Gestern Abend haben wir gemolken. Heute nun wollen wir selbst Käse herstellen. Wir laufen talwärts zu Nadir nach RIVA. Über der darüber gelegenen Alpe La Res fällt uns ein Helikopter auf, der schon den ganzen Morgen im Einsatz ist. Wir beobachten, wie er Material und Dachplatten zum Hausbau transportiert. Angekommen bei Nadir, empfängt er uns in seinem extra für uns aufgeräumten Wohnraum und hat bereits zehn Liter Ziegenmilch abgemolken. Nadir ist 47 Jahre alt und hat erst mit 30 Jahren den Beruf des Hirten erlernt. Angefangen hat er mit zwei Ziegen, die er von Constantino geschenkt bekam. Von ihm hat er auch das Know how gelernt. Früher war er Maurer und lebte in Varallo. Er liebt seine Tiere über alles. Und auch wenn die Arbeit nicht leicht ist und das Geld knapp, kann er sich ein Leben in der Stadt nicht mehr vorstellen. Nadir lässt uns einen speziellen Ruf hören, dem nur seine Ziegen folgen, denn jeder Hirte hat seinen eigenen Ruf.
Nach dem Interwiew mit ihm geht es ans Käsemachen. Wir erhitzen und rühren die Milch, bis sie ausflockt. Dann wird der gerinnende Käse in die Käseformen gefüllt. Immer wieder muss der Ziegenkäse ausgepresst und in der Form gedreht werden. Wir schaffen zwei kleine Ziegenkäse.
Auf dem Rückweg nach Rimella müssen wir uns beeilen. Um 12.30 Uhr wartet schon der Flexibus auf uns, der uns nach Varallo ins Tal fährt. In Varallo angekommen machen wir uns auf den Weg und erklimmen den Sacro Monte, den heiligen Berg auf 608 m Höhe, der seit über 500 Jahren Pilger und Kunstkenner anzieht. Oben angekommen, genießen wir die Aussicht auf die Stadt Varallo. Wir sind verblüfft von der Schönheit und Vielfalt dieser Region, die besondere historische Kunstschätze zu bieten hat. Im 15. Jahrhundert war die Bergregion ein Brennpunkt europäischer Geschichte. 1491 veranlasste der Franziskaner Bernardino Caimi den Bau von Andachtsstätten. Bei einer Führung erfahren wir, dass die 44 errichteten Kapellen mit über 800 lebensgroßen, ausdrucksstarken Figuren die Leidensgeschichte Christi abbilden. Der Wallfahrtsort ist als exakter Nachbau des heiligen Jerusalem angelegt. Durch die bis ins Detail nachempfundenen räumlichen Abstände konnten die Pilger auf dem Weg von Kapelle zu Kapelle die religiöse Wahrheit nachempfinden und sich als Gläubige in die biblischen Figuren hineinversetzen. Ganz nach dem Prinzip der Laienfrömmigkeit und ritualisierter Bewegungsabläufe sollten die Pilger selbst ihren Zugang zum Glauben finden und mit direkter emotionaler Beteiligung den Passionsweg Christi nacherleben können. Wir laufen von Kapelle zu Kapelle und Luisa erklärt uns die einzelnen Szenen. Zum Abschluss besichtigen wir die Pilgerkirche Santa Maria delle Grazie mit ihren einzigartigen Fresken. In der Gruft befinden sich zahlreiche alte, aber auch ganz neue Votivtafeln, die dokumentieren, wie lebendig hier der Glauben ist. Am Abend fahren wir wieder nach Rimella.
Text: Fleur-Christine Schröder
Online gestellt: Agnetha Lang
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
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