Auf Vorschlag der Universität Potsdam hat der international renommierte Sozialwissenschaftler Bryan S. Turner von der City University of New York den Max-Planck-Forschungspreis 2015, einen der höchstdotierten und renommiertesten Wissenschaftspreise in Deutschland, erhalten. Mit dem Preisgeld in Höhe von 750.000 Euro wird Turner die bestehende Kooperation mit der Universität Potsdam auf eine institutionelle Ebene heben. So soll ein „Centre for Citizenship, Social Pluralism and Religious Diversity“ gegründet werden, in dem verstärkt junge Wissenschaftler einbezogen werden.
„Als ich in den 1970er Jahren den Stellenwert des Islam in den Schriften Max Webers untersuchte, galt ich als Exot. Auch unter den Studierenden interessierte sich niemand dafür. Nach dem 11. September 2001 aber änderte sich das schlagartig.“ Insofern empfindet der 71-jährige Wissenschaftler aus New York die Auszeichnung auch als Genugtuung und Anerkennung seines langen Forscheratems.
Seine Bücher und Essays füllen inzwischen Regale und ständig kommen neue Publikationen hinzu – nicht nur über das Verhältnis von Religion und Moderne, sondern auch zur Medizinsoziologie, Ökonomie und Philosophie. Bryan S. Turners Hauptinteresse gilt der Säkularisierung in pluralistischen Gesellschaften. Dazu forschte er nicht nur in den USA und Deutschland, sondern auch in Singapur, Australien und den Niederlanden. „So habe ich auch im praktischen Leben vielfältige kulturelle Erfahrungen gesammelt“, berichtet der nach wie vor neugierige Wissenschaftler.
Bürgerrechte als Instrument der Abgrenzung?
„Nun erreicht meine internationale Forschung in Kooperation mit der Universität Potsdam einen weiteren Höhepunkt“, freute sich der Preisträger Anfang Dezember während des Festakts in Berlin. „Der Preis kommt zu einem idealen Zeitpunkt angesichts der Flüchtlingskrise und all der Herausforderungen für moderne pluralistische Gesellschaften, seitdem religiöse Fragen wieder verstärkt öffentliche Debatten dominieren.“Jürgen Mackert, Professor für Allgemeine Soziologie an der Universität Potsdam, hatte Bryan S. Turner für den Max-Planck-Forschungspreis vorgeschlagen. Mackert kam in den 1980er Jahren über die Arbeit mit Flüchtlingen auf das Thema Bürgerrechte und wollte als Soziologe genauer wissen, warum Flüchtlinge unterschiedlich behandelt werden. „Die einen dürfen arbeiten, die anderen nicht. Manche erhalten den Status, ihre Familien nachzuholen, andere wiederum nicht. Daraus entwickelte sich mein Interesse, Bürgerrechte vor allem als Instrument der Abgrenzung zu diskutieren“, erklärt er. Bei Turner stieß er in diesem Zusammenhang auf offene Ohren, er wertet die auf nationaler Souveränität basierenden Bürgerrechte ebenfalls als „eine Art exklusive Mitgliedschaft in einem Club“. Wer einmal dazu gehöre, habe wenig Interesse daran, den Kreis der Mitglieder zu erweitern. Insofern erhielt Jürgen Mackert von Turner damals fruchtbare Impulse für seine Promotion. Seitdem stehen beide in regem Austausch.„Dass aus dieser 20-jährigen Kooperation jetzt für die Universität Potsdam eine neue institutionelle Ebene erwächst“, freut den Potsdamer Soziologen. Auch weil er künftig wieder öfter persönlich mit dem Sozialwissenschaftler von der City University of New York (CUNY) über religiösen, sozialen und kulturellen Pluralismus in modernen Gesellschaften diskutieren kann.
Forschungsfelder Scharia und Pegida
In den nächsten Jahren wollen Mackert und Turner gemeinsam mit jungen internationalen und Potsdamer Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern von Potsdam aus der Spannung zwischen Bürger- und Menschenrechten auf den Grund gehen, um herauszufinden, inwiefern diese für gegenwärtige Konflikte verantwortlich ist. Der Max-Planck-Forschungspreis 2015 steht unter dem Motto: „Religion und Moderne: Säkularisation, gesellschaftliche und religiöse Pluralität“. Eine bessere Brücke hätte es für Turners Erkenntnisinteresse nicht geben können: Welche Bedeutung hat Religion in unserer Zeit? Wie lässt sich die universelle Gültigkeit der Menschenrechte begründen? Was sichert den Zusammenhalt in multikulturellen Gesellschaften? Fragen, die ihn als Wissenschaftler seit Jahrzehnten umtreiben.
In den Fokus der Forschenden um Bryan S. Turner an der Universität Potsdam sollen vergleichende Analysen des Scharia-Rechts ebenso rücken wie die Untersuchung rechtspopulistischer Bewegungen wie Pegida, um daraus resultierende soziale Konsequenzen aufzuzeigen. Turner wird vor allem im Frühsommer in Potsdam arbeiten, daneben bleibt er Presidential Professor of Sociology und Director for the Study of Religion in New York.
„Ich pendele zwischen den Kulturen“, sagt er vergnügt. „Schließlich sollen unsere Forschungsaktivitäten von Beginn an international mit bereits bestehenden Zentren auf der ganzen Welt vernetzt werden. Auch bleiben die USA als Vergleichsgesellschaft aufgrund der Heterogenität ein spannendes Feld.“ Außerdem möchte Turner nicht allzu lange von seiner Frau getrennt sein, sie haben ein wenige Monate altes Baby.
Das Projekt
Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Max-Planck-Forschungspreis wird jährlich von der Alexander von Humboldt-Stiftung und der Max-Planck-Gesellschaft an einen in Deutschland und einen im Ausland tätigen Wissenschaftler verliehen. Neben Bryan S. Turner wurde 2015 Hans Joas von der Humboldt-Universität zu Berlin ausgezeichnet.
https://www.humboldt-foundation.de/web/max-planck-preis.html
Die Wissenschaftler
Der gebürtige Brite Bryan S. Turner ist an der City University of New York (CUNY) Presidential Professor of Sociology und Director for the Study of Religion. Sein Weg führte ihn über die University of Essex und die University of Cambridge in Großbritannien, die Universität Utrecht in den Niederlanden und die Deakin University in Melbourne in Australien an die National University Singapur und in die USA, hier zunächst ans renommierte Wellesley College und schließlich an die CUNY.
Prof. Dr. Jürgen Mackert studierte Soziologie an den Universitäten Heidelberg, Berlin (FU) und Frankfurt/Main. Seit 2009 ist er Professor für Allgemeine Soziologie an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam.
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Text: Silke Engel
Online gestellt: Agnetha Lang
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