Es sind die Waffen unseres Körpers gegen unerwünschte Eindringlinge: Antikörper heften sich an die Oberfläche von Viren und Bakterien. Spezialisierte Fresszellen können sie nun erkennen und eliminieren. Auch außerhalb des Körpers sind Antikörper nützlich. In der pharmazeutischen Industrie ist das Geschäft mit den kleinen Molekülen milliardenschwer. Sie werden zur Diagnose und zunehmend auch Therapie zahlreicher Erkrankungen eingesetzt. Die Stiftungsprofessorin Katja Hanack forscht mit ihrem Team an einer neuen Methode zur Produktion von Antikörpern.
Rheumatoide Arthritis, Darmkrebs, Makuladegeneration, multiple Sklerose – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Diese und viele weitere Krankheiten können heute mit Antikörpern behandelt werden. Die Moleküle, die gezielt an bestimmte Oberflächenstrukturen andocken, sind aus Medizin und Biowissenschaft nicht mehr wegzudenken. Mit ihnen werden Krankheiten therapiert und diagnostiziert, in Bluttests geben sie Aufschluss über Allergien und auch Drogenmissbrauch. Sogar der Schwangerschaftstest beruht auf einer Antikörper-Reaktion. Der Bedarf nach den hochspezifischen Bindemolekülen ist riesig. Doch die Produktion ist langwierig – und entspricht oft nicht den Bedürfnissen der Unternehmen.
Antikörper sollen schneller, effizienter und mit Rücksicht aufs Tierwohl produziert werden
Katja Hanack, Stiftungsprofessorin für Immuntechnologie, erforscht neue Wege, die die Antikörperproduktion revolutionieren könnten. „Wir entwickeln neue Strategien, um die gesamte Methode zu vereinfachen und zu optimieren“, erklärt sie. Der Zeitfaktor ist dabei ein entscheidender Punkt. Bisher dauerte es sechs bis acht Monate, um einen Antikörper zu produzieren. „Wir schaffen es inzwischen in zwei“, sagt Katja Hanack.
Und ein weiterer Aspekt ist der Forscherin wichtig: „Wir wollen irgendwann ohne Maus auskommen.“ Denn Ausgangspunkt für die Antikörperherstellung sind meist Immunzellen aus der Milz oder dem Blut von Tieren – üblicherweise sind es Mäuse oder Kaninchen, die für die gewünschten Zellen ihr Leben lassen müssen.
Das Team um Katja Hanack möchte dies ändern. Maus oder Kaninchen sollen künftig durch Zelllinien ersetzt werden. „Wir versuchen, das System im Labor so nachzubauen, wie es in der Natur tatsächlich ist“, beschreibt sie das Vorhaben. Dem klimatisierten Kulturschrank in ihrem Labor entnimmt sie den Grundbaustein dieses Plans: In einem flachen Kulturfläschchen schwimmen für das menschliche Auge unsichtbar in einer rötlichen Nährflüssigkeit und bei konstant 37 Grad Celsius Millionen Blutstammzellen. Rund 20 dieser Kulturen beherbergt der Klimaschrank. Aus ihnen soll sich – so das Ziel der Forscher – ein komplettes künstliches Immunsystem aufbauen. Das Besondere: Alle Schritte sollen gesteuert ablaufen und die Forscher somit erstmals die volle Kontrolle über die jeweiligen Entwicklungsstadien des Systems haben.
Immunzellen haben besondere Bedürfnisse
An der komplexen Struktur dieses Systems sind zahlreiche Zelltypen beteiligt. Sie alle müssen sich auf den Petrischalen und in den Kulturfläschchen der künstlichen Umgebung wohlfühlen. Sie müssen wachsen, sich teilen und aktiviert werden, damit sie ihre Funktionen erfüllen und schließlich Antikörper produzieren können. Eine Herausforderung für Wissenschaftler und Laboranten. „Wir testen auch, ob sich die Vorstufen der jeweiligen Zellen für unsere Verfahren eignen. Alles ist recht aufwendig“, sagt Katja Hanack. Wenn alles klappt, erhalten sie am Ende jene Zellen, auf die es die Wissenschaftlerin abgesehen hat: Sie produzieren die gewünschten Antikörper, auf die sie zuvor programmiert wurden – hoch spezifisch und massenhaft.
Auf dem Weg dorthin scheuen die Wissenschaftler keine Mühe. „Wenn sich die Zelle durch irgendetwas gestört fühlt, funktioniert sie nicht richtig“, verdeutlicht Katja Hanack. Damit sich die Immunzellen also rundum wohlfühlen, müssen nicht nur das Nährmedium und die Temperatur stimmen. Ein bisschen Gemütlichkeit gehört auch dazu. „Wie bemühen uns, ihnen ein ,Zuhause‘ zu schaffen“, sagt die Wissenschaftlerin. „So eine Zellkulturplatte ist zwar schön, aber es ist eben nicht wie in vivo – also im Organismus.“ Um die natürliche Umgebung nachzuempfinden, wollen die Forscher bestimmte Lymphknotenstrukturen nachbauen, in denen die Immunzellen besonders gut wachsen könnten. Mit einem sogenannten Bioplotter drucken sie dazu zwei- und dreidimensionale Proteinstrukturen auf die Kulturplatten. Ob die Zellen die architektonischen Bemühungen würdigen werden? „Wir hoffen es.“
Die Interessen der Unternehmen stehen im Mittelpunkt
Nach dem Praxisbezug ihrer Forschung muss Katja Hanack nicht lange suchen. Ihr Forschungsteam arbeitet eng mit mittelständischen und kleinen Firmen aus der Region zusammen, die pharmazeutische oder biotechnologische Produkte auf der Grundlage von Antikörpern entwickeln. Sie kennt die Bedürfnisse dieser Unternehmen. Diese seien darauf angewiesen, dass die benötigten Moleküle sicher und schnell hergestellt werden. „Wenn der Antikörper nicht da ist, kann das Produkt nicht entwickelt werden.“
Und noch etwas ist den Unternehmen wichtig: Sie wollen Antikörper erwerben, die sofort anwendbar sind – unter den Bedingungen, die die Laborumgebung vorgibt. „Viele der massenhaft produzierten Antikörper sind nicht ausreichend validiert“, beschreibt Katja Hanack das Problem. Die Pufferlösung, das Nachweissystem oder das Nährmedium – alle diese Komponenten müssen individuell abgestimmt sein, damit die Systeme gut arbeiten.
Katja Hanack weiß, wovon sie spricht. 2014 hat sie zusammen mit ihrer Kollegin Pamela Holzlöhner das Unternehmen „new/era/mabs“ gegründet, mit dem die zwei Biowissenschaftlerinnen die Ergebnisse ihrer Forschung in die Wirtschaft transferieren. Hier wenden sie an, was sie an Know-how besitzen und sich erarbeiten, um Antikörper nicht nur schnell, sondern vor allem auch passgenau zu produzieren und zu verkaufen.
DAS PROJEKT
„Pit goes Next“ entwickelt eine Plattform zur Antikörperherstellung auf Zelllinienbasis. Mit der neuen Technologie sollen Antikörper schneller, passgenauer und ohne Tierversuche produziert werden.
Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung, im Rahmen der InnoProfile-Initiative
Förderung: 2015-2019
www.uni-potsdam.de/ibb-immuntechnologie/startseite.html
DIE WISSENSCHAFTLERIN
Prof. Dr. Katja Hanack studierte Biologie in Rostock und Berlin. Sie promovierte an der Universität Potsdam und leitete von 2008 bis 2014 die InnoProfile-Nachwuchsgruppe „Antikörpertechnologien. Seit 2015 ist sie Stiftungsprofessorin für Immuntechnologie. Die Stiftungsprofessur wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie von acht regionalen Biotechnologie-Unternehmen kofinanziert.
katja.hanackuuni-potsdampde
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Alina Grünky
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde