Arktis, Wüste und Vulkane: Es gibt Leben an Orten, wo man es ganz sicher nicht vermuten würde. Und zwar in ungeahntem Umfang. Prof. Dr. Dirk Wagner ist ihm auf der Spur. Der Geomikrobiologe interessiert sich für winzige Organismen, die extreme Umgebungen nicht nur ertragen, sondern sogar brauchen, um zu leben.
In der Reihe „Perlen der Wissenschaft“ stellen wir regelmäßig Forscherpersönlichkeiten vor, die in einer der mit der Universität Potsdam vernetzten Forschungseinrichtungen des „pearls – Potsdam Research Network“ tätig sind. In dieser Ausgabe: Prof. Dr. Dirk Wagner vom Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches Geo-ForschungsZentrum (GFZ).
Die Atacama-Wüste in Chile ist so ein extremer Ort. Sie erstreckt sich rund 1200 Kilometer entlang der südamerikanischen Pazifikküste und gilt als trockenste Wüste der Erde. Durchschnittlich fallen hier 0,5 Millimeter Niederschlag – pro Jahr. In einigen Gegenden wurde seit Jahrzehnten gar kein Regen registriert. Tagsüber herrschen 30 Grad, nachts auch schon mal -15. „Man denkt dann schnell: Wie kann dort etwas überleben?“, sagt Dirk Wagner. „Geowissenschaftliche Kollegen, mit denen wir eng zusammenarbeiten, sind irritiert, wenn ich ihnen sage, dass es selbst dort, wo nichts wächst, vielfältiges Leben gibt – auf mikrobiologischer Ebene. Ein Gramm Boden enthält locker eine Million Organismen“, so der Wissenschaftler, der am Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) die Sektion Geomikrobiologie leitet.
Die Analyse der Umwelt-DNA hilft, die lebendige Vielfalt im Boden zu verstehen
Genau wegen dieser außergewöhnlichen biologischen Vielfalt kommt Dirk Wagner an Orte wie die Atacama oder die Wüste Namib in Südwestafrika. Nach Südamerika reiste er zuletzt im März 2016, um Bodenproben zu nehmen. „Es ist schon ein heftiges Klima – man isst automatisch weniger, muss viel trinken und spürt die starke Strahlung, der man hier ausgesetzt ist.“ Einmal gewonnen, werden die Proben eingefroren und nach Potsdam gebracht, um sie im Labor analysieren zu können. Wagner und seine Kollegen interessiert vor allem, welche Organismen in den Böden leben und wie sie sich an ein derart extremes Umfeld anpassen. Dafür gehen die Forscher auf zwei Weisen vor: Einerseits werden einzelne Organismen aufwendig aus den Proben isoliert, anschließend mithilfe von DNA-Analysen bestimmt und oft erstmals beschrieben. Die Organismen zu klassifizieren, bilde gewissermaßen das Fundament mikrobiologischer Forschung, erklärt Wagner. Immerhin seien bislang allenfalls ein bis drei Prozent der im Boden vorhandenen Kleinstlebewesen bekannt. Der Nachteil: In welcher Zahl bzw. welchem Verhältnis die verschiedenen Organismen vorkommen und wie sie miteinander bzw. ihrem geologischen Umfeld interagieren, lässt sich auf diesem Wege nicht ermitteln. Um das zu schaffen, untersuchen die Forscher die sogenannte Umwelt-DNA – das gesamte Erbgut aller Organismen innerhalb einer Bodenprobe. „Wir können damit die Gesamtgemeinschaft in ihrer Artenvielfalt, Zusammensetzung und Funktion beschreiben“, sagt Wagner. Dies bildet den Ausgangspunkt für die Frage, die die Forscher derzeit am meisten interessiert: Auf welche Weise wirken die Mikroorganismen auf ihre Umwelt ein? Denn der Einfluss der winzigen Lebewesen auf die Struktur und Zusammensetzung des Bodens ist entscheidend für die Entwicklung ganzer Habitate. So wirken sie wesentlich an der Humusakkumulation und der Aggregatbildung mit, zentralen Prozessen der Bodenentwicklung, durch die dieser stabilisiert wird. Dadurch wird die Erosion vermindert und höhere Organismen wie Pflanzen können sich ansiedeln. „In den Geowissenschaften ging man lange davon aus, dass Oberflächenprozesse nur durch Tektonik und das Klima beeinflusst werden“, sagt Wagner. „Die Vegetation spielte kaum eine Rolle. Dass das nicht stimmt, ist mittlerweile allseits bekannt. Aber die vielfältigen Einflüsse von Mikroorganismen auf die Entwicklung von Böden werden noch immer viel zu wenig berücksichtigt.“
Zurück aus der Atacama-Wüste entwickelte Dirk Wagner gemeinsam mit Kollegen ein Experiment, um zu ermitteln, auf welche Weise die in dortigen Böden lebenden Mikroorganismen diesen „aufbereiten“. Die Forscher präparierten zwei verschiedene Bodensysteme, je einen mit und einen ohne Mikroorganismen, und simulierten mit künstlichen Trocken- Feucht-Zyklen die Bedingungen in der Natur. „Ich war skeptisch, ob wir Unterschiede hinsichtlich der bodenbildenden Prozesse sehen würden“, so der Wissenschaftler. „Aber wir konnten tatsächlich in dem ersten Pilotexperiment zeigen, dass die Mikroorganismen großen Anteil an der Bildung von Aggregaten haben und damit wesentlich zur Entwicklung und Stabilisierung des Bodens beitragen.“
Auch im Permafrost ist viel Leben unter der Oberfläche
Als Geomikrobiologe ist Wagner es gewohnt, wissenschaftlicher Grenzgänger zu sein. Um das Wirken der Mikroflora in einer terrestrischen Umwelt zu erforschen, sei es unerlässlich, Biologie und Geowissenschaften zusammenzubringen. Leben an Orten zu suchen, wo andere nur Gestein oder leblose Strukturen sehen – damit hat er während des Biologie-Studiums in Hamburg begonnen, wo er als Nebenfach Bodenkunde belegte und so auf den Geschmack interdisziplinären Arbeitens kam. Schon in seiner Dissertation über die Methanfreisetzung aus Reisböden in China verband der Wissenschaftler Mikrobiologie und Bodenkunde miteinander. Der Raum zwischen den Disziplinen ist seither sein wissenschaftliches Zuhause.
2000 ging Wagner ans Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) nach Potsdam. Und wieder erwies sich eine Festlegung – hier auf die Polarforschung – als Glücksfall. Seine Forschung führte ihn fortan in Permafrostregionen, etwa in Sibirien, Kanada oder der Antarktis. Regionen, die Mikrobiologen lange gar nicht im Blick hatten. „Noch vor 100 Jahren dachte man, der Permafrostboden sei steril. Inzwischen weiß man: Hier ist so viel Leben wie in anderen Böden auch.“ Schon länger untersucht Wagner daher, wie die Mikroorganismen, die auch im gefrorenen Boden aktiv sind, die dortigen Stoffflüsse bestimmen. Gegenwärtig widmet er sich mit seinem Team der Frage, was geschieht, wenn die Permafrostböden im Zuge des Klimawandels tiefgründiger und für längere Zeit auftauen. „Vor allem die Grenzschicht zwischen der aktiven Auftauzone und den dauerhaft gefrorenen Sedimenten ist für die Entwicklung von Permafrostlandschaften als Quelle oder Senke für Treibhausgase von Interesse. Aus diesem Grund werden Bohrungen in die oberen Sedimentschichten abgetäuft, um zu sehen, welche mikrobiologischen Prozesse in diesen Schichten ablaufen oder potenziell möglich sind.“ Denn in den Permafrostablagerungen sind große Mengen an Kohlenstoff gespeichert. Tauen diese auf, wird der Kohlenstoff durch die Mikroorganismen in Treibhausgase umgewandelt. „Das ist eine tickende Zeitbombe, denn wenn große Permafrostregionen dauerhaft auftauen, könnten große Mengen an Kohlendioxid und Methan entweichen, die unsere Atmosphäre weiter aufheizen würden“, erklärt der Forscher.
Die tiefe Biosphäre ist ein gewaltiges Ökosystem
Seit Dirk Wagners Wechsel ans Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches Geo- ForschungsZentrum (GFZ) 2012 rückte ein weiterer, scheinbar unwirtlicher Ort in seinen Fokus: die tiefe Biosphäre. „Bis vor 30 Jahren nahm man an, dass wenige Meter unter der Oberfläche kaum noch Leben existiert.“ Inzwischen gehen Schätzungen davon aus, dass die Biomasse der tiefen Biosphäre annähernd so groß ist wie die an der Oberfläche und in bis zu drei Kilometern Tiefe noch Mikroorganismen leben. Grenzen setzen allenfalls die zum Erdkern hin zunehmenden Temperaturen. Für die Geomikrobiologie eine reizvolle Forschungsaufgabe: „Die tiefe Biosphäre ist ein gewaltiges Ökosystem. Und bislang wissen wir noch so wenig und haben so viele Fragen.“ Was für Organismen leben dort – und wovon? Welche Rolle spielen sie für die Stoffumsätze in der Tiefe? Wie sind sie an Prozesse gekoppelt, die an der Oberfläche stattfinden? Und was passiert, wenn der Mensch ihren Lebensraum nutzen will, etwa durch die Ausbeutung von Rohstoffen, die Gewinnung von Trinkwasser und geothermischer Energie oder der Lagerung von radioaktivem Abfall? Über all das lässt sich bislang lediglich spekulieren. Die Forschung zur tiefen Biosphäre steht erst an den Anfängen, vor allem weil sie weit schwerer zugänglich ist als Wüsten oder Permafrostregionen. Wer ihren Geheimnissen auf die Spur kommen will, muss tief bohren. Das ist aufwendig und teuer. Weltweit schließen sich daher Forscher zusammen, etwa im „International Continental Scientific Drilling Program (ICDP)“, um an geeigneten Orten aus mehreren Hundert Metern Tiefe Bodenproben zu gewinnen. Dirk Wagner und sein Team haben bereits Seesedimente aus dem indonesischen See Towuti sowie dem sibirischen El'gygytgyn-Krater- See analysiert. Derzeit sind sie an einem Bohrvorhaben am Egergraben in Böhmen beteiligt. „Ein Hotspot der tiefen Biosphäre, da dort aus der Tiefe Fluide aufsteigen, die CO2 und mineralische Nährstoffe mitführen und so das mikrobiologische Leben befördern“, sagt der Forscher begeistert. „Wir hoffen, hier viel über die Zusammenhänge zwischen biologischen und geologischen Prozessen zu lernen.“
Da er es seit Jahrzehnten gewohnt ist, Disziplinen zusammenzudenken, wundert es kaum, dass Dirk Wagner mittendrin steckt in einem aktuellen Vorhaben, das Geowissenschaften, Biologie und Klimaforschung zusammenbringen will: einen Exzellenzcluster der DFG. Erst im April 2017 haben Forscher der Universität Potsdam gemeinsam mit Partnern vom GFZ, dem AWI, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), dem Museum für Naturkunde Berlin – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung (MfN) und der Technischen Universität Berlin den Antrag dafür eingereicht. Für Wagner ein spannendes Projekt ganz nach seinem Geschmack: „Zum ersten Mal würden wir uns im großen Maßstab daranmachen, die Ereignisse an der Erdoberfläche von verschiedenen Perspektiven aus gemeinsam zu untersuchen und zu schauen, wie sie zusammenhängen und was wir daraus für die weitere Entwicklung des Systems Erde lernen können. Davon erhoffe ich mir auch für meine Arbeit eine Menge Impulse.“
Extremer geht es kaum – nur im All
Dabei kennt das Forschungsinteresse von Dirk Wagner schon jetzt kaum Grenzen. Bei extremer Hitze, Kälte und Tiefe macht er nicht halt. Aus der Arktis heraus richtet er den Blick auch „nach oben“ ins All. Stichwort: Astrobiologie. „Anfangs war es eine Art Nebenprodukt, inzwischen hat es sich zu meinem Steckenpferd gemausert“, sagt der Forscher und lacht. Sein Interesse gilt sogenannten extremophilen Mikroorganismen, also jenen, die die Extreme lieben. Beispielsweise solche, die mit Wasserstoff und CO2 auskommen. Damit wären sie prädestiniert für ein Leben auf dem Mars. „Im Laufe der Jahre bin ich in die Gemeinschaft der Astrobiologen reingewachsen und habe immer wieder mal ein kleines Projekt bearbeitet.“ Oder auch ein größeres, wie zuletzt, als er für ein Experiment des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Adlershof Mikroorganismen aus dem sibirischen Permafrost ins All schickte. Die Proben verbrachten, präpariert auf marsähnlichen Mineralien, einige Monate in einem Exponierungsmodul an der Außenhülle der internationalen Raumstation ISS, um zu testen, ob sie auch in dieser Umgebung existieren können. „Und selbst wenn sie nicht überleben, erfahren wir vielleicht, was von den Organismen noch übrig ist. Diese Biosignaturen würden zukünftigen Marsexpeditionen bei ihrer Rover gestützen Suche nach Leben außerhalb der Erde helfen, mögliche Lebensspuren zu identifizieren.“
Doch Wagner ist zuversichtlich, dass auf dem Mars tatsächlich irgendwann Leben gefunden wird. Immerhin sei in der Atmosphäre Methan nachgewiesen worden. „Und das kann nur zweierlei heißen: Aktive geologische Prozesse wie Vulkanismus – aber dafür gibt es bisher keinerlei Belege – oder biologische Prozesse. Und dafür spricht viel.“
Als Umwelt-DNA werden die genetischen Rückstände bezeichnet, die Organismen in ihrem Lebensraum hinterlassen. Sie ist quasi überall zu finden: im Wasser, in der Luft und im Boden. Mithilfe von DNA-Untersuchungen entsprechender Proben können Forscher einerseits gezielt nach bestimmten, bekannten Arten suchen. Zum anderen kann die breite Analyse aller DNA-Spuren einer Probe Aufschluss über die vorhandenen Arten und die Artenvielfalt eines Ökosystems geben.
Der Wissenschaftler
Prof. Dr. Dirk Wagner studierte Biologie an der Universität Hamburg. Seit 2012 ist er Leiter der Sektion Geomikrobiologie des GFZ und Professor für Geomikrobiologie und Geobiologie an der Universität Potsdam.
Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum
GFZ
Telegrafenberg
14473 Potsdam
E-Mail: dirk.wagnerugfz-potsdampde
DAS GFZ
Das Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches Geo- ForschungsZentrum (GFZ) erforscht das System Erde. Mehr als 450 Wissenschaftler und knapp 200 Doktoranden untersuchen in der Potsdamer Wissenschaftseinrichtung die Geschichte unseres Planeten, die Prozesse, die in seinem Inneren und auf der Oberfläche ablaufen und die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Geo-, Kryo-, Hydro-, Atmo- und Biosphäre.
www.gfz-potsdam.de
Das pearls – Potsdam Research Network vernetzt die Universität Potsdam und 21 außeruniversitäre
Forschungseinrichtungen am Wissenschaftsstandort Potsdam/Berlin. Schwerpunkte der Vernetzung sind Verbundforschungsprojekte, die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie das gemeinsame Forschungsmarketing für den Standort Potsdam.
www.pearlsofscience.de
Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Marieke Bäumer
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
Diesen und weitere Beiträge zur Forschung an der Universität Potsdam finden Sie im Forschungsmagazin „Portal Wissen“.