Am „schlagenden Herzen“ arbeiten, während die Patienten bei vollem Bewusstsein sind, Untersuchungen und Eingriffe, ohne den Brustkorb zu öffnen – die technischen Entwicklungen der Kardiologie machen es möglich. Doch auch wenn die Arbeit im Herzkatheterlabor des Klinikum Ernst von Bergmann (EvB) in Potsdam inzwischen professionelle Routine ist, bleibt Stress nicht aus: für Patienten und die behandelnden Ärzte und Mitarbeiter gleichermaßen. Stress, der die Qualität der medizinischen Betreuung ebenso beeinträchtigen kann wie den Zustand und die Rehabilitation der Patienten. Ein gemeinsames Projekt des EvB und von Wissenschaftlern der Universität Potsdam soll dabei helfen, dieses „Herzklopfen“ zu beruhigen.
Ein Krankenwagen rast mit Blaulicht durch Potsdam, darin eine Patientin mit akutem Herzinfarkt. Im Klinikum eingetroffen, wird sie sofort ins Herzkatheterlabor (HKL) gebracht. Die Analyse der Herzumgebung zeigt eine lebensbedrohliche Gefäßverengung. Eine Aufweitung mithilfe eines Ballonkatheters und gegebenenfalls mittels eines Stents ist unumgänglich und wird unverzüglich vorgenommen. Nur wenig später ist die Arterie wieder ausreichend durchblutet. Das schnelle, entschlossene und professionelle Agieren der Ärzte und Mitarbeiter im HKL hat der Patientin das Leben gerettet. Von der Einlieferung bis zum Ende der Behandlung sind kaum mehr als 21 Minuten vergangen. Doch diese sind nervenaufreibend. Wenn Notfälle eingeliefert werden, muss jeder Handgriff sitzen, Verzögerungen können fatale Folgen haben. „Bei einem Herzinfarkt zählt jede Sekunde, um den Schaden so gering wie möglich zu halten“, sagt Priv.-Doz. med. Klaus Bonaventura, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie. „Solche Situationen sind psychisch extrem belastend – nicht nur für die Patienten, sondern für alle, die an der Behandlung beteiligt sind. Dies trifft natürlich besonders auf die wenigen Fälle zu, in denen wir einen Patienten verlieren.“
Eingriffe im Herzkatheterlabor sind schon Routine – mit enormem Potenzial
Natürlich sind nicht alle Fälle, die im HKL behandelt werden, derart dramatisch. Erkrankungen der Herzkranzgefäße, des Herzmuskels, der Herzklappen oder von Blutgefäßen überall im Körper kommen regelmäßig „auf den (Untersuchungs-)Tisch“. Das Spektrum der Kardiologie sei im Laufe der Zeit enorm gewachsen, erklärt Bonaventura, und mit ihm auch die Behandlungsmöglichkeiten. „Ich habe 1993 als Kardiologe angefangen. Inzwischen ist nichts mehr, wie es war. Was wir damals verboten haben, empfehlen wir heute.“ Dies betreffe Untersuchungsmethoden ebenso wie den medikamentösen und interventionellen Bereich.
„Der weitaus häufigste Fall ist, dass Patienten zu uns kommen oder von niedergelassenen Kollegen überwiesen werden, die über Brustbeschwerden, Atemnot, Enge oder Druck in der Brust klagen“, erklärt Klaus Bonaventura. Unmittelbar nach der Aufnahme werde mit EKG, Ultraschall und Belastungstests geschaut, ob die Herzkranzgefäße mithilfe eines Herzkatheters genauer untersucht – und möglicherweise sogar behandelt – werden sollten. „Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die mit Abstand häufigste Todesursache“, so der Kardiologe. „Doch dank der technischen Entwicklung können wir inzwischen im HKL vielen Betroffenen helfen und der Eingriff ist fast schon ein Routinevorgang – mit enormem diagnostischen und therapeutischen Potenzial.“
Eine Untersuchung mit einem Herzkatheter ist im weiteren Sinne eine Röntgenuntersuchung: Zuerst wird ein Kontrastmittel injiziert; anschließend führt der behandelnde Arzt den Katheter über einen Zugang in einer Hand oder einem Bein durch eine Arterie zum Herzen. Bei Röntgendurchleuchtung sind dank des Kontrastmittels sowohl die Gefäße und etwaige gefährliche Verengungen als auch das Untersuchungsinstrument sichtbar, das somit millimetergenau geführt werden kann. In der Regel ist der Katheter nur 1,5 bis 1,8 Millimeter dick, kann aber, sollte eine Behandlung nötig sein, die nötigen Hilfsmittel wie einen Stent oder einen Ballon aufnehmen. Während Ballonkatheter an besonders stark zugesetzten Stellen in Blutbahnen kurzzeitig „aufgeblasen“ werden, um beispielsweise Cholesterinablagerungen zu lösen, sollen Stents vereengte Abschnitte dauerhaft aufweiten und offenhalten. „Inzwischen steht uns eine große Bandbreite an Instrumenten zur Verfügung“, so Klaus Bonaventura. „So gibt es Ballonkatheter, die mit großem Druck von acht bis zehn, mitunter sogar 18 Bar oder dank besonderer Materialeigenschaften auch hartnäckigste Verkrustungen aufbrechen können, oder etwa mit unterschiedlichsten Medikamenten beschichtete Stents, die eine langfristige medikamentöse Behandlung ermöglichen.“
Das Besondere: Die Patienten sind während des gesamten Eingriffs bei Bewusstsein. Eine Narkose gibt es nicht, es wird lediglich die Stelle örtlich betäubt, an der der Katheter eingeführt wird. „Für uns ist wichtig, die Patienten in den Vorgang einzubeziehen“, erklärt der HKL-Chef. „Die Behandler stellen sich namentlich vor, erklären die einzelnen Schritte der Untersuchung und werten Befunde gleich aus, auch um das weitere Vorgehen festzulegen.“
Eine Aufklärung über den Ablauf der Untersuchung, mögliche Behandlungen und die Risiken, die beide trotz aller Routine bergen, erfolgt indes mindestens 24 Stunden vor dem Eingriff. So ist es Vorschrift. Viele beschäftigten sich in diesem Moment erstmals überhaupt mit ihrer Krankheit, obwohl sie die Beschwerden teilweise schon jahrelang haben, so der Kardiologe. Von den seltenen, aber möglichen Komplikationen wollten die meisten dann lieber nichts wissen. „Da beginnt das Kopfkino: Während das für uns ‚Alltagsgeschäft‘ ist und Routineuntersuchungen sind, beziehen Patienten die Risiken natürlich auf sich, mögen sie auch noch so klein sein. Aber für uns ist es wichtig, dass sie überlegte Entscheidungen treffen.“
Bessere Aufklärung vor Herzkatheteruntersuchungen soll Stress verringern
Wohl wissend, dass die vorbereitende Aufklärung für Patienten eine große psychische Belastung darstellt, bemüht sich das Team des HKL darum, diese stetig zu verbessern. Etwa durch das Projekt „Herzklopfen“, für das Bonaventura sich mit der Gesundheitssoziologin Prof. Dr. Pia-Maria Wippert von der Universität Potsdam zusammengetan hat. „Man weiß inzwischen, dass lebensbedrohliche Situationen, zu denen Eingriffe am Herzen ja durchaus gehören, Stress auslösen, der sich negativ auf Heilungs- und Regenerationsprozesse auswirkt“, sagt Pia-Maria Wippert. „Je mehr Stress, desto wahrscheinlicher sind Komplikationen“, ergänzt Klaus Bonaventura. „Auch der Bedarf an Schmerzmitteln und die durchschnittliche Verweildauer der Patienten steigen.“ Wenn es gelingt, mit einer besseren Aufklärung den Patienten die Angst vor Herzkatheteruntersuchungen zu nehmen, könnte dadurch der Stress verringert werden.
Aber auch die psychische Belastung der behandelnden Ärzte und Mitarbeiter im HKL steht im Fokus von „Herzklopfen“, wie Wippert verdeutlicht: „Die Arbeit ist sehr anstrengend. Auf engstem Raum müssen die Teams des HKL höchstpräzise Handgriffe in kürzester Zeit ausführen – und das unter belastenden Bedingungen, wenn zum Beispiel lebensbedrohliche Situationen bei Patienten eintreten.“ Auch ihnen soll das Projekt helfen, wie Bonaventura ergänzt: „Stress kann Einfluss auf die Qualität der medizinischen Betreuung nehmen. Wir wollen aus der Analyse der Arbeitsumgebung und -prozesse Maßnahmen ableiten, die dem entgegenwirken.“
In einem ersten Schritt wollen die Wissenschaftler der Universität Potsdam herausfinden, welche konkreten Faktoren bei Patienten und Behandlern des HKL Stress verursachen. Dafür werden mit Freiwilligen beider Gruppen Leitfadeninterviews geführt. Deren Analyse bildet dann den Ausgangspunkt für ein Informations- und Interventionsprogramm. So soll zum einen ein Edukationsfilm für Patienten entstehen, den diese vor dem Eingriff ansehen. In der anschließenden individuellen Aufklärung können sie gezielte individuelle Fragen stellen und sind so bestmöglich auf den bevorstehenden Eingriff vorbereitet. „Für die Ärzte und Mitarbeiter wiederum wollen wir Guidelines, eine Reihe konkreter Hilfsmittel entwickeln, die ihnen helfen, mit dem Stress umzugehen“, erklärt Pia-Maria Wippert. „Sie sollen lernen, diesen nicht mit nach Hause zu nehmen, abzuschalten, Ruhe zu finden.“
Diese komplexen Interventionsmaßnahmen werden dann wiederum, so das Vorhaben der Forscher, in einem dritten Schritt validiert. Mithilfe chemischer Analysen von Haarproben wird das chronische Stresslevel der Behandler ermittelt – und zwar vor, während und nach dem Durchlaufen des Programms. „Das sollte uns dann Aufschluss darüber geben, ob es gelingt, den Stress dauerhaft zu reduzieren“, so Wippert. Der Weg bis dahin ist noch weit und die Ziele des Teams sind hochgesteckt: „In der Kardiologie werden Innovationen oft im technischen Bereich gesehen, aber wir wollen die Rahmenbedingungen verbessern“, sagt Klaus Bonaventura und ergänzt: „Es gibt bundesweit rund 600 Einrichtungen, in denen pro Jahr rund 750.000 Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt werden. Das, was wir herausfinden, könnte vielen anderen helfen.“
Das Projekt
Stressmanagement im Herzkatheterlabor: Die Studie „Herzklopfen“
Beteiligt: Prof. Dr. Pia-Maria Wippert (Universität Potsdam); Dr. Klaus Bonaventura (Klinik für Kardiologie und Angiologie, Ernst von Bergmann Klinikum Potsdam)
Laufzeit: 2016–2018
http://www.uni-potsdam.de/sport-gesundheitssoziologie/forschung/stress-und-settings/herzklopfen.html
Die Wissenschaftler
Prof. Dr. Pia-Maria Wippert hat seit 2010 an der Universität Potsdam die Professur für Sport- und Gesundheitssoziologie inne. Sie ist spezialisiert auf Risikostratifizierungen stressassoziierter Erkrankungen und die Entwicklung von Interventionen.
Universität Potsdam
Department Sport- und Gesundheitswissenschaften
Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam
E-Mail: pia-maria.wippertuuni-potsdampde
Dr. med. Klaus Bonaventura studierte Humanmedizin an der Universität des Saarlandes in Homburg/Saar. Er ist Chefarzt und Leiter der Klinik für Kardiologie und Angiologie im Klinikum Ernst von Bergmann.
Klinikum Ernst von Bergmann
Charlottenstraße 72
14467 Potsdam
E-Mail: kbonaventurauklinikumevbpde
Text: Matthias Zimmermann
Online gestellt: Agnetha Lang
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde
Diesen und weitere Beiträge zur Forschung an der Universität Potsdam finden Sie im Forschungsmagazin „Portal Wissen“. http://www.uni-potsdam.de/up-entdecken/aktuelle-themen/universitaetsmagazine.html