebszellen besonders aktiv – warum, weiß noch niemand. In der Pflanze, so konnten Grebe und sein Team zeigen, regelt dieses Gen, in welche Richtung sich die Zelle teilt. „Sie denken vielleicht, wir gucken hier eben nur unsere Wurzelhärchen an – aber dabei finden wir auch Gene, über die noch gar nichts bekannt ist, die aber auch in anderen Organismen wichtige Funktionen erfüllen.“

DER WISSENSCHAFTLER

Prof. Dr. Markus Grebe studierte Biologie an den Universitäten von Gießen und Sussex, Großbritannien. Er untersucht die molekularen Mechanismen, die die Zellpolarität im Gewebezusammenhang koordinieren sowie die Rolle von Sterolen bei der Ausbildung pflanzlicher Zellpolarität. Seit 2013 ist Markus Grebe Professor für Pflanzenphysiologie an der Universität Potsdam und erforscht verschiedene Aspekte der pflanzlichen Zell-und Gewebepolarität.
mgrebeuni-potsdamde 

Text: Heike Kampe
Online gestellt: Marieke Bäumer
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuni-potsdamde