2019 jährt sich der Geburtstag Theodor Fontanes zum 200. Mal. Schon jetzt sind allerorten Kenner, Verehrer und Aus-Kenner dabei, das Jubiläum vorzubereiten – und es mehr werden zu lassen als einen Erinnerungsmarathon. Ein früher Blick hinter die Kulissen.
Die Universität Potsdam und das Fontane-Archiv im Festjahr
„Mit der Villa Quandt sind wir in Potsdam als Ort sichtbar“, sagt Dr. Hanna Delf von Wolzogen, Leiterin des Theodor-Fontane-Archivs. Das Kulturprogramm im Kaminzimmer der Villa Quandt in der Nauener Vorstadt umfasst literarische Lesungen und wissenschaftliche Vorträge über Fontane und seine Zeit, bei denen Fontane von einer ausdrucksstarken Kreidezeichnung über dem Kamin auf sein Publikum blickt. So war das Fontane- Archiv an der Jubiläumswoche der Universität im Juni 2016 mit einem Vortrag über die Briefe George Fontanes an die Schriftstellerin Ludovica Hesekiel vertreten. Der eher unbekannte, älteste Sohn Fontanes verstarb relativ jung; wie bereits sein Vater Theodor stand auch er im Briefkontakt mit Hesekiel. Die Fontane-Forscherin Dr. Heide Streiter-Busch hat die von ihr neu aufgefundenen Briefe ediert. Mit seinem Veranstaltungsprogramm richtet sich das Archiv vor allem an die städtische Öffentlichkeit, es würde jedoch gern mehr von seinen Schätzen zeigen und möchte die Villa Quandt im Jubiläumsjahr im Fontane-Gewand zeigen.
Seit 2014 gehört das Fontane-Archiv zur Philosophischen Fakultät der Universität. Gemeinsam werden sie die Gestaltung des wissenschaftlichen Programms für das Fontane-Jahr übernehmen. Ein Kreis aus Germanisten und Historikern plant, an der Fakultät eine Forschungsinitiative zu Fontane einzurichten, die an einem größeren Verbundprojekt arbeitet: „Damit soll das Fontane-Jahr auch einen Anlass bieten, wichtige, über das Jubiläumsjahr hinausweisende Fontane-Forschungsdesiderata nun gebündelt anzugehen“, erklärt der Dekan Prof. Dr. Thomas Brechenmacher. „Das Großprojekt selbst soll dann 2019 mit ersten Inhalten an die Öffentlichkeit gehen und durch diverse wissenschaftliche Formate flankiert werden – unter anderem mit Tagungen, einer Ringvorlesung und neuen Lehr-, Präsentations- und Diskussionsformaten.“
Das Fontane-Archiv fragt nach Fontane und den Medien
So wird sich eine wissenschaftliche Konferenz mit dem Thema „Fontane / Medien“ aus interdisziplinärer Sicht befassen. Dies meint etwa die vielfältigen Medien, die er selbst als Autor nutzte. „Fontane hat vor allem journalistisch gearbeitet“, sagt von Wolzogen. „Er beobachtete seit 1848 die Entwicklung des Mediums Zeitung sehr genau.“ Als Theater- und Literaturkritiker veröffentlichte er sowohl in konservativen als auch in liberalen Zeitungen und sprach dabei ein ganz unterschiedliches Publikum an. „Fontane war unter seinen Kollegen einer derjenigen, die bewusst mit den Medien umgingen. Das Schreiben musste ihn ernähren, er schrieb für den literarischen Markt“, so die Germanistin. Zudem war er bekanntermaßen Lyriker und Romancier, aber ebenso leidenschaftlicher Briefeschreiber. „Seine Briefe sind auch als ein mediales Werkzeug zu sehen, mit dem Fontane seine literarische Produktion steuerte.“
Die andere Seite, der sich die Konferenz im Fontane- Jahr widmet, ist Fontane in den Medien. Dabei geht es um die Rezeption Fontanes in den vergangenen 100 Jahren – so gibt es zahlreiche Theater- und Filmadaptionen seiner Werke, und sogar Fontane-Krimis –, aber ebenso um ganz aktuelle Veränderungen durch die Neuen Medien, die auch die Arbeit eines Archivs bestimmen. „Das Internet schafft neue Formen des Publizierens und Rezipierens“, erklärt von Wolzogen. „Die Digitalisierung kann einen Autor auf neue Art bekannt machen und auch die akademische Lehre verändern.“ Das Archiv arbeitet derzeit an einer Online-Plattform sämtlicher Fontane-Briefe. Technische Voraussetzungen seien dank einer Förderung durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien bereits geschaffen. Auf dieser Grundlage soll der – weltweit größte – Fontane-Briefbestand in einem ersten Teil bis 2019 ediert und der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Durch die Digitalisierung wird sich das Lesen jedoch grundlegend verändern. „Wir behandeln schon heute Handschriften wie Bilder“, sagt von Wolzogen. „Das Verhältnis von Schrift und Bild nimmt einen größeren Raum in unseren Reflexionen ein als früher.“ Zum Beispiel beschrieb Fontane regelmäßig die Ränder der Blätter aufs Engste – zum Leidwesen der Archivare. Die Schrift sei an manchen Stellen kaum noch punktgroß. Nicht selten fertigte er außerdem Zeichnungen an. Diese Verbildlichung anstelle des bloßen Textes beschäftigt Kunst-, Film-, Bild- und Medienwissenschaftler. Die Konferenz wird in Bezug zum Ausstellungsprojekt im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte wie auch zu einem Fontane-Projekt des Filmmuseums Potsdam stehen, das die Verfilmungen seiner Romane in einer Ausstellung in den Blick nimmt.
„Bis heute gehört zu Fontanes Image, dass er ein großartiger Briefeschreiber war“, erklärt Rainer Falk vom Fontane-Archiv. Weil seine Briefe noch immer gerne gelesen werden, will das Archiv den Briefwechsel auch in gedruckter Form veröffentlichen. Sie werden kritisch nach den Quellen ediert und durch einen Kommentar erschlossen – eines der drängenden Anliegen der Fontane-Forschung. Die Briefe an Redakteure, Verleger, Rezensenten oder Schriftstellerkollegen seien Zeugnis des literarischen Lebens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, so von Wolzogen. Dabei sind die Grenzen zwischen persönlichem und gewissermaßen geschäftlichem Brief nicht streng gezogen: „Ein Kollege ist bei Fontane häufig auch ein Freund“, erläutert Falk.
Als weiteres Großprojekt zum Fontane-Geburtstag arbeitet das Archiv an einem Online-Portal, das die unterschiedlichen digitalen Forschungsprojekte zu Leben und Werk Fontanes vernetzen will. Zudem sollen die umfangreichen, bereits digitalisierten Handschriftenbestände künftig online in Sammlungen zur Verfügung stehen. Mit 20.000 Blatt Originalhandschriften und 10.000 Abschriften besitzt das Archiv den größten Teilnachlass Fontanes weltweit. „Wir wollen auf dem Portal auch Findmittel bereitstellen, die Nutzern über unsere Bestände Auskunft geben“, so Rainer Falk.
Für Brandenburg hat Fontane auch einen touristischen Wert
„Fontane ist für Brandenburg neben Kleist der wichtigste Autor“, erklärt von Wolzogen. Doch während Kleist in der Mark eher Fremdling blieb, war Fontane hier tatsächlich zu Hause. „Indem er es literarisierte, machte er Brandenburg ein Geschenk.“ Seine Liebe zum Brandenburger Landadel und die Leidenschaft, mit der Fontane die Brandenburger Landschaft beschrieb, prägten die Region – noch heute sind Wanderungen durch die Mark auf Fontanes Spuren auch ein touristischer Faktor. Fontane selbst schätzte weder die Stadt Potsdam noch seine Geburtsstadt Neuruppin. „Für Fontane war Potsdam ein Krähwinkelnest“, sagt von Wolzogen. Er habe dessen Charakter als Residenzstadt mit der militärischen Prägung immer weniger geschätzt. „Fontane war genauso Chronist der entstehenden Metropole Berlin“, erklärt Falk. Sowohl Berlin als auch Brandenburg stand der Schriftsteller ambivalent gegenüber, bissig sind zuweilen seine Beschreibungen der Berliner und der Märker.
Im Fontane-Büro laufen die Fäden zu Fontane.200 zusammen
Seit einem Jahr ist Hajo Cornel Koordinator des Projektes „Fontane.200“ der Universität Potsdam und der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte. Sein Arbeitsplatz befindet sich im neu eingerichteten „Fontane.Büro“ im Potsdamer Rechenzentrum. Vom vierten Stockwerk geht der Blick über die Dächer, Kuppeln und Kirchtürme der Stadt. Doch Fontanes Meinung von Potsdam kann Cornel nur bestätigen: „Neuruppin hat Fontane nicht geliebt, aber Potsdam hat er gehasst.“ Fontanes Frau Emilie Rouanet-Kummer hatte in einem Brief an Theodor Storms Frau Lucie ihren Wunsch geäußert, nach Potsdam zu ziehen – auch, weil die Mieten so günstig seien. Doch bei ihrem Mann fand dieser Wunsch kein Gehör. „In den ‚Wanderungen durch die Mark Brandenburg‘ gibt es zwei Wegrouten durch das Havelland: Eine führt links, eine rechts an Potsdam vorbei.“ Lediglich drei Seiten, nämlich zur Garnisonkirche, widmet Fontane der Stadt in seinen „Wanderungen“.
Diesen Irrungen und Wirrungen in Fontanes Potsdam- Bild zum Trotz wird es im Festjahr vielfältige Veranstaltungen im ganzen Land geben. Das Haus der Brandenburgisch- Preußischen Geschichte (HBPG) plant eine Fontane-Ausstellung. „Die Aufgabe unseres Hauses ist es nicht nur, Landesgeschichte zu vermitteln, sondern auch Prozesse der Identitätsbildung zu reflektieren“, sagt Dr. Kurt Winkler, Direktor des HBPG. „Für die Landesidentität ist Fontane eine zentrale Figur. In der anbrechenden Moderne und der fortschreitenden Industrialisierung hat er Brandenburg als Geschichtsraum literarisch konstituiert, ja konstruiert.“ Laut Hajo Cornel sei es Fontane gelungen, aus dem damals außerordentlich heterogenen Raum – in der Prignitz sprach man noch Plattdeutsch, im Spreewald häufig Sorbisch – einen zusammenhängenden Kulturraum zu schaffen. „Fontanes geschichtliches Bild Brandenburgs hat sich in vielen Köpfen festgesetzt“, sagt Cornel. „Das ist Fluch und Segen zugleich.“
Ganz Brandenburg wird zum Fontane-Land
Natürlich beschränken sich die Aktivitäten zum Festjahr nicht auf Potsdam, immerhin ist Fontane gebürtiger Neuruppiner. Am 27. März 1819 waren seine Eltern in diese Stadt gezogen, hier führte sein Vater bis zum siebten Lebensjahr Fontanes die „Löwen-Apotheke“. Die Fontanestadt soll das Zentrum der Festlichkeiten bilden: Das Museum Neuruppin plant die zentrale Ausstellung im Festjahr, „Fontane.Autor“. Diese soll neun Monate gezeigt werden und pünktlich zum 200. Geburtstag am 30. Dezember 2019 enden. Auf dem Neuruppiner Braschplatz soll sich im Sommer außerdem ein Fontanecamp für Jugendliche aus ganz Deutschland mit Fontanes Leben und Werk befassen. Ein Forum wie dieses habe es bisher noch nie gegeben, so Cornel. „Und die Belebung der Stadt Neuruppin ist ein gewollter Nebeneffekt.“
Zwar gehören Bücher Fontanes in Brandenburg nicht mehr zur verpflichtenden Schullektüre. Doch zum 200. Geburtstag könnten die Schüler im Unterricht Projekte zu Fontane entwickeln, die sie dann im Forum als eine Art „Fontane-Slam“ zusammentragen. Schließlich steckt hinter dem Titel des Themenjahres, „Fontane.200“, ein deutlicher Medienbezug: Lassen sich unsere zeitgenössischen Medien wie die SMS, der Chat oder die E-Mail auf Fontanes Medien beziehen? „Als Autor wählte Fontane häufig Mischformen zwischen historischer Recherche, Journalismus und Literatur“, sagt Kurt Winkler. „Diese Uneindeutigkeit, Vielschichtigkeit und Prozesshaftigkeit eröffnet im Hinblick auf heutige Kommunikationsformen neue Perspektiven auf und Fragen zu Fontane.“
An die Ausstellungen im HBPG und im Museum Neuruppin will Brigitte Faber-Schmidt vom „Kulturland Brandenburg“ andocken. „Zusammen mit den Brandenburger Akteuren wollen wir ausgehend von den Ausstellungen im Fontane-Jahr ein künstlerisches, musikalisches, szenisches und literarisches Programm schaffen“, erklärt Faber-Schmidt. Gemeinsam mit Kurt Winkler ist sie Geschäftsführerin der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte und betreut seit Langem unter dem Dach „Kulturland Brandenburg“ Themenjahre in der Region. „Wir haben mit unseren Themenjahren viel Erfahrung mit Projekten an authentischen Orten.“ Für das Fontane-Jahr sind auch Aktionen im öffentlichen Raum denkbar. Das Eindrucksvolle hierbei sei die Begegnung vor Ort – so könnten in Form von „Interventionen“ Menschen im städtischen Alltag mit künstlerischen Projekten rund um Fontane konfrontiert werden.
Im Fontane-Büro laufen alle Fäden zusammen. Als man Hajo Cornel fragte, ob er Fontane-Koordinator sein wolle, war er zunächst überrascht. „Bei Thomas Mann hätte ich nicht lange überlegt“, so Cornel. „Aber Fontane, dieser ältere Herr, der gern durch Kiefernwälder spazierte, stand mir fern.“ Doch diese anfängliche Distanz hatte einen positiven Effekt: „Ich musste mir selbst einen Weg zu Fontane suchen.“ Insofern ist für Cornel der Punkt, mit dem die Aktivitäten des Fontane-Jahrs markiert sind, ein ironisch erfahrbarer „Punkt der Irritation“ über den scheinbar altbekannten, konservativen Fontane, der eben doch mehr ist als das, was man von ihm zu wissen glaubt. Für Kurt Winkler stellt der Punkt eine moderne Brücke zur heutigen Internetadresse her, die mit Punkten Namen und Domains trennt. Für Brigitte Faber- Schmidt entspannt sich hier ein Dialog, mit Nachdruck auf den Punkt: „Fontane?“ – „Ja, Fontane. Punkt.“
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Theodor-Fontane-Archiv | Universität Potsdam
Villa Quandt, Große Weinmeisterstr. 46/47
14469 Potsdam
E-Mail: fontanearchivuuni-potsdampde
Text: Jana Scholz
Online gestellt: Agnetha Lang
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
Diesen und weitere Beiträge zur Forschung an der Universität Potsdam finden Sie im Forschungsmagazin „Portal Wissen“. http://www.uni-potsdam.de/up-entdecken/aktuelle-themen/universitaetsmagazine.html