Die Erde wird beobachtet, vermessen, fotografiert. Satelliten umkreisen den Planeten in mehreren Hundert bis Tausend Kilometern Höhe und erheben permanent detaillierte Daten über die Beschaffenheit der Erdoberfläche, ihre Feuchte, Wärme oder die Vegetationsdichte. Diese sogenannten Fernerkundungsdaten, die in immer besserer Qualität zur Verfügung stehen, wollen Forscher im EU-Projekt „Ecopotential“ nutzen, um Schutzgebiete in Europa besser beobachten und managen zu können – vom Wattenmeer bis zur Sierra Nevada.
Die Negev-Wüste in Israel ist ein unwirtlicher Ort. Nur spezielle Pflanzen und Tiere können hier überleben. Und dennoch: Das Gebiet ist von großem ökologischen Wert, weite Flächen davon werden im Naturreservat Ha HarNegev geschützt. Seltene Tiere wie der Arabische Leopard, Steinböcke, Wildesel oder die Edmigazelle leben hier. Forscher der Universität Potsdam nehmen die Wüste genauer unter die Lupe – mithilfe von Satellitenbildern und Computermodellen.
Das karge Ökosystem ist eines von insgesamt 23 zumeist europäischen Schutzgebieten, die im EU-H2020-Projekt „Ecopotential“ genauer untersucht werden. Hunderte Wissenschaftler aus 47 Einrichtungen sind an dem Großprojekt beteiligt. Das zentrale Ziel ist es, mithilfe der Fernerkundungsdaten das Management von Schutzgebieten zu verbessern. Dabei geht es um marine und alpine Lebensräume, um Wälder, Wüsten, Steppen und Küsten. So gehören zu den untersuchten Gebieten etwa das Wattenmeer, der Bayerische Wald oder die Sierra Nevada.
Fernerkundungsdaten liefern eine Fülle von detaillierten Informationen
Die Forscher interessieren sich zum einen für den Status quo der Naturschutzgebiete. Zum anderen wollen sie beobachten, wie sich diese im Laufe der Zeit entwickeln. Welche Schäden hat ein Feuer hinterlassen? Wie hat sich der Baumbestand in den vergangenen zehn Jahren verändert? An welchen Küstenabschnitten treten Algenblüten auf? Lassen sich Trends beobachten? Die Antworten auf all diese Fragen können Fernerkundungsdaten liefern – und zwar großflächig und räumlich immer höher aufgelöst. Seit 2014 starteten fünf neue europäische Satellitenmissionen der Sentinel-Serie. Mithilfe von spektral hochaufgelösten Sensoren sowie Radar beobachten sie die Landoberfläche, die Atmosphäre und den Ozean.
Seit wenigen Jahren kann jeder auf von den Satelliten erhobene Fernerkundungsdaten zugreifen. Nahezu in Echtzeit gehen viele dieser Daten zum Beispiel über das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus online. Zusätzlich stehen auch die Archive historischer Satellitenbilder der LANDSAT-Serie seit 2008 zur freien Verfügung. Der Nachteil: „Die meisten Menschen können damit nichts anfangen“, erklärt Juniorprofessorin Ariane Walz, die die Potsdamer Forschungsgruppe leitet. Um etwa aus ihnen lesen zu können, wie sich die Vegetation eines Schutzgebietes verändert, müssen sie erst umgerechnet und übersetzt werden. Eine Aufgabe, die zahlreiche Zwischenschritte, Anpassungen und viel Sorgfalt erfordert und teilweise über Computermodelle funktioniert. Da die Sensoren auch Bilder jenseits des sichtbaren Wellenbereichs, etwa im Infrarotbereich, aufnehmen, gehen die Informationen weit über das hinaus, was das menschliche Auge erfassen kann.
Das Potenzial der Daten für das Management von Schutzgebieten ist enorm. „Sie eignen sich sehr gut dafür, Monitoring zu betreiben. Sie ermöglichen es zu sehen, was sich verändert, wie schnell es sich ändert und ob es den Schutzzielen entspricht oder diesen widerspricht“, erklärt Ariane Walz. Im italienischen Nationalpark Gran Paradiso beispielsweise stehen die Forscher dank der Fernerkundungsdaten möglicherweise kurz vor der Lösung eines drängenden Problems. Die dort lebende Steinbockpopulation plagt ein mysteriöses Jungtiersterben, dessen Ursache unklar ist. Eine mögliche Spur liefert die Auswertung der Satellitenbilder: „Sie erlauben es, den Eiweißgehalt der dort wachsenden Gräser abzuschätzen“, erklärt Ariane Walz. Die Artenzusammensetzung der alpinen Matten hat sich demnach verschoben – zu Ungunsten der Tiere, die nicht mehr ausreichend mit wichtigen Nährstoffen versorgt werden.
Das Potsdamer Team untersucht die Vegetation der Negev-Wüste
Das Beispiel zeigt, welche detaillierten Analysen inzwischen möglich sind. Besonders großen Nutzen ziehen die Wissenschaftler aus der Kombination der Fernerkundungsdaten mit anderen Daten, die seit Jahren und Jahrzehnten vor Ort erhoben werden. Welche Arten und wie viele Individuen leben in den Gebieten? Wie viel Biomasse beherbergt ein Quadratmeter eines alpinen Rasens? Wie haben sich Lebensgemeinschaften in den vergangenen Jahren entwickelt? Die Ergebnisse der jahrelangen Feldforschung entpuppen sich als Schlüssel zu den Satellitendaten, mit dem die Forscher diese noch genauer interpretieren können. Zudem wollen die Wissenschaftler ermitteln, welchen Informationswert die Fernerkundungsdaten der LANDSAT-Serien besitzen, die seit den 1980er-Jahren erhoben werden und damit aussagekräftige Zeitreihen bilden.
Im Mittelpunkt der Potsdamer Forschungsarbeiten steht die Negev-Wüste in Israel. Mit Computermodellen simuliert das Team um Ariane Walz, wie sich dort etwa die Vegetation über die Jahre entwickelt. Dazu nutzen die Wissenschaftler Fernerkundungsdaten, die die Beschaffenheit der Vegetation an der Erdoberfläche abbilden. Israelische Forschungspartner untersuchen zudem, wie sich die Siedlungsstrukturen verändern. Denn das Gebiet wird auch von Siedlern und Beduinen genutzt, die Weinbau und Weidewirtschaft betreiben und damit teilweise großen Druck auf die empfindliche Trockengebietsvegetation ausüben.
Besonders aufmerksam verfolgen die Wissenschaftler in ihren Modellen, auf welche Weise sich Extremereignisse wie Starkniederschläge oder lange Dürren auf den Lebensraum auswirken. Denn diese werden sich im Zuge des Klimawandels häufen. Mit dem Modell, das mit aktuellen Fernerkundungsdaten validiert wird, wird es möglich sein, in verschiedenen Szenarien das Pflanzenwachstum in der Negev-Wüste für die kommenden Jahrzehnte abzuschätzen – und daraus Schutzmaßnahmen abzuleiten.
Forscher und Naturschutzbehörden arbeiten eng zusammen
Dass sich das Klima in der Negev-Wüste und mit ihm die Pflanzengemeinschaft verändern wird, scheint sicher. Unklar ist jedoch, welche Arten davon profitieren und welche verdrängt werden. Derzeit wird die Vegetation von Gräsern dominiert, daneben gibt es angepasste Sträucher und Büsche. „Wir erwarten längere Trockenperioden und Niederschläge, die häufig als Starkregen oberflächlich abfließen“, beschreibt Ariane Walz die mögliche Entwicklung. In den Simulationen deutet sich an, dass das Gebiet verbuschen könnte. Eine Entwicklung, die die Schutzgebietsmanager vermeiden wollen. Denn schwindet das Gras, erodiert der Boden schneller und Weide- wie Wildtiere hungern.
In vielen der untersuchten Schutzgebiete arbeiten Forscher, Ranger und Naturschutzbehörden eng zusammen. Am Ende sollen diese mithilfe der Instrumente und Werkzeuge, die ihnen die Wissenschaftler zur Verfügung stellen, die Fernerkundungsdaten selbst analysieren und nutzen können. Denn mit einem Blick auf die Daten gelangen sie schneller und einfacher an wichtige Informationen – und erhalten Einblicke auch in Gebiete, die nicht oder nur sehr schwer zugänglich sind. Lehrprogramme, Fortbildungen und Workshops stellen sicher, dass dieser Wissenstransfer langfristig wirkt. Gelingt das Vorhaben, trägt „Ecopotential“ entscheidend dazu bei, dass das Potenzial der Daten in der Praxis tatsächlich ankommt.
Lange waren hochauflösende Fernerkundungsdaten lediglich ein Instrument der Wissenschaft. Der Aufwand, sie so aufzubereiten, dass die Erkenntnisse, die sie bieten, für jeden sichtbar werden, war bisher einfach zu groß. Das ändert sich nun grundlegend. „Wenn es gestern einen Waldbrand gab, kann ich mir bereits heute anschauen, welche Fläche betroffen ist“, verdeutlicht Ariane Walz. Die Wissenschaftlerin kennt jedoch auch die Grenzen der Methode: „Ob meine Vegetation höchst vital erscheint, weil gerade die Mistel blüht oder die Birke austreibt, kann ich aus dem All nicht erkennen.“ Doch selbst wenn die Daten aus dem Weltraum das Feldmonitoring nicht ersetzen, können sie es stark unterstützen und größere Lücken schließen.
Die Wissenschaftlerin
Jun.-Prof. Dr. Ariane Walz studierte Geografie, Geologie, Physik und Sozialwissenschaften an der Universität Würzburg und der University of Wales (UK). Seit 2012 ist sie Juniorprofessorin für Landschaftsmanagement an der Universität Potsdam.
Universität Potsdam
Institut für Erd- und Umweltwissenschaften
Karl-Liebknecht-Str. 24–25
14476 Potsdam
E-Mail: ariane.walzuuni-potsdampde
Das Projekt
Ecopotential ist ein Horizon 2020-Projekt, das Ökosysteme und deren Funktionen über Fernerkundungsdaten analysiert.
Förderung: Europäische Union
Laufzeit: 2015–2019
Beteiligt: 47 europäische wissenschaftliche Einrichtungen, Federführung: National Research Council of Italy (CNR)
www.ecopotential-project.eu
Die hier vorgestellte Forschung ist verbunden mit der Forschungsinitiative NEXUS: Earth Surface Dynamics, die unterschiedlichste wissenschaftliche Aktivitäten der Region Berlin-Brandenburg aus dem Themenfeld Dynamik der Erdoberfläche bündelt. Die Universität Potsdam (UP), gemeinsam mit ihren Partnern des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), des Alfred-Wegener-Instituts für Polar und Meeresforschung (AWI) sowie mit Partnern des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), des Naturkundemuseums Berlin (MfN) und der Technischen Universität Berlin (TUB) verbindet hierzu die herausragende Expertise in den Geo-, Bio, Klima- und Datenwissenschaften.
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Marieke Bäumer
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
Diesen und weitere Beiträge zur Forschung an der Universität Potsdam finden Sie im Forschungsmagazin Portal Wissen.