Lionel Shapiro ist jemand, der viel lächelt. Selbst wenn er über komplizierte philosophische Zusammenhänge spricht. Und das kann er auf Englisch ebenso gut wie auf Deutsch. Nur ein ganz leichter Akzent ist zu hören, wenn der Humboldt-Stipendiat von seinem aktuellen Forschungsthema erzählt: Intentionalität im Werk des amerikanischen Philosophen Wilfrid Sellars. Seit Anfang des Jahres forscht Shapiro dazu am Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der Universität Potsdam.
Shapiro ist Sohn einer Deutschen und eines Amerikaners. Der gebürtige Konstanzer hat in seiner Jugendzeit jedes Jahr drei Monate in Deutschland verbracht, sogar zwei Jahre lang hier die Schule besucht. Seit seinem 16. Lebensjahr war er allerdings nicht mehr länger in Deutschland. „Für mich ist es daher besonders schön, in Deutschland wissenschaftlich arbeiten zu können.“ Seinen Gastgeber Prof. Dr. Johannes Haag hat er auf internationalen Konferenzen kennengelernt. „Wir haben an ähnlichen Themen gearbeitet“, sagt Shapiro.
Am Harvard College in den USA studierte Shapiro zunächst Mathematik. Es folgte ein Doktorstudium in Philosophie an der University of Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania. „Philosophie interessiert mich seit meiner Jugend“, erzählt Shapiro. Und die Mathematik sei dafür eine ausgezeichnete Grundlage. Nach der Promotion war Shapiro an der renommierten Berkeley-Universität tätig, bis er 2005 Professor an der University of Connecticut wurde.
Mit Wilfrid Sellars verbindet Shapiro mindestens eines: die Uni Pittsburgh. Hier lehrte und forschte Sellars von 1963 bis zu seinem Tod 1989. „In Deutschland hat Sellars besonderen Anklang gefunden“, erklärt Shapiro. Sogar mehr als in den USA. „Sellars war ein Philosoph, der alle Teilgebiete der Philosophie zusammenhängend behandelte. In Kontinentaleuropa und besonders in Deutschland ist diese Herangehensweise sehr angesehen.“ Außerdem habe Sellars an seine Vorgänger direkt angeknüpft, von Platon über Kant bis Wittgenstein. Damit steht er gewissermaßen in deutscher Tradition. Denn diese historische Fundierung sei hier weiter verbreitet als in der englischsprachigen Philosophie.
In Potsdam über Sellars Werk zu forschen, ist für Shapiro daher eine glückliche Situation. „Für mich ist der Austausch mit der philosophischen Gemeinschaft in Potsdam sehr ergiebig.“ Wöchentlich finden am Lehrstuhl Kolloquien statt. Außerdem kamen internationale Wissenschaftler zu einer Reihe von Workshops, unter ihnen ein international bekannter Sellars-Experte. „Das war für mich ein Höhepunkt“, erinnert sich Shapiro.
Sein Humboldt-Stipendium nutzt er für die intensive Arbeit an Sellars’ Schriften, aus der mehrere Publikationen hervorgehen sollen. „Wilfrid Sellars war kein guter Schriftsteller“, stellt Shapiro fest und lacht. „Mit einem seiner Sätze kann man gut und gerne eine Stunde zubringen.“ Dazu komme Shapiro in Connecticut während seiner Lehrtätigkeit aber zu selten. In Potsdam nutzt er diese Chance, und das lohnt sich. Denn Sellars habe zwar sehr umständlich geschrieben, am Ende sei es aber umso schöner, seine Schriften aufbereitet zu haben. „Es ist fast wie eine Droge, die süchtig macht.“
Shapiro widmet sich der Bedeutung von Sprache und dem Gehalt von Gedanken bei Sellars. Wie ist das Verhältnis von Sprache und Welt? Repräsentiert Sprache die Dinge in der Welt? Und wie bildet sich das im menschlichen Denken ab – können Sachverhalte überhaupt objektiv gedacht werden? Besonders das „Von-etwas-Handeln“ der Begriffe interessiert Shapiro. Als Beispiel nennt er den physikalischen Begriff der Masse: Wie sollen Menschen erkennen, ob die Theorien Newtons und heutiger Physiker von derselben physikalischen Größe handeln? Dabei untersucht der Forscher aber weniger die Geschichte der Begriffe, also ihre sozialen oder politischen Zusammenhänge im Wandel der Zeit. Als theoretischer Philosoph fragt Shapiro vielmehr nach dem elementaren Verhältnis von Sprache, Welt und Geist. Inzwischen ist der Gast übrigens nach Hause zurückgekehrt. Im Januar 2018 wird er für weitere sieben Monate nach Potsdam kommen.. Dann will er nicht nur an die produktiven Gespräche mit den Potsdamer Kolleginnen und Kollegen anknüpfen, sondern auch den einen oder anderen Gedanken für seine „Schriften in Sanssouci“ verfertigen. „Es gibt wohl kaum eine Uni auf der Welt, wo man vor oder nach einer Veranstaltung gedankenverloren durch einen so wundervollen Park spazieren kann.“
Text: Jana Scholz
Online gestellt: Agnetha Lang
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