Nach einem Herzinfarkt oder einer Herzmuskelentzündung ist nichts mehr, wie es war. Betroffene sind oft unsicher: Was geht noch, was nicht? Ein Team von Forschern der Universität Potsdam hat dafür gemeinsam mit Partnern ein telemedizinisches Assistenzsystem entwickelt. Es soll Patienten ermöglichen herauszufinden, welchen Belastungen sie im Alltag und Beruf gewachsen sind – und ihr Herz im richtigen Maß zu trainieren.
Nach Erkrankungen des Herzens absolvieren Betroffene im Normalfall eine Reha. Drei Wochen, in denen sie betreut, überwacht und wieder an ihr normales Leben herangeführt werden. Faktisch ist das aber nicht genug. Die wenigsten wissen nach der Reha, was ihr Herz tatsächlich leisten kann. Die Folge: Während die einen – aus Angst – zu wenig tun, fallen die anderen zurück in alte Gewohnheiten, oft jene, die sie zuvor krank gemacht haben. „Um die Erfolge der Reha zu verstetigen, ist eine längerfristige Therapie nötig“, erklärt Prof. Dr. Heinz Völler. „Zwar werden die meisten Patienten nach der Reha von niedergelassenen Ärzten betreut. Doch für eine wirksame Therapie fehlt es an durchgängig erhobenen Gesundheitsdaten.“ Völler ist Kardiologe, Ärztlicher Direktor der Rehabilitationsklinik für Innere Medizin in Rüdersdorf und Professor für Rehabilitationswissenschaften an der Universität Potsdam. Er hat das Projekt „RehaQuantified“ initiiert, das diese Lücke schließen will. „An Gesundheitsapps und dazugehörigen Wearables mangelt es nicht“, sagt Völler. „Das Problem ist, dass keines davon medizinisch erprobt ist.“
Aus diesem Grund hat er gemeinsam mit Partnern ein sogenanntes sensorbasiertes Assistenzsystem entwickelt, das alle nötigen Daten sammelt, die ein Mediziner braucht, um den Gesundheitszustand seines Trägers zu analysieren. Neben Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz und Bewegungsausmaß gehört dazu – vor allem nach einer kardiologischen Erkrankung – die sogenannte Thoraximpedanz. Damit können Ärzte erkennen, ob sich Wasser in der Lunge sammelt, weil das Herz nicht richtig funktioniert. Die nötigen Sensoren haben die Forscher in einem Bolero, einer Art Jacke, verpackt. Wer ihn anlegt, aktiviert die Sensoren, die fortan messen, aufzeichnen und die Daten an eine Cloud übermitteln. Von dort kann sie etwa ein behandelnder Kardiologe abrufen, auswerten und daraus einen individuelle Therapie ableiten. Ist der Patient für seine alltäglichen Tätigkeiten fit genug, seinem Beruf aber nicht mehr gewachsen? Oder geht es ihm so gut, dass er ohne Probleme sein „altes Leben“ wieder aufnehmen kann? Und lässt sich auch ein geschwächtes Herz in gewisser Weise wieder trainieren? Für Völler sind dies Fragen, die „RehaQuantified“ beantworten kann. „Eine medizinische Beobachtung im Alltag, Beruf und Training kann letztlich zeigen, ob Patienten wieder in ihren Beruf zurückkehren können – oder ob man andere Beschäftigungsfelder für sie finden muss. Auf diese Weise lässt sich möglicherweise verhindern, dass jemand in den Vorruhestand geschickt wird, der noch arbeiten kann – und vielleicht auch möchte.“
Doch das System soll noch viel mehr leisten: Mit den Daten des Patienten und vorab entwickelten Routinen gefüttert, kann die medizinische App unmittelbar Feedback geben, informieren, warnen und anregen. Patienten können dadurch ohne Gang zum Arzt sehen, wann sie zu viel, wann zu wenig tun – und reagieren: medizinisches Self Management. Die Herausforderung für „RehaQuantified“ liegt in der Komplexität des Vorhabens. Von der Sensortechnik bis zur medizinischen Auswertung muss alles zusammenpassen. Mittlerweile sind die ersten Bolero-Prototypen fertiggestellt und an gesunden Probanden getestet. Bis Ende 2017 sollen sie in Modellstudien durch Patienten erprobt werden. Völler ist zuversichtlich, dass das System seinen Test besteht.
„RehaQuantified“- Projektpartner
- Kardiologische Gemeinschaftspraxis am Park Sanssouci (Anforderungsprofile für die Kardiologie)
- getemed (Sensorentwicklung und Signalverarbeitung)
- nova motum (App-Entwicklung und Feedbackgebung)
- Universität Potsdam (Wissenschaftliche Begleitforschung und Evaluation)
- unhofer FOKUS (Therapeutsche Klassifikations- und Bewegungsalgorithmen)
- TU Berlin (Sensorik- und Netzwerkmanagement)
Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Alina Grünky
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
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