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d.art: Künstlerinnen und Künstler im Ganztag

Im Projekt d.art der Universität Potsdam werden Künstlerinnen und Künstler, die in Ganztagsschulen tätig sind oder sein wollen, weitergebildet. Prof. Dr. Joachim Ludwig im Interview.

Online-Redaktion: Herr Prof. Ludwig, worum geht es in Ihrem Forschungsprojekt „d.art“?

Joachim Ludwig: d.art steht für „Didaktik für künstlerisch-kulturelle Bildung“ und ist ein Weiterbildungskonzept, das sich an Kunst- und Kulturschaffende wendet, die an einer künstlerisch-pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen interessiert sind. Dabei fokussieren wir besonders den außerunterrichtlichen Bereich von Ganztagsschulen. Träger des Projekts ist das BMBF.

Das Ziel ist keine Schulentwicklung, sondern die Entwicklung und Evaluation eines Weiterbildungskonzepts, das dann nach Projektende kostenlos bundesweit von allen Schulen und Kultusbehörden verwendet werden kann und Ganztagsschulen verstärkt die Arbeit mit pädagogisch reflektierten Künstlerinnen und Künstlern ermöglichen soll. Wir wollen aus den Künstlern keine Pädagogen machen. Künstler sollen in der Arbeit mit Schülern immer Künstler bleiben. Wir sensibilisieren sie aber für pädagogische Spannungsverhältnisse, die in jeder pädagogischen Praxis eine Rolle spielen. Auf diese Weise wird die Qualität der kulturellen Bildungsprojekte gesteigert und sie liefern so einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung des Ganztags.

Online-Redaktion: Warum haben Sie Ihren Schwerpunkt auf Ganztagsschulen gelegt?

Ludwig: Weil ich diese für besonders geeignet halte, um neue Perspektiven in die Schule hineinzutragen und den Jugendlichen – wir haben die Sekundarstufe I im Blick – Bildungsprozesse zu ermöglichen, die im alltäglichen Unterricht eben so ohne weiteres nicht möglich sind. Der außerunterrichtliche Bereich der Ganztagsschule bietet den Jugendlichen in Projekten der kulturellen Bildung die Möglichkeit, über das für sie Vertraute und Gewohnte hinaus, neue ästhetische Erfahrungen zu machen und damit neue oder andersartige Zugänge zu sich selbst und zur Welt kennen zu lernen.

Online-Redaktion: Wie haben Sie für Ihr Projekt auf der einen Seite die Künstlerinnen und Künstler und auf der anderen Seite die Ganztagsschulen gefunden?

Ludwig: Wir haben uns von Beginn an mit der Plattform „Kulturelle Bildung Brandenburg“ vernetzt, auf der viele Künstlerinnen und Künstler aus Brandenburg versammelt sind. Mit Hilfe der Plattform haben wir Akquise-Workshops durchgeführt und so eine hohe Zahl von interessierten Künstlern erreicht. Das Interesse war groß, und wir hatten die Qual der Wahl. Mittlerweile erreichen uns auch Anfragen aus anderen Bundesländern. Dass wir uns auf Berlin und Brandenburg konzentrieren, hat pragmatische, keine inhaltlichen Gründe. Es ist halt einfacher mit der Anreise bei der Durchführung von Projekttagen.

Die Ganztagsschulen haben wir in Kooperation mit dem Schulamt Brandenburg gefunden. In diesen Schulen führen wir die Praxistage mit Künstlerinnen und Künstlern durch. Für die Schulen ist das ein sehr attraktives Angebot, da ihnen während der Projektlaufzeit keinerlei Kosten entstehen. In den Gesprächen mit den Schulen hören wir immer wieder, dass die spätere Finanzierung der Projekte ein Problem ist. Wir nutzen derzeit auch Fördertöpfe des Landes Brandenburg, um Anschlussprojekte zu gestalten Das Netzwerk der Künstlerinnen und Künstler hat zusammen mit uns dafür inzwischen eine Homepage „Kunst bewegt Bildung“ entwickelt, mit der es sich an die Ganztagsschulen wendet und über die vorhandenen Kunstprojekte informiert.

Online-Redaktion: Wie arbeiten Sie in der Fortbildung mit den Künstlerinnen und Künstlern?

Ludwig: Das Weiterbildungskonzept besteht aus insgesamt drei Teilen: Erstens aus zehn Seminartagen, die in drei Seminarblöcke aufgeteilt sind. Zweitens aus einer kontinuierlichen Lernberatung, mit der wir den Lernprozess individuell unterstützen. Und drittens aus zwei Praxistagen an Ganztagsschulen, die zwischen den Seminaren liegen.

Wir begleiten in der Weiterbildung jeweils 15 Teilnehmende. Viele haben eine ganz klassische, aus ihrer eigenen Schul- und Universitätserfahrung stammende schulisch-unterrichtliche Vorstellung von pädagogischem Handeln, die mit Steuerung und mit Planung verbunden ist. Individuelle Interessen der Schüler erscheinen in dieser Steuerungsvorstellung mehr als Problem und weniger als Bildungschance. Ein Anknüpfen an die individuellen Interessen der Schüler ist aber zwingend erforderlich, wenn Bildungsprozesse und das heißt neue Perspektiven auf die eigene Lebenswelt angestoßen werden sollen. Wir verdeutlichen dies, indem wir in der Weiterbildung die Interessen der einzelnen Teilnehmenden aufgreifen und ihren individuellen Lernprozess begleiten. Wir sprechen hier vom „Pädagogischen Doppeldecker“. Das heißt, dass sowohl die pädagogische Weiterbildung als auch die kulturellen Projekte, die die Künstler dann in der Schule durchführen, an den Interessen der Teilnehmenden anknüpfen, um neue Perspektiven auf die Welt und auf sich selbst anzustoßen.
Teilnehmergruppe

Damit das funktionieren kann, müssen die Fragen und Themen der Künstlerinnen und Künstler den Ausgangspunkt der Fortbildung bilden, so wie es in der Schule die Fragen und Themen der Schülerinnen und Schüler sind. Die zentrale Leitidee ist, dass Bildung im Sinne von Selbstbildung erst durch die individuelle Aneignung des Bildungsangebots zustande kommt und nicht schon durch eine Präsentation der Themen an sich. Auf diese Weise sollen die Künstler den Unterschied zwischen Selbstbildungsprozessen und von außen gesteuerten Lernanforderungen verstehen. Denn das ist nach wie vor ein zentrales Spannungsverhältnis, mit dem sich die Künstlerinnen und Künstler auseinandersetzen müssen. Dieses Spannungsverhältnis muss pädagogisch gestaltet werden.

Online-Redaktion: Das Besondere an Künstlerinnen und Künstlern ist gerade, dass sie keine Pädagogen sind und Kinder und Jugendliche quasi „aus erster Hand“ erfahren, was Kunst ist. Können pädagogisch ausgebildete Kräfte dieses Authentische noch vermitteln?

Ludwig: Wir bilden die Künstlerinnen und Künstler nicht zu Lehrkräften aus. Sie bleiben Künstlerinnen und Künstler und handeln auch in dieser Rolle in der Schule. Wir sensibilisieren sie für Spannungsverhältnisse im pädagogischen Handeln – wie Macht und Symmetrie, Nähe und Distanz, fachliche Orientierung und Alltagsorientierung. Interessiert mich zum Beispiel das alltägliche Handlungsproblem des Schülers oder möchte ich mein fachliches Wissen als Künstler rüberbringen? Sobald ich mit Gruppen ein pädagogisches Ziel verfolge, wirken solche Spannungsverhältnisse.

Und unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen diese Spannungsverhältnisse situationsspezifisch gestalten können, und zwar so, dass die Schülerinteressen im Vordergrund stehen. Das ist etwas Anderes, als wenn die Künstler alleine im Atelier mit sich ausmachen, was sie der Gesellschaft mit ihrem Kunstwerk mitteilen wollen. Damit wird auch schon der Unterschied zwischen Kunst und Kultureller Bildung deutlich: Die Schülerinnen und Schüler sollen eben genauso wenig zu Künstlern werden, wie die Künstler Pädagogen werden sollen. Die Schülerinnen und Schüler sollen mit Hilfe künstlerischer Bildung ästhetische Erfahrungen machen können, die eine Möglichkeit für neue Perspektiven geben und das Eingebundensein in gesellschaftliche Zusammenhänge reflektieren.
Teilnehmerin der Weiterbildung mit Packpapier als Decke

Die Kunstschaffenden sollen die Bildungspotenziale ihrer Kunst für die Schülerinnen und Schülern so anbieten können, dass die Jugendlichen in der Lage sind, mit Hilfe der Kunst ihre eigenen biografischen Interessen und Anliegen zu realisieren. Dazu müssen die Künstler „schulische Störgeräusche“ aus dem Projekt heraushalten. Die Schülerinnen und Schüler sollen davon wegkommen zu fragen: „Warum stellt der mir ständig Fragen nach meinen Interessen, Erwartungen und lebensweltlichen Handlungsproblematiken? Der soll mir doch sagen, was ich jetzt machen soll.“ Wenn das gelingt, ermöglichen Künstlerinnen und Künstler den Schülern, sich selbst authentisch zu erfahren. Das Authentische ginge indes verloren, wenn die Künstlerinnen und Künstler Lehrkräfte imitieren würden.

Online-Redaktion: Welche Themen werden in der Fortbildung behandelt?

Ludwig: Es gibt vier Themenfelder. Das erste ist das Thema der Biografie und des künstlerischen Selbstverständnisses. Das zweite beschäftigt sich mit der Frage: „Was bedeutet für mich kulturelle Bildung?“ und "Welche Bildungsidee möchte ich im Projekt vertreten?" Das dritte Themenfeld fokussiert das pädagogische Handeln: „Wie gestalte ich Projekte kultureller Bildung im Sinne eines ästhetischen Forschens und meine pädagogische Beziehungsebene zu den Schülerinnen und Schülern?“ Das vierte Thema lautet „Schulkultur und Schule als Projektraum“.

Dies begleiten wir mit zwei methodischen Instrumenten. Einmal mit der Methode der sogenannten „Lernfigur“ während den Seminaren. Die „Lernfigur“ unterstützt die Künstlerinnen und Künstler bei ihrer Reflexion auf pädagogisches Handeln, dass heißt bei ihrer Reflexion des eigenen Lernprozesses. Die „Lernfigur“ hilft auch die eigenen Anfragen und Handlungsproblematiken im Seminar den Anderen zu präsentieren. Damit rückt der eigene Lernprozess in den Fokus. Darüber hinaus bieten wir zwischen den drei innerhalb eines Jahres stattfindenden Seminaren Lernbegleitungsangebote an, bei denen die Teilnehmenden individuell mit uns in Beratungsgespräche eintreten, ihre Seminar- und Praxiserfahrungen reflektieren und so ihren Lernprozess weiter verfolgen.

Online-Redaktion: Wie lässt sich die Wirksamkeit einer solchen Fortbildung bestimmen?
Seminar im LISUM Berlin-Brandenburg

Ludwig: Wir sind daran interessiert, ob unser Weiterbildungskonzept die Lern- und Aneignungsprozesse der Künstlerinnen und Künstler unterstützt. In einer Längsschnittstudie untersuchen wir die Lern- und Transformationsprozesse der einzelnen Künstlerinnen und Künstler über ein Jahr hinweg. Zu Beginn führen wir ein Eingangsinterview und im weiteren Verlauf Protokolle in den Seminaren und den Lernbegleitungsgesprächen. Am Ende der Fortbildung steht ein Abschlussinterview. So können wir sehen, ob und wie sich die ursprüngliche Sichtweise der Künstlerinnen und Künstler auf pädagogisches Handeln verändert.

Online-Redaktion: Konnten Sie schon erste Erkenntnisse gewinnen?

Ludwig: Ganz interessant finde ich, dass das Spannungsverhältnis vor allem zwischen künstlerischem Selbstverständnis und Qualitätsanspruch einerseits und Schülerinteressen andererseits besteht. Damit setzen wir uns in dieser Weiterbildung am intensivsten auseinander. Das Spannungsverhältnis zwischen künstlerischem und pädagogischem Handeln ist demgegenüber schwach ausgeprägt. Unsere Erkenntnisse werden wir nach Ende des Projekts publizieren. Neben diesen wissenschaftlichen Ergebnissen werden wir für die Praxis einen Konzeptband online verfügbar machen und auch Videos veröffentlichen. Auf diesen Grundlagen kann die Weiterbildung für Kunst- und Kulturschaffende bundesweit durchgeführt und die Qualität der kulturellen Bildungsprojekte für Ganztagsschulen gesteigert werden.

Online-Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

Ralf Augsburg: d.art: Künstlerinnen und Künstler im Ganztag. 31.10.2016. In: http://www.ganztagsschulen.org

 

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