Sie sind gesund und eiweißreich und als Nahrungsmittel in Ländern Asiens und Südamerikas weit verbreitet. Grillen, Mehlwürmer und Heuschrecken bereichern den Speiseplan von rund zwei Milliarden Menschen und bilden eine nachhaltige Alternative zu Fleisch. Denn die Produktion einer Insektenmahlzeit verbraucht nur einen Bruchteil der Ressourcen, die etwa für ein Rindersteak oder ein Schweinefilet benötigt werden. Doch trotz aller guten Argumente dürfte noch viel Zeit verstreichen, bis der Insektensnack auch in Europa zur Normalität wird. Schneller geht dies möglicherweise über Tiernahrung – mit einem Hundesnack auf Mehlwurmbasis.
Auf den ersten Blick sieht man sie nicht. Nur hin und wieder bewegt sich etwas im weißen Mehl, zwischen den Mohrrüben- und Apfelscheiben. Vorsichtig streicht Ina Henkel etwas Mehl in der flachen Plastewanne beiseite. Blassgelbe Würmer schlängeln sich darin. Die Ernährungswissenschaftlerin deutet auf weitere Plastebehälter, die sich in den Regalen des kleinen Raums aneinanderreihen – auch sie enthalten Mehlwürmer. In einigen Wannen sind die Würmer nur wenige Millimeter groß, in anderen fast drei Zentimeter. „Hier sind die ausgewachsenen Tiere“, sagt die Forscherin und zeigt auf braun-schwarze Käfer, die durchs gemahlene Getreide krabbeln. „Sie können nicht fliegen“, beruhigt Henkel. Etwa 500 Eier legt ein Mehlkäferweibchen ab – und sorgt somit für die nächste Mehlwurmgeneration.
Der Mehlwurmsnack ist gesund und nachhaltig produziert
Für Ina Henkel bildet diese Mehlwurmzucht, die sie gemeinsam mit zwei Kolleginnen auf dem Gelände des Instituts für Getreideverarbeitung in Nuthetal betreibt, die Grundlage einer Geschäftsidee. Die Gründerinnen entwickeln einen Hundesnack auf Mehlwurmbasis, der nicht nur gesund für die Vierbeiner sein soll, sondern auch nachhaltig produziert wird. Mit ihrem Start-up „TeneTRIO“ wollen die drei Frauen in diesem Jahr eine Nische im boomenden Markt für Tiernahrung besetzen. Und nebenbei das Fundament für eine Nutzung von Insekten als Quelle wertvollen Eiweißes legen.
Am Anfang steht ein Tier, das nicht unbedingt als Sympathieträger gilt. Zwölf Wochen nach dem Schlupf aus dem Ei ist es soweit. Die großen Mehlwürmer, die kurz vor der Verpuppung stehen, werden geerntet und weiterverarbeitet. Dazu mischen die Unternehmerinnen die zermahlenen Würmer mit Reismehl. Im Extruder entsteht aus dem Gemisch unter Hochdruck und Hitze ein Produkt, dem man nicht ansieht, dass es Insekten enthält.
„Natürlich, gesund, nachhaltig, lecker“, steht auf der braunen Tüte, aus der Ina Henkel einige der kleinen knusprigen Hunde-Leckerlis hervorholt. Ein wenig erinnern sie an Erdnussflips. „Das Besondere ist, dass unsere Snacks nur aus zwei Komponenten bestehen: zermahlenen Mehlwürmern und Reismehl“, erklärt die Wissenschaftlerin. Auf Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker oder Konservierungsmittel verzichten die Unternehmerinnen. Hundebesitzer sollen ihre Zöglinge schließlich ohne schlechtes Gewissen naschen lassen können. Als „nussig und herzhaft“ beschreibt Ina Henkel den Mehlwurmgeschmack. Um diesen noch zu optimieren, testen die Forscherinnen verschiedene Mehlmischungen, die die Grundlage der Zucht bilden. Ein mit Dinkelmehl ernährter Wurm schmecke anders als einer, der lediglich Weizenmehl gefressen habe. „Wir haben eine spezielle Mischung“, verrät die Forscherin. Und die kommt offenbar an, wie die Gründerinnen bei ersten „Verkostungen“ in Hundeschulen feststellten.
Dass der Mehlwurmsnack gesund ist – davon ist Ina Henkel auch als Ernährungswissenschaftlerin überzeugt: Die Tiere besäßen einen höheren Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren als Fisch, enthielten mehr Biotin und Magnesium als Spinat und hätten eine Eiweißqualität, die vergleichbar mit der von Rindfleisch sei. Darüber hinaus sind sie sehr energiereich: 100 Gramm Mehlkäferlarven decken ein Viertel des täglichen Energiebedarfs des Menschen.
Insekten als Nahrungsmittel – eine Frage der Gewöhnung
Tatsächlich sprechen nicht allein Gesundheitsaspekte für das Insekt. „Um ein Kilogramm Mehlwurm zu produzieren, werden nur wenige Liter Wasser benötigt, für ein Kilo Rindfleisch sind es 15.400 Liter.“ Auch andere Vergleiche im Ressourcenverbrauch fallen stets zugunsten des Wurms aus: Der Flächenverbrauch pro Kilogramm Produkt beträgt beim Mehlwurm lediglich 15 Quadratmeter, beim Rind sind es 200. „Der Unterschied ist drastisch“, betont die Wissenschaftlerin. Und es geht weiter: Um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren, verfüttern Landwirte zehn Kilogramm Getreide. Der Mehlwurm kommt mit zwei Kilogramm aus. Dass er zudem komplett verwertet werden kann, ist ein weiterer Pluspunkt in der Ökobilanz: Beim Rind etwa sind nur 40 Prozent des Körpers für den Verzehr geeignet. Kurzum – der Wurm ist die nachhaltige Alternative zu Fleisch.
Das gelte auch für die menschliche Ernährung. Insektenmehl in Burgern oder Müsliriegeln – das sei eine Vision, die sich möglicherweise in naher Zukunft auch in Deutschland umsetzen lasse. Immerhin 80 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage scheinen der Idee gegenüber aufgeschlossen zu sein, Insekten als Eiweißquelle zu nutzen – vorausgesetzt, die Krabbeltiere sind als solche in der Nahrung nicht mehr erkennbar. Doch hierzulande sind verarbeitete Insekten in menschlichen Nahrungsmitteln verboten, solange sie kein aufwendiges – und teures – Zulassungsverfahren durchlaufen haben. „Die Novel-Food-Verordnung untersagt dies“, erklärt Ina Henkel. In absehbarer Zeit wird sich dies jedoch ändern. In Belgien und den Niederlanden werden die Regeln bereits heute weniger streng ausgelegt. Dort stehen Nudeln mit Insektenmehl schon in den Supermarktregalen. 2018 werden die Regularien europaweit erneuert. Für Insekten als Nahrungsmittelbestandteil dürfte es dann grünes Licht geben, schätzt Ina Henkel.
Doch bis dahin muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. „Der Ekelfaktor ist nicht zu unterschätzen“, räumt die Wissenschaftlerin ein. Kulturell sei es hier einfach nicht verankert, dass Insekten nicht nur eine gesunde, sondern auch leckere Zutat sind. Und auch das Bewusstsein dafür, dass der steigende Fleischkonsum massive Umweltschäden verursacht, sei in der Öffentlichkeit noch zu wenig präsent. „20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche werden allein für die Futtermittelproduktion im Heimtierbedarf verbraucht“, verdeutlicht Henkel.
Insekten auf dem Teller? Keine Frage – die Vorstellung ist gewöhnungsbedürftig. „Mein erstes Insektenessen hat schon Überwindung gekostet“, gibt auch Ina Henkel zu. Doch inzwischen ist es für sie längst keine Besonderheit mehr, Insekten in der eigenen Küche zu verwenden. Und für ihre Familie auch nicht. „Das erste, was meine Tochter aus der Quiche herauspickt und sich in den Mund steckt, sind die Mehlwürmer“, sagt sie lachend.
TeneTRIO ist ein Start-up in der Vorgründungsphase, das einen Hundesnack entwickelte, der Mehlwürmer als Proteinquelle enthält. Die Insekten weisen einen hohen Nährstoffgehalt auf und verbrauchen in der Zucht nur ein Minimum der Ressourcen, die für die gleiche Menge Fleisch benötigt würden. Dadurch stellt das Produkt TenePops eine gesunde und nachhaltige Alternative zu gängigen Snacks dar. TeneTRIO deckt die vollständige Wertschöpfungskette von der regionalen Zucht der Mehlwürmer über die Verarbeitung und Produktion bis hin zur Vermarktung und dem Verkauf des Endprodukts ab.
Die Wissenschaftlerin
Dr. Ina Henkel studierte Ernährungswissenschaft an der Universität Potsdam und promovierte 2013. Im Jahr 2017 gründet sie das Start-up „TeneTRIO“, das Hundesnacks auf Mehlwurmbasis vermarktet.
Universität Potsdam
Institut für Ernährungswissenschaft
Arthur-Scheunert-Allee 114–116
14558 Nuthetal
ina.henkelutenetriopde
Die Universität bietet zur Qualifizierung ihrer Startups ein Accelerator-Programm, um die Teams optimal auf eine Gründung vorzubereiten. Nach ersten Beratungsschritten und einem dreitägigen Intensivworkshop können die Teams entsprechend ihrer individuellen Voraussetzungen weiter geschult werden. TeneTRIO ließ sich deshalb in den Bereichen Geschäftsmodellentwicklung, Wettbewerbsanalyse, Teamentwicklung und Arbeitsteilung coachen. Das hohe Niveau der Qualifizierungsmaßnahmen zeigt der erfolgreiche EXIST-Gründerstipendium-Antrag des Teams. TeneTRIO erhält nun ein Jahr lang die Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie für sein innovatives Gründungsvorhaben. www.potsdam-transfer.de
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Daniela Großmann
Kontakt zur Onlineredaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde