Zu fett, zu süß, zu viel. Die Zutaten für Übergewicht und ernährungsbedingte Krankheiten sind gut bekannt. Doch was der Kopf weiß, muss noch lange nicht im Bauch ankommen. Erlerntes und Erfahrenes haben Ernährungsmuster in unsere Speisepläne gezeichnet, die sich nur schwer verändern lassen. Die Forschenden im Kompetenzcluster NutriAct wollen es dennoch versuchen, denn sie wissen: Wer in mittleren Jahren richtig isst, hat bessere Chancen, gesund alt zu werden.
Auf die Jahre zwischen 50 und 70 kommt es an
„Wenn wir falsche Ernährungsmuster aufbrechen wollen, müssen wir zunächst verstehen, wie sie entstanden sind: Was ist genetisch, was durch Erziehung geprägt? Und welchen Einfluss nehmen gesellschaftliche Veränderungen“, fragt Tilman Grune. Der Potsdamer Ernährungswissenschaftler denkt hier nicht nur an aktuelle Trends, die sich aus dem Wandel in der Arbeitswelt oder dem Alltag in den Familien ergeben, sondern auch an frühere Ereignisse wie den Umbruch nach 1989. Denn NutriAct nimmt größere Zeiträume in den Blick, um langfristige Auswirkungen eines falschen oder richtigen Ernährungsverhaltens beschreiben zu können. „Viele Erkrankungen im Alter, wie etwa der Diabetes Typ II oder Bluthochdruck, haben länger zurückliegende Ursachen“, sagt Grune und erklärt: „Wenn wir gesund die letzte Lebensphase erreichen wollen, kommt es auf die Jahre zwischen 50 und 70 an.“ Doch wer in diesem Alter noch gesund sei, empfinde keinen psychischen Druck, anders zu essen und sich mehr zu bewegen. Wie beim Zahnarzt bräuchte es deshalb auch in der Ernährung eine Prophylaxe.
Tilman Grune ist wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) und Professor für Molekulare Toxikologie an der Universität Potsdam. Bei ihm laufen alle Fäden des Verbundprojekts NutriAct zusammen. Er leitet das vom Bund geförderte „Kompetenzcluster Ernährungsforschung“, in dem über 50 Partner aus 32 Forschungseinrichtungen und Unternehmen in Berlin und Brandenburg gemeinsam an eben jenen Ernährungsstrategien arbeiten, die ein gesundes Altern unterstützen.
Biomarker lassen erkennen, was jemand isst
Um positive Effekte einer bestimmten Ernährung oder aber Gefährdungspotenziale einer nur bedingt geeigneten Ernährung abschätzen zu können, fehlte bislang eine wissenschaftliche Datenbasis. Hier setzt ein zentrales Projekt an, mit dem sich das Institut für Ernährungswissenschaft (IEW) der Universität Potsdam in das Kompetenzcluster einbringt. „Es beschäftigt sich mit der Identifizierung von Biomarkern, die die Aufnahme bestimmter Lebensmittel und Inhaltsstoffe erfassen und Aussagen darüber zulassen, ob diese Stoffe gesundheitlich präventiv oder schädlich wirken“, erklärt Koordinatorin Tanja Schwerdtle, Professorin für Lebensmittelchemie am IEW. „Anhand der Biomarker kann in Blutproben unter anderem nachgewiesen werden, ob jemand tatsächlich das gegessen hat, was er vorgibt gegessen zu haben.“ Ein unbestechliches Instrument, das in einer groß angelegten Interventionsstudie mit 500 Frauen und Männern jenseits der 50 zum Einsatz kommt. Über drei Jahre erhält ein Teil der Probanden eine altersgerechte Diät gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Die Ergebnisse aus dieser Gruppe sollen mit den Untersuchungswerten einer anderen Gruppe verglichen werden, in deren Speiseplan bestimmte Fettsäuren, Ballaststoffe und Pflanzenproteine betont sind, die den Stoffwechsel günstig beeinflussen. „Ein Mammutprojekt, das ohne die Mitarbeit von Doktoranden und Studierenden nicht zu stemmen ist“, sagt Tanja Schwerdtle und betont, dass die Universität mit der Potsdam Graduate School im Kompetenzcluster die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses übernommen hat.
Fernziel sind altersorientierte Ernährungsempfehlungen
Bei der Identifizierung der Biomarker arbeitet Tanja Schwerdtle eng mit Wissenschaftlern vom IEW und vom DIfE, von der Charité und vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie sowie mit Industriepartnern zusammen. Denn die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Forschung sollen nicht nur die Basis für altersorientierte Ernährungsempfehlungen bilden, sondern auch dabei helfen, altersgerechte Lebensmittel zu entwickeln. Produkte, die alle wichtigen Nährstoffe, pflanzliches Protein und pflanzliches Fett enthalten und obendrein auch ansprechend aussehen und gut schmecken sollen. „Vielleicht isst ja jemand etwas Gesundes lieber, wenn es als Wurst verpackt ist oder wie eine Boulette aussieht“, sagt Tilman Grune schmunzelnd und fügt hinzu, dass man an den Gewohnheiten der Menschen anknüpfen müsse, um etwas verändern zu können. Für die regionale Lebensmittelwirtschaft sieht er auf diesem Feld große Entwicklungschancen. Über den Spargelanbau hinaus könnte sie sich damit deutschlandweit einen Namen machen.
Die anvisierten Kunden sind Menschen ab 50. „Ein Alter, in dem sich viele noch einmal neu orientieren“, weiß Grune, auch aus eigenem Erleben. „Die Kinder verlassen das Haus, es bleibt mehr Zeit zum Kochen, zum Genießen. Man wird sich der Endlichkeit seines Lebens bewusst, will die Zeit bewusst gestalten, aktiv und gesund bleiben.“
Dennoch ernähren sich Menschen in diesen Jahren oft problematisch. Das beginnt bei der Nahrungsmittelauswahl und reicht bis zum Ess- und Trinkverhalten. Es scheint also einige Hindernisse zu geben, die sie davon abhalten, einer ausgewogenen Ernährung und anderen gesunden Verhaltensweisen nachzugehen, die unabdingbar sind für ein aktives und gesundes Altern. In der Regel isst der Mensch nicht alleine – das Ernährungsverhalten ist immer auch ein soziales Phänomen. Petra Warschburger, Professorin für Beratungspsychologie an der Universität Potsdam, untersucht deshalb die familiären und individuellen Faktoren, die die Ernährungsgewohnheiten von Erwachsenen maßgeblich beeinflussen. Hierzu werden Teilnehmer der EPIC-Studie, einer Langzeitstudie des DIfE, und deren Familienmitglieder genauer befragt. Die Wissenschaftlerin interessiert dabei auch, wie hoch deren Bereitschaft ist, etwas am Essverhalten zu ändern. Außerdem will sie mit einer kleinen Stichprobe psychologische Tests durchführen, so unter anderem zu deren Fähigkeit, sich selbst zu steuern. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten künftig in Internet-basierte Plattformen zur Unterstützung gesunder Ernährung eingebracht werden. Ein Ziel ist es, Ernährungsempfehlungen individuell maßzuschneidern. Dabei würden die persönliche Lebenssituation, die sportliche Aktivität, chronische Erkrankungen oder auch Unverträglichkeiten berücksichtigt werden, um schließlich einen optimalen Nahrungsmix zusammenzustellen.
Das Projekt
Das Verbundprojekt „NutriAct“ (Nutritional Intervention for Healthy Aging: Food Patterns, Behavior, and Products) ist eines der vier vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 5,6 Millionen Euro geförderten „Kompetenzcluster Ernährungsforschung“. Mit der Koordinierung eines der fünf Teilprojekte, der Bearbeitung von fünf der insgesamt 20 Arbeitspakete, der Mitwirkung im Netzwerkmanagement und der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses übernimmt die Universität Potsdam zentrale Aufgaben im Verbund.
Die Wissenschaftler
Tilman Grune studierte Medizinische Biochemie in Moskau. Seit 2014 ist Tilman Grune wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Rehbrücke (DIfE) und Professor für Molekulare Toxikologie an der Universität Potsdam.
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Rehbrücke
Arthur-Scheunert-Allee 114–116 | 14558 Nuthetal
Email: scientific.directorudifepde
Tanja Schwerdtle studierte Lebensmittelchemie an der Universität Karlsruhe. Seit 2013 ist sie Professorin für Lebensmittelchemie an der Universität Potsdam.
Universität Potsdam
Institut für Ernährungswissenschaft
Arthur-Scheunert-Allee 114–116 | 14558 Nuthetal
Email: tanja.schwerdtleuuni-potsdampde
Petra Warschburger studierte Psychologie in Trier. An der Universität Potsdam ist sie Professorin für Beratungspsychologie und leitet das Patienten-Trainings- und Beratungszentrum PTZ.
Universität Potsdam
Department Psychologie
Karl-Liebknecht-Str. 24–25 | 14476 Potsdam
Email: warschbuuni-potsdampde
Text: Antje Horn-Conrad
Online gestellt: Agnetha Lang
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde