Sie erscheinen regelmäßig auf der Sonnenoberfläche und verschwinden wieder – Sonnenflecken zeigen an, wie aktiv das Gestirn ist. Alle elf Jahre gibt es ein Maximum mit sehr vielen Sonnenflecken, das in ein Minimum übergeht, in dem nur sehr wenige Sonnenflecken auftreten. Große Sonnenflecken zeigen gewaltige Ereignisse an, die mit enormen Masseauswürfen verbunden sein können. Forscher versuchen, diese Aktivitäten genauer vorherzusagen. Denn sie prägen das Weltraumwetter, das auch auf die Erde Auswirkungen hat. Am Institut für Physik und Astronomie erforscht Bernhard Kliem die physikalischen Prozesse, die solare Eruptionen auslösen. Das Magnetfeld der Sonne spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Für den Laien sind es nur weiße und schwarze Flecken, die sich unregelmäßig vor einem grauen Hintergrund ausbreiten. Bernhard Kliem erkennt in diesen Flecken jedoch Muster, die ihm einiges über die Aktivität der Sonne und bevorstehende Sonnenstürme verraten. Was hier auf seinem Monitor zu sehen ist, ist die Oberfläche des Gestirns. Um genau zu sein, ist es eine Magnetfeldkarte, die der Forscher betrachtet. Geradezu unspektakulär sehen die Flecken aus, für die sich der Physiker besonders interessiert. In Wirklichkeit spielt sich auf und in der Sonne Dramatisches ab, wenn diese Gebilde erscheinen. Sie sind die Zeichen für gewaltige elektromagnetische Kräfte, die sich mitunter in Sonneneruptionen entladen. Bernhard Kliem erforscht, wie diese entstehen.
Die Bilder, die der Wissenschaftler dafür heranzieht, werden zu einem großen Teil vom Solar Dynamics Observatory (SDO) der NASA aufgenommen. Die Raumsonde befindet sich seit 2010 auf einer geostationären Umlaufbahn und misst ununterbrochen Strahlung, Magnetfelder und Schwingungen der Sonne. Diese frei zugänglichen Daten erlauben weltweit zahlreiche Untersuchungen solarer Prozesse, die von Bedeutung für unser „Leben mit einem Stern“ sind.
Heißes Plasma und aufsteigende Magnetfelder
„Die Sonne befindet sich im sogenannten Plasmazustand, dem vierten Aggregatzustand“, erklärt Bernhard Kliem. In ihrem Kernbereich herrschen eine Temperatur von unvorstellbaren 15,6 Millionen Grad und ein Druck, der dem Gewicht der Cheops-Pyramide auf einem Stecknadelkopf entspricht. Hier findet die Kernfusion statt, Wasserstoffkerne verschmelzen zu Heliumkernen und setzen gewaltige Energiemengen frei. Wegen der enormen Hitze sind Atomkerne und Elektronen voneinander getrennt. „Zwischen den positiv und negativ geladenen Teilchen wirken Anziehungskräfte, die dafür sorgen, dass sich das Gas wie eine elektrisch hoch leitfähige Flüssigkeit verhält“, erklärt Bernhard Kliem die Besonderheiten des Plasmazustands.
Die im Inneren entstehende Energie wandert zunächst in Form von Lichtteilchen nach außen und wird von der Sonnenoberfläche, die mit rund 6.000 Grad relativ kühl ist, in den Weltraum abgestrahlt. Dazwischen jedoch, in der Konvektionszone, dem äußeren Drittel der Sonne, dominiert ein sogenannter konvektiver Energietransport – Energie wird durch Strömung transportiert. „Das Prinzip ist dasselbe wie in einem Wasserkocher“, verdeutlicht Bernhard Kliem. Das von unten erhitzte Plasma steigt auf, kühlt ab, sinkt wieder Richtung Kern, wo es sich erneut erhitzt und wieder aufsteigt. „Da das Plasma elektrisch leitend ist, führen diese Strömungen zu einer Dynamowirkung, die das Magnetfeld der Sonne erzeugt“, erklärt der Wissenschaftler. Und dieses bildet die Grundlage für seine Forschung, denn Magnetfeld und Bewegung der Plasmamaterie bedingen einander.
Ab und an breiten sich die Magnetfelder, die hauptsächlich im Inneren der Sonne wirken, bis an deren Oberfläche aus – und werden als Sonnenflecken sichtbar, meist als ein Paar mit entgegengesetzter Polarität. Starke Magnetfelder unterbinden den konvektiven Energietransport. Die Oberflächentemperatur ist hier einige Hundert Grad geringer als in der Umgebung, was sich an den charakteristischen dunklen Flecken zeigt. Im Gegensatz dazu ist es in der Korona über den Sonnenflecken – also in der Sonnenatmosphäre – besonders heiß. Als koronale Heizung bezeichnen Wissenschaftler das Phänomen, das dafür sorgt, dass die Temperaturen über der Sonnenoberfläche wieder ansteigen, auf über eine Million Grad – so hoch, dass die Korona expandiert. Der entstehende Sonnenwind – abströmendes Plasma und Magnetfeld – erfüllt den gesamten interplanetaren Raum. „Wie genau der rätselhafte Prozess der koronalen Heizung funktioniert, ist noch unklar“, erklärt der Physiker. Das Magnetfeld und seine Schwingungen – so viel wissen die Forscher bereits – scheinen diesen Prozess anzutreiben. Sie bilden eine Art Tunnelsystem, durch das die Energie aus dem Inneren kanalisiert und in die Korona geleitet wird.
Angetrieben durch die Konvektion im Inneren der Sonne, unterliegt das Magnetfeld ständiger Veränderung. Sonnenflecken etwa wachsen bis zu einer Größe von mehreren Erddurchmessern und zerfallen dann in immer kleiner werdende Fragmente; dies kann einige Tage bis hin zu mehreren Monaten dauern. Ebenso verändern sich die magnetischen Bögen, die positiv und negativ polarisierte Sonnenflecken miteinander verbinden und in der Korona eine „aktive Region“ ausbilden. Die Bögen wirken als magnetische Flaschen. Das in ihnen eingefangene heiße Plasma wird in Ultraviolett- oder Röntgen-Aufnahmen sichtbar. Sie können jedoch auch kühleres Plasma von „nur“ zehntausend Grad einfangen, das dann als Protuberanz im roten Licht majestätisch über dem Sonnenrand schwebt, gegen die immense Schwerkraft gehalten durch die elektromagnetische Kraft.
Computermodelle simulieren solare Eruptionen
Ein sich veränderndes Magnetfeld induziert elektrische Ströme im Plasma, und diese tragen zur Energie bei, die in der aktiven Region gespeichert ist. Steigt sie über einen Grenzwert, wird das Gleichgewicht der Kräfte instabil. Jegliche kleine Störung wächst dann zu dramatischen elektromagnetischen Kräften an, die die gespeicherte magnetische Energie wie in einer Explosion in Bewegungsenergie, Wärme von bis zu 100 Millionen Grad und Strahlung vom Radio- bis in das Gammastrahlengebiet umwandeln – die magnetischen Verbindungen in der aktiven Region werden durch die Eruption regelrecht zerrissen. Oft schleudert dies Protuberanzen und ihr umgebendes heißes Plasma mit einer Geschwindigkeit von etwa 300 bis 3.000 Kilometern in der Sekunde in den interplanetaren Raum. Dort expandieren sie zu Plasmawolken, vielfach größer als die Sonne, die sich als temporäre Verstärkung des Sonnenwindes durch das gesamte Sonnensystem ausbreiten. Treffen sie nach ein bis drei Tagen auf die Erde, ergeben sich mitunter massive Störungen.
Die Methode, mit der Bernhard Kliem die Plasma-, Magnet-, und Energieströme der Sonne untersucht, trägt den komplizierten Namen Magnetohydrodynamik. Ein computerbasiertes Modell stellt die Entwicklung des Magnetfeldes in komplexen Berechnungen dar und erlaubt Rückschlüsse auf die stattfindenden Plasmabewegungen und Stromflüsse. Dem Wechselspiel zwischen heißem Plasma und Magnetfeld geht der Forscher mit numerischen Simulationen auf den Grund.
„Das ist eine Region, die wahrscheinlich sehr starke Eruptionen auslösen kann“, erklärt Bernhard Kliem und deutet auf die Magnetfeldkarte auf seinem Monitor. Zu sehen sind SDO-Aufnahmen vom Oktober 2014. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Sonne in einem Aktivitätsmaximum. Die Sonnenoberfläche erscheint im Zeitraffer – eine Aufnahme pro Stunde ist in dem kleinen Film zu sehen. Am linken Sonnenrand werden die charakteristischen Flecken sichtbar, eine ganze Sonnenfleckgruppe, die durch die Rotation der Sonne langsam an den rechten Rand zu wandern scheint. „Wo starke Magnetfelder dicht zusammenliegen, kann es zu solaren Eruptionen kommen“, erklärt Bernhard Kliem. Und auch die Bewegungen der einzelnen Sonnenflecken – etwa, ob sie rotieren oder sich entgegengesetzt aneinander vorbeischieben – geben dem Wissenschaftler Hinweise auf die gespeicherte Energie und die Wahrscheinlichkeit einer Eruption.
Bernhard Kliem stellt in seinem Computermodell nach, was mit den einzelnen Magnetfeldlinien in einem solaren Magnetfeld geschieht. Ein Phänomen, das er als „Verdrillung“ bezeichnet, interessiert den Wissenschaftler dabei besonders. Durch die Corioliskraft der rotierenden Sonne dreht sich auf- und absteigendes Plasma wie die Tief- und Hochdruckgebiete auf der Erde. Die eingebetteten Feldlinien werden dabei verdrillt. Rotieren die Sonnenflecken um ihr eigenes Zentrum oder umeinander, wird dies weiter verstärkt. „Das bedeutet starke elektrische Ströme“, erläutert Kliem. Den Schwellenwert für die Instabilität des Feldlinienbündels findet er in seinen Simulationen. Er liegt bei etwa eineinhalb Umdrehungen der Feldlinien um die Achse des Bündels. Ist eine Protuberanz im Magnetfeld eingefangen, zeichnen ihre feinen fadenförmigen Strukturen den Verlauf einiger Feldlinien nach und erlauben in manchen Fällen eine Abschätzung der Verdrillung. Diese nähert sich dem berechneten Schwellenwert vor einer Eruption oft an. Je geringer der verbleibende Abstand, desto kleiner der Anstoß – eine Störung aus dem Sonneninneren oder von einer benachbarten aktiven Region kommend –, der dann noch benötigt wird, um die Eruption auszulösen.
Nicht immer ist die Verdrillung hoch. Dann muss eine andere Instabilität wirken. Dieser widmet sich Bernhard Kliem in seinen aktuellen Forschungen. Sie beruht auf der Kraft zwischen dem Strom durch eine Protuberanz und dem Strom, der zwischen ihren Fußpunkten im Inneren der Sonne verläuft und den Stromkreis schließt. Hier wirken Kräfte wie in einem Elektromotor. Auf der Sonne können die Protuberanzen zur Eruption führen, wenn diese genügend gestiegen sind, sodass das umgebende Magnetfeld sie nicht mehr in der Korona halten kann. Auch hier existiert ein Schwellenwert, an dessen genauer Bestimmung Bernhard Kliem arbeitet.
Der Physiker „baut“ die Eruptionen mit seinen Modellen mathematisch nach und gewinnt daraus auch Erkenntnisse über ihre Entwicklung – unter welchen Bedingungen sie hohe Geschwindigkeiten oder eine besondere Ausrichtung annehmen. Dies sind die Eigenschaften, die die Stärke der geomagnetischen Störung bestimmen, falls der Masseauswurf auf die Erde trifft. Mithilfe der Modelle verstehen die Forscher zunehmend, welche Bedingungen für das Auftreten der sogenannten Sonnenstürme im Weltraumwetter erforderlich sind. Ein zuverlässiges Vorhersagemodell, analog zum täglichen Wetterbericht, liegt jedoch noch nicht in greifbarer Nähe, dämpft Bernhard Kliem die Erwartungen, denn die auslösenden Störungen aus dem Sonneninneren lassen sich noch nicht vorhersagen. Niemand kann in das Innere der Sonne blicken. „In der Helioseismologie, die Methoden der Erdbebenforschung überträgt, liegt unser ‚Ohr‘ für die Sonne, das es in den kommenden Jahren zu schärfen gilt“, erklärt Bernhard Kliem.
Schön sind nur die Polarlichter
150 Millionen Kilometer sind die Ereignisse, die der Wissenschaftler mit seinem Modell nachstellt, von der Erde entfernt. Und dennoch hat seine Forschung einen ganz praktischen Aspekt für unser menschliches Dasein. Schließlich sind es die Aktivitäten der Sonne, die das Weltraumwetter bestimmen. Und das Interesse an einer verbesserten Vorhersage der Ereignisse nimmt zu. Denn starke Sonneneruptionen stören den Funkverkehr und die Satellitennavigation auf der Erde, beeinträchtigen damit die zivile und militärische Luft- und Seefahrt, können Satelliten beschädigen und im Extremfall sogar Transformatoren in ausgedehnten Stromnetzen vor allem in hohen Breiten zerstören.
Doch die Plasmawolken, die auf die Erde zurasen, führen auch zu einem Phänomen, dessen Reiz sich wohl niemand entziehen kann: Polarlichter. Das Magnetfeld der Erde wirkt zunächst wie ein Schutzschild und leitet das Plasma um die Erde herum. Auf der Nachtseite jedoch wird der Magnetschweif komprimiert und reagiert mit der Beschleunigung geladener Teilchen, die sich entlang der Feldlinien in der Magnetosphäre zur Erde hin bewegen. Dort, wo die Feldlinien aus dem Magnetschweif die Atmosphäre durchdringen – rund um den Nord- und den Südpol –, stoßen die beschleunigten Teilchen auf die Stickstoff- und Sauerstoffmoleküle der Atmosphäre, die dadurch ionisiert und zur Strahlung angeregt werden. Wenn die energetischen Wechselwirkungen den Nachthimmel mit beeindruckenden Farbspielen erhellen, ist dies ein ganz besonderer Sonnengruß.
Der Wissenschaftler
Dr. Bernhard Kliem studierte Physik an der Humboldt-Universität Berlin und forscht seit 2010 an der Universität Potsdam. Er betrachtet vor allem die Aktivität der Sonne und deren plasmaphysikalische Grundlagen.
Kontakt
Universität Potsdam
Institut für Physik und Astronomie
Karl-Liebknecht-Str. 24–25
14476 Potsdam
E-Mail: bkliemuuni-potsdampde
Das Projekt
Das Forschungsprojekt „Solare Eruptionen“ klärt die physikalischen Prozesse auf, die zu Sonneneruptionen führen.
Beteiligt: Universität Potsdam, Institut für Physik und Astronomie.
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Laufzeit: 2014–2017
Text: Heike Kampe
Online gestellt: Agnes Bressa
Kontakt zur Online-Redaktion: onlineredaktionuuni-potsdampde