Ostafrika ist die „Wiege der Menschheit“. Dort lebten unsere Vorfahren und breiteten sich von da aus vor rund 60 000 Jahren über die gesamte Welt aus. Im Ostafrikanischen Graben suchen Geowissenschaftler nach den Schlüsselmomenten der menschlichen Evolution und erforschen, welche Rolle klimatische Änderungen dabei spielten.
Es klingt nach Abenteuer und Nervenkitzel, ein wenig auch nach Landschaftsromantik: Im Jahr 2014 wird ein Forschercamp in der Wildnis des Ostafrikanischen Grabens aufgebaut, inmitten einer ausgetrockneten Salzpfanne – dem Chew Bahir-Becken in Südäthiopien. Darin arbeiten Wissenschaftler mehrere Wochen an einem geologischen Großprojekt: Sie bohren 280 Meter tief in die Erde und heben zwei Bohrkerne, die tiefe Einblicke in die Erdgeschichte gewähren. In der Realität ist diese Arbeit vor allem eines: anstrengend. „Es ist brüllend heiß, es gibt keinen Schatten, es wird Tag und Nacht in Schichten gearbeitet und nachts muss man sich trotz der Hitze mit dicker Kleidung vor Milliarden von Stechmücken schützen.“ Martin Trauth, Professor für Paläoklimadynamik, weiß, wovon er spricht. Er hat viele Projekte in Ostafrika und Südamerika begleitet – auch wenn er 2014 nicht selbst vor Ort war, sondern das Projekt aus der Ferne koordinierte, da er gerade Vater geworden war.
Die Feldarbeiten in Afrika bargen indes weitere Überraschungen und Schwierigkeiten – wie plötzlich auftretende Überschwemmungen, allerlei giftige Tiere und die Evakuierung des Camps wegen Stammeskonflikten. Und es gab Hürden auf ganz anderer Ebene. „Die Verwaltung der Universität ist nicht in allen Teilen darauf vorbereitet, internationale Projekte dieser Dimension und Komplexität zu begleiten“, erklärt Trauth. So dauerte es ein ganzes Jahr, ehe die Forschungsgelder zur Finanzierung der Bohrung in Äthiopien durch die Verwaltung freigegeben wurden.
Die beiden parallelen Bohrkerne, welche die Geowissenschaftler vor drei Jahren bargen, lagern heute gut gekühlt in einem Labor in den USA. Sie gehören zu einer Sammlung von Bohrkernen, die im „Hominin Sites and Paleolakes Drilling Project“ gewonnen wurden. 120 Wissenschaftler aus der ganzen Welt – Paläoanthropologen, Geochronologen, Geologen und Biologen – sind daran beteiligt. Die Forscher gehen zurück in die „Wiege der Menschheit“, um zu untersuchen, wie sich unsere Vorfahren an Veränderungen in ihrer Umwelt anpassten. Mit den Daten, die die Forscher aus den Bohrkernen gewinnen, können sie rekonstruieren, wie sich das Klima im Laufe der Zeit gewandelt hat. Sie sehen, wann es zu Dürren, feuchten Phasen oder Überschwemmungen kam, wie sich die Vegetation und damit die Nahrungsgrundlage der Urzeitmenschen entwickelte. Und zwar lückenlos. Die Wissenschaftler hoffen, damit neue Erkenntnisse über die Evolution der Menschheit zu gewinnen.
Homo sapiens überlebte als einzige Menschenart
Die Geschichte des umgangssprachlich „Nussknacker-Mensch“ genannten Menschenaffen ist dafür beispielhaft. Eine Schädelnachbildung dieses engen Verwandten unserer Vorfahren liegt auf dem Schreibtisch von Martin Trauth. Paranthropus boisei lautet der wissenschaftliche Name des nur 1,30 Meter großen fossilen Hominiden, der eigentlich nicht Mensch, kein Vertreter unserer Gattung Homo war. Er lebte vor etwa zwei Millionen Jahren in Ostafrika, starb vor rund einer Million Jahren jedoch aus. „Wir wissen nicht genau, warum“, erklärt Martin Trauth, „aber der Grund könnte durchaus eine Verschlechterung des Klimas gewesen sein.“ Seinen Namen verdankt der Menschenaffe seinen kräftig gebauten Kiefern und Kaumuskeln. „Er hatte seinen eigenen, fest eingebauten Werkzeugkasten immer dabei“, sagt Trauth augenzwinkernd. Anders als der Name erwarten lässt, aß Paranthropus boisei jedoch keine Nüsse, sondern war auf Gräser und Grassamen spezialisiert. Möglicherweise hat die Klimaänderung dazu geführt, dass die Nahrungsgrundlage der Spezies verschwand.
Zur gleichen Zeit lebte jedoch auch eine andere Menschenaffen-Gattung in der Region: Homo. Und diese überstand die Umweltveränderungen. Denn unsere direkten Vorfahren benutzten Werkzeuge wie etwa den Faustkeil und konnten sich mit diesen – anders als die Nussknacker-Menschen – offenbar rasch anpassen. Waren klimatische Änderungen die Auslöser für Meilensteine in der menschlichen Evolution? Und warum überlebte Homo sapiens schließlich als einzige der bisher entdeckten zehn Menschenspezies?
Bis zu drei Millionen Jahre in die Vergangenheit blicken
Um das herauszufinden, werden die Bohrkerne mit großem Aufwand untersucht. In speziellen Laboren in den USA, Frankreich, Großbritannien, Äthiopien, Kenia und Deutschland extrahieren Wissenschaftler verschiedenste Substanzen – Reste von Algen, Muscheln, Rädertierchen, Pollen, Vulkanasche oder Mineralien. Sie vermessen die Dicke der unterschiedlichen Sedimentschichten und ihre physikalischen Eigenschaften, datieren ihr Alter, ermitteln chemische Schlüsselelemente und entnehmen Tausende Proben für zahlreiche weitere Analysen. „Kerne schlachten“ nennt Martin Trauth das Prozedere, bei dem der Bohrkern längs aufgeschnitten und anschließend Proben für die unterschiedlichen Untersuchungen genommen werden. Eine Hälfte beproben die Forscher, die andere wird archiviert. Auf dem Schreibtisch von Martin Trauth landen schließlich Unmengen von Daten, die er statistisch aufbereitet. Der Forscher ist Spezialist für Zeitreihenanalysen, sucht nach Typen von Klimaübergängen, die sich auf die Evolution des Menschen auswirkten, während andere wirkungslos blieben.
Die ältesten Schichten des Kerns aus dem Chew Bahir-Becken sind etwa 550.000 Jahre alt. Die Kerne aus anderen Bohrungen stammen sogar aus Schichten, die drei Millionen Jahre alt sind. Den Homo sapiens gibt es seit rund 200.000 Jahren. Damit besitzen die Forscher eine umfangreiche Datengrundlage, die die Umwelt des modernen Menschen komplett abdeckt und bis zu seinen direkten Vorfahren reicht – ein Archiv, dessen Wert nicht abzuschätzen ist. Das Projekt ist ambitioniert und soll die Ergebnisse der zahlreichen Einzeluntersuchungen schließlich zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Es dürfte noch zehn, vielleicht 15 Jahre dauern, bis alle Proben analysiert und die Daten ausgewertet sind, glaubt Martin Trauth. Sie werden aber ganz sicher wichtige Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Umweltveränderungen und der Menschheitsentwicklung liefern.
Das Projekt
Das „Hominin Sites and Paleolakes Drilling Project“ (HSPDP), geleitet von Prof. Andrew Cohen von der University of Arizona, gemeinsam mit 19 Hauptantragstellern, darunter Martin Trauth, untersucht die menschliche Evolution unter dem Aspekt von Umweltveränderungen und Klimaeinflüssen. Das „Chew Bahir Drilling Project“ ist ein Teilprojekt des HSPDP unter der Leitung von apl. Prof. Martin H. Trauth (Universität Potsdam), Prof. Frank Schäbitz (Universität Köln), Prof. Henry Lamb (Aberystwyth University, UK) und Prof. Asfawossen Asrat (Addis Ababa University, Äethiopien).
Beteiligt: 120 Wissenschaftler aus der ganzen Welt
Förderung: U.S. National Science Foundation (NSF), International Continental Scientific Drilling Program (ICDP), Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), National Environmental Research Council (NERC)
Der Wissenschaftler
Apl. Prof. Dr. Martin Trauth studierte Geophysik und Geologie an der Universität Karlsruhe. Seit 2011 ist er apl. Professor für Paläoklimadynamik an der Universität Potsdam und erforscht Klimaveränderungen mittels statistischer Methoden.
Universität Potsdam
Institut für Erd- und Umweltwissenschaften
Karl-Liebknecht-Str. 24–25
14476 Potsdam
E-Mail: trauthugeo.uni-potsdampde
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Daniela Großmann
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
Diesen und weitere Beiträge zur Forschung an der Universität Potsdam finden Sie im Forschungsmagazin Portal Wissen.