Stress macht krank, das ist bekannt. Vor allem Herz-Kreislauf- und psychische Erkrankungen, aber auch Magenbeschwerden und ein geschwächtes Immunsystem gehören zu den Folgen. Schon länger forschen Wissenschaftler daher zu Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten stressbedingter Krankheiten. Ein Team von Forschern der Universität Potsdam und der ETH Zürich geht nun noch einen Schritt weiter: Es untersucht, welchen Einfluss Stress auf Gewebestrukturen im Körper hat – allen voran auf die Knochen.
Mit Stress kennt sich Pia-Maria Wippert aus. Die Professorin für Gesundheitssoziologie ist spezialisiert auf stressbedingte Krankheiten. So geht sie im Projekt „DepReha“ gemeinsam mit dem Sozialund Präventivmediziner Prof. Dr. Michael Rapp der Frage nach, wie sich die Behandlung von Depressionen in verschiedenen Settings – etwa ambulant oder stationär – auf den Erfolg der Therapie auswirkt. Dafür werden Patienten befragt, Blut- und Haarproben entnommen und das Stresslevel bestimmt, das Anhaltpunkte für die passende Therapie liefern soll.
Die für „DepReha“ entstandene Datenbank entwickelte sich indes zum Ausgangspunkt für ein weiteres Vorhaben, das über den bisherigen Forschungshorizont hinausgeht: Es soll helfen zu klären, ob Stress auch Gewebestrukturen im menschlichen Körper beeinträchtigt. „Wenn Sie Orthopäden heute sagen, dass Stress Einfluss auf die Knochen hat, dürften etliche noch immer nur müde lächeln“, sagt die Wissenschaftlerin.
Doch das schreckt Wippert und ihre Partner an der Uni Potsdam, dem Klinikum Ernst von Bergmann, der Charité Berlin sowie der ETH Zürich nicht. Sie wollen mit einer zweistufigen Studie Klarheit schaffen. „Fest steht: Es gibt in der Knochenforschung Modelle dafür, wie sich Knochen im Normalfall entwickeln“, so die Wissenschaftlerin. „Was fehlt, sind Erkenntnisse darüber, wie sie es etwa unter Stress tun – und wie man gegensteuern kann.“ An dieser Stelle wollen Wippert und ihre Kollegen ansetzen. In einem ersten Schritt werten die Schweizer Forscher um Prof. Isabelle Mansuy, Prof. Ralph Müller und Prof. Karin WürtzKozack die Daten von über 100 „gestressten“ oder „normalen“ Mäusen aus. Sie erforschen im Blut und in den Knochen molekularbiologische und epigenetische Unterschiede, die Mikrostruktur und Innervation. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich die Knochenstruktur von Mäusen, die direkt nach der Geburt traumatischem Stress ausgesetzt sind, negativ zu verändern scheint. Und zwar schnell und dauerhaft. In einem zweiten Schritt werden an der Uni Potsdam die Ergebnisse der Tierstudie der Schweizer Kollegen auf den Menschen übertragen. Hier kommt die „DepReha“-Blutdatenbank ins Spiel. „Wir analysieren die Proben mit Blick auf die Knochenmarker, die sich bei den Tieren als relevant erwiesen haben“, erklärt Wippert. Bei einigen Patienten der „DepReha“-Studie, die ein hohes Risikoprofil aufweisen, sollen anschließend noch einmal Knochendichte und -struktur genauer untersucht werden. Denn ein Zusammenhang zwischen Depression und Osteoporose wird schon länger vermutet.
Die ersten Teilstudien verliefen derart vielversprechend, dass nach und nach immer mehr Forschergruppen zu dem Projekt hinzukamen. Für Pia-Maria Wippert ist dies Bestätigung dafür, dass der Schritt ins Unbekannte der richtige war: „Das Schöne ist, dass wir Kooperationen zwischen verschiedenen Grundlagenforschern – am Tiermodell und am Menschen – und auch Gesundheitsversorgern auf den Weg bringen. Ein Ansatz, der gerade für unsere Forschungsinitiative Gesundheitswissenschaften charakteristisch ist.“ Wenn die Forscher den Einfluss von Stress auf Knochen nachweisen können, hätte dies enorme Folgen für die Gesundheitsversorgung, wie Wippert erklärt: „Es ließen sich Screenings ableiten, die vor komplexen Operationen wie einer Wirbelsäulenfusion oder einem Gelenksersatz klären, ob stressbedingte Veränderungen den OP-Erfolg und Schmerzfreiheit gefährden.“ Die Forschung zu den stressbedingten Veränderungen im menschlichen Körper sieht Pia-Maria Wippert erst am Anfang. „Wir machen uns deshalb schon jetzt Gedanken, welche Gewebsstrukturen wir uns als nächstes anschauen und wie wir später den Faktor ‚Training‘ in die Modelle einbringen. Ganz im Sinne von Prävention vor Rehabilitation.“
Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Alina Grünky
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