Jeder kennt sie, fast alle haben sie: Rückenschmerzen sind die Volkskrankheit Nummer 1. Ein gewaltiges Problem sind sie nicht zuletzt deshalb, weil sie – wenn sie einmal da sind – oft chronisch werden. Mehr als zwei Drittel der Deutschen leiden unter ihnen, zwölf Prozent sogar täglich. Das nationale Forschungsnetzwerk MiSpEx arbeitet seit 2011 daran herauszufinden, wie sich Rückenschmerzen bestmöglich diagnostizieren, behandeln und vorbeugen lassen.
Wir wollten in einem ersten Schritt herausfinden, mit welchen diagnostischen Mitteln sich Rückenschmerzen möglichst genau kennzeichnen lassen“, sagt Prof. Dr. Frank Mayer. „Und zwar nicht nur mit den klassischen bildgebenden Verfahren, sondern mit einer umfangreichen Funktionsdiagnostik unter anderem in Form von Kraft-, Gleichgewichts- und Bewegungsmessungen.“ Mayer ist Professor für Sportmedizin und Sportorthopädie sowie Leiter der Hochschulambulanz der Universität Potsdam – und des MiSpEx-Netzwerks. Und das hat es in sich: Im Netzwerk haben sich Forscher von elf Hochschulen und weiteren Einrichtungen zusammengetan. In drei großen deutschlandweiten und 29 weiteren Teilstudien rücken sie der Volkskrankheit auf verschiedenste Weise auf den Leib. Der ersten Diagnostikstudie mit rund 1.000 Teilnehmern folgte eine zweite sogenannte Interventionsstudie. Mithilfe von rund 750 Probanden sollte die Frage geklärt werden, auf welchem Weg Rückenschmerzen am besten behandelt werden können. „Nach vier Jahren und zwei großen Studien können wir sagen: Die Funktionsdiagnostik funktioniert und das Training auch“, zieht Mayer stolz Bilanz. Das Spannende ist: Was in der Therapie am besten hilft, ist der Störreiz, eine sogenannte Pertubation. „Rückenschmerzen entstehen oft durch Störungen von normalen Bewegungen – eine schnelle Drehung, eine starke Belastung. Wenn wir nun diese Situationen, in denen der Schmerz entsteht, simulieren und dort einen kleinen, dosierten Störreiz setzen, trainiert das den Körper und hilft, Rückenschmerzen zu reduzieren und vorzubeugen“, erklärt der Sportmediziner. Für den abschließenden Nachweis der Wirksamkeit in einer derzeit laufenden multizentrischen Interventionsstudie mit über 1.600 Patienten haben die Forscher ein kurzes, aber effektives Trainingsprogramm entwickelt, dessen Übungen solche kleinen Störungen enthalten: ein wackliger Untergrund beim Einbeinstand, ein Ball, der während einer anstrengenden Stützposition quer zum Körper gerollt werden muss. Die Ergebnisse der Studie geben den Wissenschaftlern recht. Ein Trainingsprogramm aus Übungen, die mobilisieren, koordinieren und stören, hilft. Schon zwei 30-minütige Trainingseinheiten pro Woche bringen spürbare Verbesserungen.
Für die MiSpEx-Partner ist diese Erkenntnis nicht unwichtig. Denn das Projekt ist als Brücke zwischen gesundheitswissenschaftlicher Grundlagenforschung und der Betreuung von Patienten konzipiert. „Die zweite große Säule von MiSpEx ist der Transfer“, so Frank Mayer. Denn die Erkenntnisse der Studien sollen im Spitzen-, Schul- und Breitensport ebenso zum Einsatz kommen wie in der Gesundheitsversorgung. Und das ist keineswegs ein Selbstläufer, wie der Projektleiter sagt: „Wir wissen, mit einer Studie und der Präsentation der Ergebnisse ist es nicht getan. Man muss jeden anders anpacken: Ein niedergelassener Arzt hat keine Zeit, ein langes Trainingsprogramm zu vermitteln, bei einem Olympiastützpunkt ist das anders.“
Aus diesem Grund besitzt MiSpEx bundesweit acht Transferzentren. Diese wiederum haben eigene Netzwerke etabliert – zu Ärzten, Rehazentren, Olympiastützpunkten und Firmen. Mit den Partnern erarbeiten sie jeweils individuelle Formen des Transfers der MiSpExErkenntnisse und passen sie auch fortlaufend an. „Auf diesem Weg können wir die Ergebnisse aktueller Teilstudien schnell in die Regionen und verschiedenen Settings ‚ausrollen‘“, sagt Mayer. „Denn wir haben keine Zeit, alles nacheinander zu machen.“
Dank der Rückmeldungen aus der Praxis konnten noch kleinere Forschungsprojekte auf den Weg gebracht werden. So gelang es den Potsdamer Forschern, in einer Teilstudie nachzuweisen, dass schon zwei anstatt der ursprünglich drei wöchentlichen Trainingseinheiten ausreichen. Wenn MiSpEx 2018 ausläuft, sollen alle Ergebnisse zusammengefasst und in großem Maßstab zum Einsatz kommen.
Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Alina Grünky
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