Dem Forschungsprojekt “Sprachvariation in Norddeutschland“ (SiN) wurde der Norddeutsche Wissenschaftspreis zuerkannt. An dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) von 2008-2012 geförderten sprachwissenschaftlichen Vorhaben waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Universitäten, darunter der Universität Potsdam, beteiligt. Im Potsdamer Teilprojekt untersuchte ein Team um den heutigen Emeritus Prof. Dr. Joachim Gessinger, damaliger Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der deutschen Sprache am Institut für Germanistik, die Wahrnehmung und Bewertung sprachlicher Varianz in alltäglichen Situationen. Der Preis ist mit insgesamt 100.000 Euro dotiert.
Das jetzt ausgezeichnete Team des variationslinguistischen Verbundprojekts hat erstmals die Sprachsituation und sprachliche Dynamik im Norden Deutschlands umfassend und mehrdimensional erforscht. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung deuten u.a. darauf hin, dass die Bruchstelle zwischen Hochdeutsch und Niederdeutsch, die in der Vergangenheit immer wieder als typisch für die norddeutsche Sprachsituation beschrieben wurde, heute nicht mehr in der alten Schärfe existiert. Dies liegt vor allem an der Annäherung des Niederdeutschen an das Sprachsystem des Hochdeutschen, die über Generationen hinweg erfolgte. Einige regionale Sprachformen besitzen jedoch noch ein (verdecktes) Prestige und werden eingesetzt, um Identität zu stiften – gewissermaßen als Gegenbewegung zu Ausgleichstendenzen im deutschen Sprachraum. So werden Merkmale wie die „weiche“ Aussprache von p, t, k gerade von jüngeren Sprechern als Identitätsmarker verwendet. Dies lasse erwarten, so Professor Joachim Gessinger, dass regionale Sprachausprägungen auch weiterhin eine bedeutende Rolle in der Kommunikation in Norddeutschland spielen werden.
„Mit der jetzt erhaltenen finanziellen Unterstützung“, freut sich der Sprachwissenschaftler, „ist die Finanzierung der auf sechs Bände angelegten Publikation der Forschungsergebnisse gesichert“. Außerdem könne die Veröffentlichung von Dissertationen beteiligter Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler unterstützt werden. An der Studie hatten neben den Potsdamern Linguistinnen und Linguisten der Universitäten Kiel, Hamburg, Frankfurt/Oder, Bielefeld und Münster mitgearbeitet.
Die mit dem Norddeutschen Wissenschaftspreis verbundenen Gelder ermöglichen es, nun auch Anschlussprojekte vorzubereiten. „Aus meiner Sicht eröffnen sich mit Untersuchungen zum intergenerationellen Sprachwandel und zur Rolle der Regionalsprachen bei der Akkulturation (dem Hineinwachsen in die kulturelle Umwelt – Anm. der Red.) und Integration von Migrantinnen und Migranten faszinierende und zugleich für die auf Sprache gegründete Identitätsbildung von Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzes wichtige Fragestellungen, die mit dem methodisch erprobten Instrumentarium des SiN-Projekts bearbeitet werden können“, erklärt dazu Joachim Gessinger.
Der Norddeutsche Wissenschaftspreis wird seit 2012 gemeinsam von den Ländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vergeben – jedes Jahr zu einem anderen Forschungsfeld. Im Jahr 2016 waren das die Geistes- und Sozialwissenschaften. Ziel ist es, norddeutsche Kooperationen in der Forschung zu würdigen und sie über die Ländergrenzen hinaus bekannter zu machen.
Kontakt:
Universität Potsdam
Philosophische Fakultät, Prof. i. R. Dr. Joachim Gessinger
E-Mail: gessingeruuni-potsdampde
Text: Petra Görlich/Joachim Gessinger
Online gestellt: Matthias Zimmermann
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